vonChristian Ihle & Horst Motor 03.07.2007

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Paul McCartney – Memory Almost Full

Im Gegensatz zu Dylan macht McCartney immernoch nicht den Eindruck, altersweise geworden zu sein. Fehlt eigentlich nur noch, dass sich der Alt-Beatle dem Genre New Rave zuwendet. Soweit ist es Gottseidank noch nicht gekommen. Knapp vorbei am Zeitgeist schrammt der gute Songwriter immer wieder. Das Dumme ist: er versucht trotzdem immer wieder, möglichst nicht so zu klingen, als trage er 5 Kilo Musikhistorie auf dem Rücken.

Damit schafft er dann Semi-Hitalben wie „Chaos and Creation in the Backyard“, das vor zwei Jahren für mittelmäßige Furore unter den „Rolling Stone“-Lesern sorgte. Nun also „Memory Almost Full“ – das lädt ja geradezu ein zu dämlichen Wortspielen und dicker Häme. So leicht macht es einem McCartney allerdings wieder nicht. Denn das neue Album beinhaltet keinen unsäglichen Super-Hit wie „Hope of Deliverance“. Stattdessen gibt es gute, aufgepeppte Hausmannskost. Dicker Hefebrei wird mit chemischen Substanzen gestreckt – McCartney jault gleich mal, er wolle tonight ordentlich dancen. Trotzdem ist der Opener „Dance Tonight“ ein geschickter Song. Er bedient sich nämlich nicht der üblichen Klisches, sondern hat, abgesehen vom unsäglichen Text, eine polternde, melodieselige Leichtigkeit, wie man es schon lange nicht mehr aus der Feder McCartneys gehört hat. „Ever Present Past“ lässt dann den Zuhörer gar mit offenem Mund staunen. In welchen Jungbrunnen ist der Brite denn da gefallen? Liegt es vielleicht an der Millionenscheidung?
Wie zum Trotz gibt sich Macca hier so verspielt wie lange nicht mehr.

„Only Mama Knows“ ist sein spätes, faltiges „Helter Skelter“ (und klingt dabei gar nicht mal so übel wie man erwarten könnte). „You tell me“ atmet psychedelische Spät-Hippie-Schwere und im Mittelpunkt „Mr Bellamy“ findet McCartney dann zu wahrer Größe. Der Rest: halbgar und arg verspielt. Besser als „Chaos…“ ist „Memory almost full“ allemal. Ob es als Testament so stehen bleiben darf, sei dahingestellt. Aber der Gute gibt sich fit, was sollen wir da befürchten?

Anhören!
*Dance Tonight
*Only Mama Knows
*Mr Bellamy

Im Netz:
* Homepage
* MySpace
* Indiepedia

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Basia Bulat – Oh My Darling

Basia Bulat lebt in London, Ontario und pflückt verträumt und bescheiden Song-Kleinode von den Bäumen und Sträuchern. Dass sie ein gutes Händchen bei der Aufzucht und Auswahl ihrer Songs hat, beweist ihr Debüt „Oh my Darling“. „You and I, we make a grand salute / stare at eachother like lost little birds across the room / and I remember the way you looked / I learned how to dance, but I’d never shown it to you“. Wie Basia da ihre zarte, leicht rauchige, immer betörende Stimme in „Little Waltz“ einsetzt, das sollte jeder mal gehört haben.

Das dachte sich wohl auch Howard Bilerman, der bereits Arcade Fire produziert hat, und verpasst der jungen Dame ein Debüt-Album, das so erdgebunden klingt und mit jeder Pore Melancholie verströmt. Basia Bulat zupft die meiste Zeit ein wenig verträumt und verjazzt auf ihrer Akustikgitarre und wird dabei immer wieder von Klavierspuren und sanften Drumparts begleitet. Man hat nicht unbedingt das Gefühl, dass Bulat die führende Hand innehat. So konzentriert klingt die Gute, als ob sie alles um sich herum vergäße. Da kann man gut wieder Joni Mitchell einwerfen.
Als Referenzpunkt aber relativ unbrauchbar, weil sich die moderne Folk-Bewegung eher gegenseitig befruchtet. Basia Bulat sollte mit Nina Nastasia, Anais Mitchell und Feist auf Tour gehen, die nötige Aufmerksamkeit wäre ihr dann gewiss. Eine Aufmerksamkeit, die auch ihr Debüt „Oh My Darling“ verdient hat. Weil es sich zwar in Melodieseligkeit verliert, dabei aber immer ganz fest den eigenen Erfahrungshorizont im Blickfeld hat. „Snakes and Ladders“ poltert durch die Städte Ontarios und hat eine Ernsthaftigkeit an sich, eine Dringlichkeit, die ergriffen macht. Wie da Streicher, Klavier und insbesondere Basias Stimme ihre eigenen Pirouetten nebenher drehen – da wird einem ganz schwindelig. Schaffen ja nur wenige ruhige Folk-Alben.
Das hier jedenfalls ist ein neuer Beweis dafür, dass Songwriter-Alben zeitlos sein können. Und das bei einem Debüt…

Anhören:
*Little Waltz (hier)
*Snakes and Ladders (hier)
*Before I Knew

Im Netz:
* Homepage
* MySpace

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The Mary Onettes – The Mary Onettes

Die Frage, was eigentlich explizit schwedisch in der Musik sei, kann auch das Debüt der Mary Onettes nicht klären. Im Gegenteil – das selbstbetitelte Album klingt so kalt nach Manchester, dass man sich schon ein wenig fragt, warum Labrador nun ausgerechnet diese Band unter Vertrag genommen hat. Aber irgendwie passt dann doch wieder alles: im Sound und in der Produktion ist das Album ein typisches Labrador-Signing. Weil hier Kein Ton zuviel, alles wie mit dem Skalpell getrennt und klinisch rein an seinen Platz gerückt ist.

Mary Onettes haben Echo & The Bunnymen und Joy Division verinnerlicht wie sonst keine andere Band. Gelackte Referenzpunkte. So explizit wie jetzt die Mary Onettes hat noch keine schwedische Band die 80er Jahre kopiert und okkupiert. Warum aber nicht, wenn dabei so wunderschöne Songs entstehen? „Pleasure Songs“ täuscht noch ein wenig darüber hinweg, was im Anschluss kommen. Das ist sphärischer Songwriter-Pop – tiefhängende Wolken, viel Grau in Grau. Pleasure Songs? Mitnichten. Dann aber folgen „Lost“ und das kongeniale „Void“ und machen den Weg frei für besten Wave Punk und einer großen Portion Shoegazer. So direkt wie auf „Lost“ haben nichtmal Interpol geklaut. Die Dreistigkeit aber macht Spaß. Mit „Void“ dürften The Mary Onettes wahlweise die Disco leerspielen oder den Club zum kochen bringen. Überall laufen träge Bassläufe und klimpernde Synthies umher. Viel Pathos, viel Leidenschaft.
Vielleicht spielt gerade bei solchen Vektoren die Nationalität überhaupt keine Rolle mehr. Nichtmal eine musikhistorische Nationalität. Feines Gesamtkunstwerk.

Anhören:
*Void
*Lost (hier)
*Pleasure Songs

Im Netz:
* Homepage
* MySpace
* Labrador Records

(alle Texte: Robert Heldner)

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kommentare

  • Hey, Ihr seid aber zwei scharfe Hunde betr. der Kritik McCartney
    und dokumentiert, mit Eurer gewiss subjektiven Meinung, Eure erstaunlich, laienhafte Kritikfähigkeit.

    Als Musikstudent kann ich nur feststellen, dass Chaos immerhin Grammy-nominiert war und dort sitzen beileibe keine Deppen.

    Das neue Album ist in der Tat noch besser; zeigt mir einen Sänger der Neuzeitlichen, der solche abwechslungsreiche und stimmen-variable Songs bringen kann- live ganz zu schweigen.

    REVOLUTION
    POWER TO THE PEOPLE – LOVE & PEACE

    Grüsse Wolfe

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