vonChristian Ihle & Horst Motor 24.04.2007

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Kinostart: 26. April 2007

Spätestens seit „Lost Highway“ haben wir es uns abgewöhnt, David Lynchs Gedankengänge verstehen zu wollen. Man könnte eine ganze Bibliothek mit Interpretationen zu seinen Filmen füllen. Endlose Kneipendiskussionen über die Ausgänge seiner Geschichten führen – am Ende dieser langen Nächte, wenn jeder logische Gedanke vom vielen Bier vernebelt ist, kommt man der Aussage seiner Werke vielleicht noch am nächsten. Es geht hier nämlich nicht um Logik oder Kontinuität. David Lynch ist zurück.
Die Handlung seines Mystery-Dramas Inland Empire ist schnell erzählt. Die Schauspielerin Nikki Grace (Laura Dern, die Lula aus „Wild at Heart“) soll die Hauptrolle in einem Kinofilm über eine verhängnisvolle Affäre mit einem Südstaaten-Gentleman spielen. Bald findet sie heraus, dass es sich bei dem Film um ein unautorisiertes Hollywood-Remake handelt, welches zudem schon einmal gedreht wurde. Die Dreharbeiten konnten jedoch nie abgeschlossen werden, da die beiden Hauptdarsteller auf mysteriöse Weise ermordet wurden.

„Inland Empire“ beginnt mit dem Bild einer Nadel auf einer Plattenrille, was durchaus als Anspielung auf „Mulholland Drive“ gesehen werden kann. Da nämlich bestätigte die Aussage „No Hay Banda/Es gibt keine Band“ in Worten das, was Lynch in seinen Filmen durchgehend verbildlicht: die Illusion ist die Wirklichkeit.
Je weiter die Handlung fortschreitet, desto mehr verschwimmen die Wahrnehmungsebenen zwischen Traum, Realität und Film. Wie vor ihr Betty in „Mulholland Drive“ begegnet Nikki ihrem früheren Ich namens Susan „Sue“ Blue und wird auf ihrer Identitätssuche mit ihren verborgensten Ängsten konfrontiert. Die menschlichen Abgründe und Phobien, die Ursachen unserer Panik sowie unsere schlimmsten Alpträume sind der rote Faden von „Inland Empire“ – wenn man denn unbedingt einen finden möchte. Lynch setzt diese Gefühle auf seine ganz eigene und bereits bekannte Weise um: wirr und zusammenhanglos zeigt er nackte Brüste, Zirkusclowns, Prostituierte und eine mysteriöse Nachbarin, welche Nikki unlösbare Rätsel aufgibt. Ruhelos gleitet die Kamera endlose Flure und Gänge entlang, offenbart surreale Traumbilder. Im berühmten „Pink Room“ starren Lynchs typische verstörte Gesichter in die Kamera.

Nach und nach wird der Film zu einem einzigen Stream of Consciousness, dem jede Gesetzmäßigkeit abhanden gekommen ist. Der Meister selbst wiederholt zu seinem neuesten Kunstwerk nur den Satz, den wir schon alle auswendig kennen: jeder Zuschauer muss seine eigene Interpretation finden – der Film habe sich „so ergeben“. „Inland Empire“ ist weniger Erzählung als Sinneserfahrung, er dringt in unser Unterbewusstsein ein und macht uns damit selbst zu Filmfiguren. Wenn Nikki also ihre Welt nicht mehr versteht, dann tun wir das auch nicht. Da stört es dann auch nicht mehr, wenn sich minutenlang fremde Menschen in polnischer Sprache unterhalten und das Ganze nicht untertitelt ist.

Doch etwas ist anders an diesem Film. Es sind nicht nur die Bilder, die durch das Drehen mit Digitalvideo etwas von ihrer früheren künstlerischen Schönheit eingebüßt haben. Es ist auch die Ironie, die stärker als früher aus den achterbahnartigen Sequenzen hervorblitzt. Am stärksten wird diese in dem immer wieder gezeigten Wohnzimmer erkennbar, in dem drei Menschen mit Hasenköpfen teils wortlos verharren, bügeln oder sinnlose Äußerungen von sich geben. Fast wirkt es, als wolle der Regisseur in diesen Momenten seine eigenen Filme persiflieren.
Sein neues Werk war David Lynch so wichtig, dass er es selbst finanzierte und in die Kinos brachte, nachdem das niemand für ihn übernehmen wollte. Und trotz drei Stunden voller Anstrengung, Verzweiflung, Ratlosigkeit, aufkommender Aggression und völliger Überforderung ist ihm da wieder etwas gelungen, etwas Beeindruckendes. Auch über „Inland Empire“ wird es Bücher geben, und die Kneipendiskussionen werden erneut ohne eindeutiges Ergebnis enden.
David Lynchs Phantasiereichtum ist, wie sein neuester Film eindeutig beweist, noch längst nicht ausgeschöpft. Und da ist er wieder, der Wunsch nach mehr. Trotz aller Verstörung. Kurz bevor „Inland Empire“ zu Ende ist, blickt eine Figur in die Kamera und sagt: „How weird“.

Silvia Weber

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https://blogs.taz.de/popblog/2007/04/24/inland-empire-regie-david-lynch/

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kommentare

  • Leute, Leute…..So viel Kakophonie, Maßlosigkeit und Egomanie in euren Rezensionnen. Geniesst doch lediglich diese genial entrückten Filme, interpretiert sie wie ihr woll, wenn eure Phantasie reichhaltig ausgestattet ist.
    Das ist der Genuss und der Sinn von Filmen, wie diejenigen von David Lynch. Der Film ist die Droge. Sie kann nur das aus eurem/unserem Unterbewusstsein in die Bewusstseinsebene katapultieren, was bereits als bestehendes „Futter“ in uns schlummert.
    Ich gestehe, ich sitze einfach nur mit weit aufgerissenen „inneren“ Augen vorm Fernseher, kann schier nicht mehr atmen vor widerwärtiger Faszination und Leidenschaft für das Unverständliche, das sich vor mir abspielt, und verstehe nicht, will nicht verstehen, muss nicht verstehen, was sich der Meister dabei dachte.
    Ich sauge es in mir und beobachte, was es mit mir anstellt.
    That´s all….

  • Ich verstehe schon, dass Filmkritiken und -rezensionen das eine oder andere Gemüt aufregen – aber sooo wichtig sind sie ja dann doch nicht. Es gehört halt so dazu. Trotzdem fällt mir es schon schwer, Formulierungen wie „die Handlung (…) ist schnell erzählt“ oder „wirr und zusammenhanglos“ unbetroffen hinzunehmen…

    Wenn man die Handlung etwas liebevoller wiedergeben möchte als es der hier quasi wörtlich zitierte Text in den Veröffentlichungen des Vertriebs anführt, dann schreibe man doch: „Der Film handelt von der Hölle der Bewusstseinsspaltung, die eine Ehebrecherin durchwandert, weil sie sich von Ihrem eifersüchtigen Ehemann bedroht fühlt und diesen erschießt, bevor der sie umbringt.“

    Oder etwa nicht?

  • Ich kann mich eigentlich nur insofern den Kritiken an Gekko23 anschließen, als dass diese seine Hochmut hervorheben. In der Sache jedoch hat er Recht. Zwar handelt es sich bei Lynchs Filmen in der Tat nicht um Patiencen, die eindeutig aufgehen können, sondern um mehrdeutige Werke mit vielfachen Zugangsmöglichkeiten, aber Gekkos offensichtlich im Zorn niedergeschriebene Erwiderung zielte im Grunde lediglich auf den mangelnden Auseinandersetzungswillen mit den Inhalten eines Films und wohl eher auf eine Kritik an der Reduktion auf den Ästhetizismus („Erzählung als Sinneserfahrung“, „surreale Traumbilder“). Dabei hat ja die Autorin des Ausgangsartikels richtig erkannt, dass die Filme durch die Videotechnik an Schönheit eingebüßt habe. An dieser Stelle wäre doch die nächste Frage gewesen, warum Lynch das macht. War es nicht, um zu sagen: „Liebe Zuschauer, bitte reduziert meine Filme nicht auf Fragen der Schönheit und hört nicht beim Wort „Unbewusst“, „Unterbewusst“ auf zu denken, denn es geht noch weiter.“? Tatsächlich wissen die meisten nicht mehr über diese Filme zu sagen, als dass sie Auseinandersetzungen mit dem Unterbewussten sind und wir in unserer Ratlosigkeit den Rollen im Film gleichen. Ich denke auch, dass eine gute Filmkritik darüber hinaus gehen sollte. Diese nur oberflächliche Thematisierung mit Lynchs Filmen wollte Gekko23 ankreiden, was ich verständlich finde.

  • Lieber Gekko23,
    Sie sind der Grund, weshalb ich unvorstellbar froh bin, mein Studium abgeschlossen zu haben. Da sitzen nämlich ganz viele von Ihrer Sorte rum. Warum entspannen Sie sich nicht ein bisschen beim Filme schauen? Würde vermutlich mehr Spaß machen. Nur so ein Vorschlag.

  • dem kann ich nur zustimmen. Schon zu behaupten, etwas sei vollkommen zu verstehen, (also dass es überhaupt nur eine Art des Verstehens gibt,)der hat von Lynchs Filmen meiner Meinung nach nichts verstanden. Denn Sinn und Zweck der (gewollten und bewußt vom Künstler konstruierten) Mehrdeutigkeit der Bilder ist ja der Verweis auf die Mehrdeutigkeit der „Wirklichkeit“ und eine Absage an die eine absolute Wahrheit (und somit auch an die eine richtige Interpretation).
    Schlimmer noch als die naive Vorstellung, etwas sei „vollkommen in sich geschlossen und erklärbar“, finde ich allerdings den Gestus, mit dem diese vertreten wird;
    Lieber Herr Gekko23. Ich würde Sie um eines bitten:
    Schreiben sie nichts mehr.

  • man kann nur hoffen Gekko23 geht es jetzt besser,
    dann hat das wenigstens sinn gemacht, denn als lesestoff ist dieser ego-amoklauf reine zeitverschwendung. eine mehr als oberflächliche interpretation einer szene aus mulholland drive, der rest untergriffigkeiten der übelsten sorte mit null inhalt. da wird selbst die grußformel zur farce.

  • Bizarrer noch als die Filme von David Lynch sind deren Rezensionen aus den Fingern von Kritikern,die leider nicht den allerkleinsten Fitzel Auseinandersetzungswillen mitbringen,um etwas über seine Filme schreiben zu können.

    Was dem Ganzen aber die Krone einer bis dato einmaligen und beispiellosen Lächerlichkeit aufsetzt, ist die Behauptung, dass „WIR“ „UNS“ abgewöhnt haben, seit Lost Highway Lynch’s Gedankengängen folgen zu wollen.
    Liebe Frau Weber. Lost Highway ist ein in sich geschlossenes System, das vollständig in sich abgeschlossen und erklärbar ist. Vielleicht in unkonventionellem Erzählstil. Das ganz sicher. Aber dennoch in sich geschlossen und erklärbar. Ein Löffelchen Semiotik sollte man dafür aber schon mitbringen. Filmstilistisch weitaus weniger anspruchsvoll, aber deutlich faszinierender kam Mulholland Drive daher. Die in ihrer Plumpheit fast schon keulenschwungheulende Szene des von Ihnen zitierten „no hay banda“-Settings lässt mich fast schon vor Tränen vor dem Rechner schwimmen, so grotesk liest sich Ihre Quintessenz. Nicht umsonst sitzen alle Beteiligten im Traum-Theater wie in einem Kinosaal. Denn ob nun Theaterstück oder Kinofilm: die Menschen WOLLEN Geschichten hören, ob sie nun wahr sind oder nur gespielt, die Zuschauer lassen sich mit VOLLSTEM WISSEN hinters Licht führen: nichts von dem, was sie sehen, ist echt. Aber sie wissen es. Wussten es schon vorher. Und ihre Augen leuchten trotzdem, wenn sie auf die Bühne schauen, denn sie WOLLEN betrogen werden, für fünf Minuten ihrer eigenen Welt entfliehen. Deshalb rollen ihnen auch die Tränen vor Verzückung über die Wangen, wenn Rebecca del Rio ihre Stimme erhebt. Und sie schauen demaskiert, als sie feststellen, dass alles nur vom Band kam. „No hay banda“. Die Unterhaltungssucht der Menschen. Diese großartige Metapher versenken Sie mit Ihrem Resümee „die Illusion ist Wirklichkeit“ fachmännisch auf Tiefenregionen nahe Erdmitte.

    Da fällt es auch nicht besonders schwer, über den Rest Ihres Artikels hinwegzusehen, der nach dem misslungenen Umgang mit beiden Vorgängerfilmen nur noch gleichwertig Gehaltloses hinten draufsetzt. Lost Highway war komplett zu verstehen. Mulholland Drive sogar noch um Längen besser. Da Sie sich aber seitdem davon verabschiedet haben, Lynch verstehen zu wollen, ersparen Sie doch bitte interessierten Lesern die vielen Worte, die man auf einen einzigen Satz hätte reduzieren können: ich hab’s nicht verstanden, Lynch ist mir zu hoch.

    Tun Sie mir bitte deshalb zwei winzig kleine Gefallen:
    Erstens. Ziehen Sie bei Ihren geistigen Versackgassungen bitte nicht den Leser mit dazu und relativieren Sie Ihr Problem mit einem „WIR“.
    Zweitens. Schreiben Sie doch einfach über etwas, über das Sie etwas schreiben KÖNNEN.

    Viele Grüße aus Berlin,
    ein enttäuschter Filmliebhaber

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