Am Dienstag thematisierten wir im Popblog die Auflösung der alten Spex-Redaktion und stellten ein „Doppelinterview“ mit Stephan Glietsch (alte Spex) und Max Dax (neue Spex) aus den jeweiligen Aussagen der letzten Tage zusammen.
Es ist eine gewisse Ironie der Geschichte, dass der neue Spex-Chefredakteur Max Dax vor nicht einmal eineinhalb Jahren einen Nachruf auf die Spex selbst schrieb (erschienen am 21. August 2005 in der Welt am Sonntag und im Folgenden in Gänze zitiert). Andererseits darf nun Dax mit einer neuen Mannschaft beweisen, dass die Zeiten umkehrbar sind und er seine eigenen Vorwürfe, die Spex habe den „Rückzug ins Private“ vollzogen und wurde von der Spaßgesellschaft „aufgefressen“ mit einer Neuausrichtung im Sinne der Spex-Philosophie erfolgreich widerlegbar wären.
In Anbetracht der Aussagen von Stephan Glietsch hinsichtlich des nie realisierten Konzeptes für eine neue Spex unter der alten Redaktion und dem Bestreben von Viehman, Glietsch et al nun als Reaktion ein neues Magazin in dieser Stoßrichtung zu etablieren, erscheint Max Dax’ Schlusssatz prophetischer denn je: „Dennoch darf man sich schon wundern, warum noch keine neue Zeitschrift aufgetaucht ist, die sich wieder ernsthaft mit Ideen und ihrer Verwirklichung beschäftigt – so krude sie auch sein mögen. Nichts könnte spannender sein.“
Alte Spex unter neuem Namen, wir warten gespannt!
Die Last der lebenden Legende
Medien: Nachruf auf die Bibel des Popjournalismus – die Musikzeitschrift „Spex“ feiert ihren 25. Geburtstag
von Max Dax:
Wenn vor 25 Jahren in der Kölner Severinsmühlengasse nachts noch Licht brannte, dann saßen dort unterbezahlte Redakteure, die an Texten für die neue „Spex“ werkelten. Sie hatten keine andere Wahl. Schließlich wartete Deutschlands Musik-Boheme wie jeden Monat sehnsüchtig auf die neue Ausgabe ihrer Bibel, die ihnen Satz für Satz, Seite für Seite die Welt erklärte. Die Meinung der „Spex“-Redaktion war Gesetz, galt doch das Heft, das jetzt Jubiläum feiert, in den Achtzigern als die einzig lesbare Musikzeitschrift in deutscher Sprache. „Spex“ wurde 1980 von Gerald Hündgen gegründet, aber erst unter Diedrich Diederichsen und dessen theoretischer Führung entwickelte sich „Spex“ ab 1983 zum verbindlichen Medium für jene Generation, die keine Revolutionen und keine Verteilungskämpfe mehr zu führen hatte. Dieses Vakuum füllte die „Spex“-Redaktion mit einer ebenso tief empfundenen wie hedonistisch ausgelebten Gegnerschaft gegen den musikalischen Mainstream und die allzu behäbige und selbstzufriedene Republik. In ihrer Blütezeit erschien „Spex“ lange Zeit im riesenhaften Überformat und trug – geprägt von der englischen Zeitschrift „The Face“ – die Handschrift des Kölner Grafikers Christoph Pracht. Vor allem aber wurde „Spex“ zum Synonym für einen neuen, radikalen Journalismus, der keine Lektoren, Textchefs und Konventionen mehr kannte. Diederichsen etwa schrieb 1986 über die damals noch völlig unbekannte slowenische Band Laibach: „Der Sozialismus ist die Idee von der Verwirklichung der als richtig erkannten Idee. Ihn aufzugeben hieße die Verwirklichung von Ideen überhaupt aufzugeben. Verwirklichung aber ist etwas Grausames, das wir gewohnt sind, Gott vorzubehalten. Wer sich an die Verwirklichung macht, wird zum Übermenschen, er begeht die Grausamkeiten, von deren Notwendigkeit Nietzsche spricht.“
Die Leser liebten die Achterbande Diedrich und Detlef Diederichsen, Clara Drechsler, Jutta Koether, Ralf Niemczyk, Lothar Gorris, Dirk Scheuring und Michael Ruff für ihren Anspruch, jede Musik als Spiegelbild der jeweiligen Zeit und ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse zu sehen. Denn das war es, worum es in der „Spex“ lange Jahre ging: das Koordinatensystem namens Pop zu erforschen, den Produktcharakter von Musik in Frage zu stellen und überhaupt gegen den Kapitalismus zu sein. Formal drückte sich dies in einem nie zuvor gelesenen (und oft unlesbaren) Schreibstil aus, der soziologisch akademische Sprache mit dem von Hunter S. Thompson erfundenen Gonzo-Journalismus verband. In diesem Umfeld war es normal, wenn ein Literat wie Rainald Goetz in der Rubrik „Gemein + Geistreich“ seitenweise schwer verständliche Kurzgeschichten veröffentlichte und Maler-Stars wie Martin Kippenberger oder Albert Oehlen krude Beiträge absonderten. Abstrakte Kunst und schwere Literatur gehörten zum Pop-Universum, dazu Exkurse über italienische Horrorfilme. Für die Generation Spex waren Diederichsen und Konsorten daher das, was für ihre linksliberalen Eltern Hans-Magnus Enzensberger mit seinem „Kursbuch“ und Jörg Schröder vom März-Verlag gewesen sein mögen – Aufrechte, die für das Wahre und Gute kämpften.
Wenn in einer Woche die silberne Jubiläumsausgabe der „Spex“ erscheint, wird nur noch wenig an die goldenen Achtziger erinnern. Wie andere Zeitschriften auch durchlief „Spex“ in den Neunzigern unter immer neuen Chefredakteuren eine Ära der Selbstzerfleischung mit zumindest finanziellem Happy End. Berauscht von der Wichtigkeit des eigenen Blatts und vom Siegeszug der elektronischen Musik, übernahm 1990 eine neue Generation die Geschicke. Viele Köche, unter ihnen Deutschland bekanntester House-DJ Hans Nieswandt und der jetzige FAZ-Feuilletonist Dietmar Dath, mühten sich in den Folgejahren mit unterschiedlichem Erfolg, eine in zunehmend eigenbrötlerischere Genußfraktionen zersplitterte Leserschaft zu informieren. 2003 äußerte sich Diedrich Diederichsen, heute freier Autor und Dozent an der Stuttgarter Merz-Akademie, in einem Interview zum Dilemma der „Spex“: „Die Gegenwartsdiagnostik ist ja noch da, aber sie ist ganz unverbunden. Die Schere zwischen der Musikberichterstattung und dem anderen, was inhaltlich stattfand, klaffte immer weiter auseinander.“ Unter der Last, eine lebende Legende zu sein, suchte „Spex“ nach Anschluß an den Zeitgeist und fand in dem Fotografen Wolfgang Tillmans 1995 zumindest zeitweilig einen prominenten Co-Herausgeber, der das Magazin mit einem Hauch von Glamour benetzte. Wenn die „Spex“-Redaktion dieser Tage zum Champagner greift, wird sie sich vermutlich an ein Datum aus der jüngeren Zeit erinnern, das den bislang letzten und radikalsten Umbruch markierte: Zum Jahresbeginn 2000 ging die „Spex“ mit dem Münchener Verleger und Gründer der Piranha Media AG, Alexander Lacher, zusammen. Das wirtschaftliche Überleben des seit je klammen Magazins scheint seitdem langfristig gesichert. Allen Mediadaten zufolge verteidigt die „Spex“ wacker ihre Nische im Zeitschriftenmarkt – Tendenz positiv. Allein das wäre schon eine kleine Meldung wert in den Krisenzeiten der Musikwirtschaft.
Die dafür angewandte Erfolgsformel klingt jedoch wie eine irgendwo schon einmal gelesene Lebenslüge. Denn in den letzten fünf Jahren vollzog die „Spex“ den Rückzug von der Aussichtsplattform ins Private. So wie sich Popkultur heute nicht mehr als aufklärerische Befreiung von Unmündigkeit versteht, sieht sich die „Spex“ nicht mehr als zugehörig zu irgendeinem Gesellschaftsversprechen. Sie wurde aufgefressen von der Spaßgesellschaft – und fast hat man daher Mitleid mit ihr. Dennoch darf man sich schon wundern, warum noch keine neue Zeitschrift aufgetaucht ist, die sich wieder ernsthaft mit Ideen und ihrer Verwirklichung beschäftigt – so krude sie auch sein mögen. Nichts könnte spannender sein.“
Christian Ihle
Sorry, der „scharfe Beobachter“ war natürlich Max Dax himself 🙂