vonChristian Ihle & Horst Motor 29.06.2007

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Vor ein paar Jahren besuchte ich einen Vortrag zweier Techno-Produzenten während einer Architektur-Tagung. Die zwei Elektronik-Musiker verglichen den Aufbau eines Techno-Tracks mit der Architektur eines Bauwerks und demonstrierten diese These mit einem Stück, das sie vor den Augen, der meist älteren Herrschaften, komponierten.
Sie legten zuerst das Fundament mit einem rhythmischen Bass-Geräusch an, dann kamen Hi-Hat (Mauern) und Clap-Geräusche (räumliche Abtrennungen und Zimmer) dazu und irgendwann wurde die Melodie dazugebaut, welche die Eigenständigkeit des Songs (Gebäudes) herausstellte. Der Song unterschied sich von allen anderen, weil Einzelteile wohldosiert zusammengebaut wurden. An den richtigen Ecken entstanden Abrundungen oder auch scharfe Kanten. Man wusste, wie viele Stockwerke man will und wie hoch das Haus werden sollte (so zirka dreieinhalb Minuten).
Irgendwie hatte diese Idee Hand und Fuß. Sie bastelten noch ein bisschen an den Feinheiten (Türen, Fenster, Fußbodenheizung, Jacuzzi) und schon war man restlos begeistert. Ich dachte von da an, jede elektronische Platte durchschauen zu können.

Bis das Digitalism-Album in meinem Player landete. Angeteasert von einem Zeitschriften-Cover mit den beiden Hamburger Musikanten im Blümchen-Hintergrund, erwartete ich blubbernde französische Fahrstuhl-Schmusereien mit viel Watte und Seifenblasen. Und mir war auch klar, dass ich jeden einzelnen Song mit meinem Architektur-Vortrag locker auseinander nehmen kann. Nur: Digitalism bauen keine Häuser wie Architekten, sie reißen Gebäude ein. Und zwar wie muskelbepackte Heimwerker zerhacken sie Beton mit bloßen Händen.
Weil sie Techno anders begreifen. Und weil sie Rock beherrschen. Rock and Roll.

Hier geht es nicht um filigrane Klang-Experimente, hier will man Deinen Arsch in Bewegung setzen. Es wurden keine winzigen Bausteine strukturiert verlegt, sondern Kracher angelegt. Die vorne mit Rauch beginnen, irgendwann richtig brennen und zum Schluss explodieren.

Digitalism scheinen mehr von Rock gelernt zu haben, als es die meisten Techno-Acts es jemals tun werden. Deshalb klingen ihre Tracks auch wie Rocksongs. Elektro-Rock.
Nicht im Landjugend-durch-die-Decke-gehen-lassen-Style, wie Prodigy oder Apollo 440, sondern wie moderner Techno gehen soll. Nicht dumm, sondern ausgefuchst. Rock hat sich schließlich auch weiterentwickelt. Naja, doch nicht, aber egal.
Und so kommt hier das Riff aus der Ecke und irgendwann brettert das Schlagzeug (als sei es ein echtes) so durch den Boden, dass man die Hände einfach in die Luft reißen muss. (säm)

Anhören!
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* Jupiter Room (hier)

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