Kinostart: 26. April 2007
Spätestens seit „Lost Highway“ haben wir es uns abgewöhnt, David Lynchs Gedankengänge verstehen zu wollen. Man könnte eine ganze Bibliothek mit Interpretationen zu seinen Filmen füllen. Endlose Kneipendiskussionen über die Ausgänge seiner Geschichten führen – am Ende dieser langen Nächte, wenn jeder logische Gedanke vom vielen Bier vernebelt ist, kommt man der Aussage seiner Werke vielleicht noch am nächsten. Es geht hier nämlich nicht um Logik oder Kontinuität. David Lynch ist zurück.
Die Handlung seines Mystery-Dramas „Inland Empire“ ist schnell erzählt. Die Schauspielerin Nikki Grace (Laura Dern, die Lula aus „Wild at Heart“) soll die Hauptrolle in einem Kinofilm über eine verhängnisvolle Affäre mit einem Südstaaten-Gentleman spielen. Bald findet sie heraus, dass es sich bei dem Film um ein unautorisiertes Hollywood-Remake handelt, welches zudem schon einmal gedreht wurde. Die Dreharbeiten konnten jedoch nie abgeschlossen werden, da die beiden Hauptdarsteller auf mysteriöse Weise ermordet wurden.
„Inland Empire“ beginnt mit dem Bild einer Nadel auf einer Plattenrille, was durchaus als Anspielung auf „Mulholland Drive“ gesehen werden kann. Da nämlich bestätigte die Aussage „No Hay Banda/Es gibt keine Band“ in Worten das, was Lynch in seinen Filmen durchgehend verbildlicht: die Illusion ist die Wirklichkeit.
Je weiter die Handlung fortschreitet, desto mehr verschwimmen die Wahrnehmungsebenen zwischen Traum, Realität und Film. Wie vor ihr Betty in „Mulholland Drive“ begegnet Nikki ihrem früheren Ich namens Susan „Sue“ Blue und wird auf ihrer Identitätssuche mit ihren verborgensten Ängsten konfrontiert. Die menschlichen Abgründe und Phobien, die Ursachen unserer Panik sowie unsere schlimmsten Alpträume sind der rote Faden von „Inland Empire“ – wenn man denn unbedingt einen finden möchte. Lynch setzt diese Gefühle auf seine ganz eigene und bereits bekannte Weise um: wirr und zusammenhanglos zeigt er nackte Brüste, Zirkusclowns, Prostituierte und eine mysteriöse Nachbarin, welche Nikki unlösbare Rätsel aufgibt. Ruhelos gleitet die Kamera endlose Flure und Gänge entlang, offenbart surreale Traumbilder. Im berühmten „Pink Room“ starren Lynchs typische verstörte Gesichter in die Kamera.
Nach und nach wird der Film zu einem einzigen Stream of Consciousness, dem jede Gesetzmäßigkeit abhanden gekommen ist. Der Meister selbst wiederholt zu seinem neuesten Kunstwerk nur den Satz, den wir schon alle auswendig kennen: jeder Zuschauer muss seine eigene Interpretation finden – der Film habe sich „so ergeben“. „Inland Empire“ ist weniger Erzählung als Sinneserfahrung, er dringt in unser Unterbewusstsein ein und macht uns damit selbst zu Filmfiguren. Wenn Nikki also ihre Welt nicht mehr versteht, dann tun wir das auch nicht. Da stört es dann auch nicht mehr, wenn sich minutenlang fremde Menschen in polnischer Sprache unterhalten und das Ganze nicht untertitelt ist.
Doch etwas ist anders an diesem Film. Es sind nicht nur die Bilder, die durch das Drehen mit Digitalvideo etwas von ihrer früheren künstlerischen Schönheit eingebüßt haben. Es ist auch die Ironie, die stärker als früher aus den achterbahnartigen Sequenzen hervorblitzt. Am stärksten wird diese in dem immer wieder gezeigten Wohnzimmer erkennbar, in dem drei Menschen mit Hasenköpfen teils wortlos verharren, bügeln oder sinnlose Äußerungen von sich geben. Fast wirkt es, als wolle der Regisseur in diesen Momenten seine eigenen Filme persiflieren.
Sein neues Werk war David Lynch so wichtig, dass er es selbst finanzierte und in die Kinos brachte, nachdem das niemand für ihn übernehmen wollte. Und trotz drei Stunden voller Anstrengung, Verzweiflung, Ratlosigkeit, aufkommender Aggression und völliger Überforderung ist ihm da wieder etwas gelungen, etwas Beeindruckendes. Auch über „Inland Empire“ wird es Bücher geben, und die Kneipendiskussionen werden erneut ohne eindeutiges Ergebnis enden.
David Lynchs Phantasiereichtum ist, wie sein neuester Film eindeutig beweist, noch längst nicht ausgeschöpft. Und da ist er wieder, der Wunsch nach mehr. Trotz aller Verstörung. Kurz bevor „Inland Empire“ zu Ende ist, blickt eine Figur in die Kamera und sagt: „How weird“.
Silvia Weber
Leute, Leute…..So viel Kakophonie, Maßlosigkeit und Egomanie in euren Rezensionnen. Geniesst doch lediglich diese genial entrückten Filme, interpretiert sie wie ihr woll, wenn eure Phantasie reichhaltig ausgestattet ist.
Das ist der Genuss und der Sinn von Filmen, wie diejenigen von David Lynch. Der Film ist die Droge. Sie kann nur das aus eurem/unserem Unterbewusstsein in die Bewusstseinsebene katapultieren, was bereits als bestehendes „Futter“ in uns schlummert.
Ich gestehe, ich sitze einfach nur mit weit aufgerissenen „inneren“ Augen vorm Fernseher, kann schier nicht mehr atmen vor widerwärtiger Faszination und Leidenschaft für das Unverständliche, das sich vor mir abspielt, und verstehe nicht, will nicht verstehen, muss nicht verstehen, was sich der Meister dabei dachte.
Ich sauge es in mir und beobachte, was es mit mir anstellt.
That´s all….