vonChristian Ihle & Horst Motor 28.01.2007

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Eigentlich weiß man von den wenigsten Musikern, dass sie Cineasten sind. Die meisten Künstler halten sich ja ohnehin bedeckt mit ihren Vorlieben. Und wenn dann doch mal geschwärmt wird, sind es meist die großen Schriftsteller, die da als Referenz genannt werden. Bob Dylan und Jack Kerouac sind ein prominentes Beispiel. Ganz anders sieht es da bei Benjy Ferree aus. Der nämlich ist Cineast mit ganzem Herzen. Darauf angesprochen gerät er förmlich ins Schwärmen. Die europäische Filmszene habe es ihm angetan: Fritz Lang, Francois Truffaut, Ozon, von Trier. Er denkt in Bildern, er singt von Bildern. Das Debüt „Leaving the Nest“ ist dafür ein ganz hervorragendes Beispiel. Jedes Bild glänzt vor Metaphorik, hat kleine Falltüren und generell eine windschiefe Konstruktion.

Schon der Opener „In the Countryside“ ist ein kleines, nur vermeintlich fröhliches Schunkelstück. „You never will go astray, oh no“. Solang die Lebenslügen und die Landschaft so schön sind, kann man vom rechten Weg nicht abkommen. Dazu poltert das Schlagzeug und eine ur-amerikanisch klingende Fidel stimmt schief klagend ein. „Dogkillers“, das eine Extrem des Debütalbums, leiht sich den Sound und die Attitüde bei Fugazi, dessen Drummer Brendan Canty das gesammte Album auch produziert hat. Ein lautes, wuchtiges Stück ist „Dogkillers“ geworden. Aber, und das ist Ferree und Canty hoch anzurechnen: es passt in das Gesamtkonzept und tut der Melancholie der übrigen Folkstücke keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil.

Was danach kommt, darf an dieser Stelle ganz unverblümt als avangardistischer Indie-Folk bezeichnet werden, der sich seine nötigen Referenzen immer nur aus den rostigen, dreckigen Tonnen der Musikhistorie holt. Ausnahmsweise ist es mal nicht Dylan (jedenfalls nicht ausschließlich). Ferree hat die Ausstrahlung, Stimme und inhaltliche Ausrichtung eines Tom Waits und schlurft in seinen besten Momenten wie durch einen Steinbeck Roman. Vielleicht liegt das ja an der Heimat Maryland, die er nur für kurze Zeit verließ, um in Hollywood zu scheitern, weil er unbedingt Schuaspieler und Regisseur werden wollte. Seine Heimat Maryland, damals wie heute, ist die katholische Provinz der USA und gleichzeitig Herberge für Gestrandete, für Romantiker und für Idyll-Fetischisten. Klar, dass da unter der Oberfläche so einige Brüche und Risse zu finden sind. Ein Charakter wie Ferree lebt davon. Nicht nur musikalisch, sondern vor allem auch textlich.

In „Hollywood Sign“ singt er über seine harte Landung. „Wake up / what a wake up / wake up on top of a building“. Aber Ferree ist auch gerissen. „The Hollywood Sign / it feels just fine / it danced up on a hill to my rhymes“. Da sind sie wieder, die Lebenslügen. Schick verpackt in Folk-Musik, die anachronistisch wirkt. Diesmal wirklich anachronistisch! Und wenn später, in „They Were Here“, die Geigen so unendlich traurig den Song durch die Luft tragen, wünscht man sich an die Seite Ferrees, um zusammen auf die Welt zu starren.

Wenn das Album endet, auf so unvergessliche Art und Weise, hat man Bilder mitgenommen, die man so schnell nicht mehr vergisst. Bei „In The Woods“ hat sich Ferrees Bildersprache in Musik und Text verwandelt: „And when you wake up / you owe me some bones / and it hurts you so / you can’t climb that tree / because you can’t fly“. Mit „Leaving the Nest“ wäre Benjy Ferree mit sicherheit ein guter Regisseur geworden…

Anhören!
* Dogkillers
* In The Woods
* They Were Here

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Robert Heldner

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https://blogs.taz.de/popblog/2007/01/28/album-des-monats-januar-platz-3-benjy-ferree-leaving-the-nest/

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