Gestern, am 2. Oktober 2020, wurde während einer Demonstration auf der neu benannten Plaza de la Dignidad – dem Platz der Würde – in Santiago de Chile ein junger Mann von einer Brücke in den Fluss Río Mapocho geworfen. Gestoßen wurde der 16- Jährige über das Geländer von dem Polizisten Sebastián Zamora Soto – und zwar absichtlich.
Dies ist die offizielle Stellungnahme der Carabineros de Chile:
„Was von den Carabineros bereits bestritten wurde und hiermit abermals zurückgewiesen wird, ist [der Vorwurf], dass jene Person an den Füßen gepackt oder durch den Strahl eines Wasserwerfers in den Fluss gestürzt worden sei, so, wie Zeugen auf den sozialen Netzwerken fälschlicherweise behaupten. Glücklicherweise existiert ein Video, das zeigt, dass sich dieser bedauerliche Unfall in einem intensiven Moment der Festnahmen von Personen ereignete, die Unruhe stifteten und deren Vorgeschichten nun von der Staatsanwaltschaft in ihrer Ganzheit untersucht werden sollen. Die Vorfälle ereigneten sich im Rahmen einer polizeilichen Intervention, die gestört wurde, und der in dem Video gezeigten Carabinero ist bereits identifiziert worden. Jegliche Informationen werden, wie bereits klargestellt, dem Innenministerium zur Verfügung gestellt.“*
Aufgrund des vorhandenen und bereits verbreiteten Videomaterials über den 16-Jährigen Jungen, der kopfüber über ein Brückengeländer sieben Meter in die Tiefe stürzt, kann die chilenische Polizei die rein faktische Existenz dieses Vorfalls nicht bestreiten. Was sie jedoch bestreitet, ist die Vorsätzlichkeit dieses Vorfalls. In der veröffentlichten Stellungnahme der Carabineros wird versucht, den vorsätzlichen Mordversuch an einem Demonstranten durch den Polizeibeamten Sebastián Zamora Soto als „bedauernswerten Unfall“ darzustellen: ein „unbeabsichtigter Zwischenfall“, der sich innerhalb eines chaotischen und unübersichtlichen Moments während einer Demonstration ereignet hätte. Und nicht nur während irgendeines Moments, sondern in einer Situation, die aufgrund „unruhestiftender Demonstranten“ und simultan erfolgenden Festnahmen als eskalierend dargestellt wird. Der Sprecher in dem Video der Carabineros ist im übrigen Rodrigo Soto, der Sohn von Gamaliel Soto Segura – einem ehemaligen Polizisten, der für das Verschwinden von Dr. Eduardo González Galeno im Jahre 1974 und Luciano Aedo Hidalgo im Oktober 1973 für schuldig befunden und zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde. Seit dem gestrigen Vorfall häufen sich die abermals wiederkehrenden Forderungen nach dem Rücktritt des chilenischen Präsidenten Sebastián Piñera und dem Generalpräsidenten der chilenischen Polizei, Mario Rozas. Basta ya de Impunidad!, schreiben bestürzte und wütende Menschen auf sozialen Netzwerken – Schluss mit der Straffreiheit!
Auch Abgeordnete und Parlamentarier beziehen Stellung: „Wir fordern den sofortigen Rücktritt des Polizeipräsidenten Mario Rozas. Dies tun wir bereits seit dem 18 Oktober und die heute erfolgte Unterdrückung bestätigt diese Forderung. Er [Mario Rozas] muss die Verantwortung für die Verletzung der Menschenrechte übernehmen, die unter vollständiger Straffreiheit begangen werden“, sagte der Abgeordnete Raúl Soto der PPD (Partei für die Demokratie). Abgeordneter Gabriel Boric schrieb: „Sie haben ihn direkt in den Fluss geworfen. Wir fordern den sofortigen Rücktritt von Mario Rozas! Keine weiteren Ausreden. Und [wir fordern] eine Zivilkommission für die Strukturreform von Carabineros. Diese Barbarei kann so nicht weitergehen. Es reicht.“
Aktuellen Informationen zu Folge befindet sich der Jugendliche nicht mehr in Lebensgefahr, leidet allerdings unter schweren körperlichen Verletzungen. Heute, den 3. Oktober um 11 Uhr vormittags und 16 Uhr nachmittags chilenischer Zeit (-5 Stunden), sind weitere Demonstrationen an der Plaza de la Dignidad angekündigt: in Solidarität mit dem letzten Opfer der bereits zu lange währenden und straffrei ausgeübten Polizeigewalt in Chile. –
…Herr Piñera, ich meine, mich erinnern zu können, dass Sie vergangene Woche auf der Versammlung der Vereinten Nationen sprachen und aussagten, ihre Regierung hätte „unter strengen Auflagen gearbeitet“ um „sicherzustellen, dass die Menschenrechte der Protestierenden gewahrt und respektiert werden“. Leider, so muss ich doch sagen, scheinen sie unter grausamen Wahrnehmungsstörungen zu leiden. Bei einer solchen Dreistigkeit sollte einem doch eigentlich schlecht werden. Nun, leiden Sie an chronischem Erbrechen, sobald sie an ihr eigenes Verhalten denken?
Tun sie uns bitte endlich allen einen Gefallen: sagen sie auf Wiedersehen und
treten – Sie – endlich – zurück.
* Die Übersetzung der Stellungnahme erfolgte durch die Autorin dieses Artikels. Transkription der Stellungnahme, auf Spanisch:
“Lo que Carabineros desmintió – y vuelve a desmentir absolutamente – es que se haya tomado de los pies a ésta persona o que haya sido botada al río con un chorro del carro lanza aguas como lo inventaron testigos en redes sociales. Afortunadamente, existe un video que muestra que este lamentable accidente se produjo en los contextos intensos de detención de personas que causaban desordenes y que ahora la fiscalía deberá evaluar con todos los antecendetes a su disposición. Los hechos ocurrieron en el contexto de un procedimiento con incidentes, y el Carabinero que aparece en el video está claramente identificado. La totalidad de estos antecedentes, como se ha señalado, serán puesto a disposición del Ministerio Público.”
Videos, die den Moment filmten, in dem der Junge über das Brückengeländer geschubst wurde:
[normale Geschwindigkeit] https://twitter.com/PiensaPrensa/status/1312427724842172416
[Zeitlupe] https://twitter.com/PiensaPrensa/status/1312203075839434752
[Luftansicht] https://twitter.com/PiensaPrensa/status/1312230216949993475
[Video] Stellungnahme des Polizisten Soto: https://twitter.com/PiensaPrensa/status/1312258837257297920