ARD und ZDF haben die Berichterstattung der Tour de France abgebrochen, die kommentierenden Stimmen sind sich uneins: einerseits wird der Schritt begrüßt, andererseits den beiden Sendern Scheinheiligkeit vorgeworfen.
Betrachtet man die Vergangenheit und insbesondere im Fall der ARD die wirtschaftliche Verflechtung mit dem deutschen Radsport, so mag diese Saulus-Paulus-Wandlung fragwürdig erscheinen. Doch es bleibt festzuhalten: welche Wahl blieb den Sendern denn? Was hätte denn noch passieren müssen, nachdem seit Greg Lemond vor 17 (!) Jahren kein Tour de France Sieger mehr ohne dringenden Dopingverdacht oder –Nachweis auskam? Nachdem der letztjährige Sieger immer noch vakant ist, weil sich die Farce um Floyd Landis’ Dopingprobe bis zum heutigen Tag nicht geklärt hat? Nachdem die beiden letzten Telekom-Sieger der Tour gedopt waren? Nachdem die halbe Telekom-Mannschaft in der Zwischenzeit Doping gestand? Nachdem nun letztenendes auch noch einer der „jungen“, angeblich so sauberen Fahrer aus dem T-Mobile-Team überführt wurde? „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ sagen De Höhner und haben recht.
Die Verfolgung Unschuldiger
Die Radsport-Familie zeigt sich bestürzt und entrüstet. Die Tour de France Leitung lässt verlauten, man würde ihnen damit Knüppel zwischen die Beine werfen, wo sie doch so sehr um sauberen Radsport bemüht sind. Klar, deshalb hat auch seit 1989 kein Fahrer mehr gewonnen, der nicht zumindest mutmaßlich gedopt war. Deshalb lassen sie auch den Dänen Rasmussen im gelben Trikot weiterfahren, der vier Trainingskontrollen verpasste. Deshalb lassen sie den spanischen Tourfavoriten und Gesamtzweiten Valverde starten, der erwiesenermaßen Kunde des EPO-Papstes Fuentes war. Deshalb liegt auf Platz drei der Gesamtwertung der Spanier Iban Mayo, der beim letzten Giro d’Italia positiv getestet wurde. Deshalb ließ man auch zu Beginn der Tour die Fahrer unbeobachtet zwischen Ziel und Dopingkontrolle – so dass man schon nachfragen wollte, ob es nicht praktischer wäre, ein Betreuer bringe den Urin einfach vorbei als die armen Fahrer damit zu drangsalieren.
Jens Voigt, der Aktivensprecher, vergleicht das Verhalten von ARD/ZDF mit der DDR, weil hier zwei Männer eine Entscheidung gegen das radsportverrückte Volk getroffen hätten. Man hatte Voigt bisher immer noch für einen der intelligenteren der alten Garde gehalten, doch auch bei ihm kann man nur noch mit dem Kopf schütteln. Wir schauen gespannt nach Leipzig, zu welcher Stärke die Montagsdemonstration Pro Tour anwachsen wird. Warum vergleicht Voigt die ARD/ZDF-Oberen Struwe und Brender nicht gleich mit Hitler und Goebbels und die unter Generalverdacht stehenden, verfolgten Radsportler mit dem Nazifeldzug gegen die Juden? Würde das nicht noch mehr knallen?
Scheinheiligkeit? Blanker Zynismus!
Zum Glück für den Radsport springt Sat1 ein, das sich nun als Kämpfer für die Informationsfreiheit des Fernsehzuschauers geriert, dass einem schlecht werden kann. Der Sender, der in dieser Woche mit kühlem Blick seine Nachrichtenredaktion geköpft hat, stockt nun sein Informationsbudget durch Übertragungen von der Tour de France auf und verkauft das als Rettung für den mündigen Zuschauer und sich als Kämpfer unschuldig Verfolgter. „Wir sind der Meinung, dass Fernsehen keine höchstrichterliche Instanz ist. Wir sind nicht für Pauschalstrafen“ so die die Sprecherin des Haussenders von Barbara Salesch und Alexander Holt, Kerstin Faßler. „Schwer nachvollziehbar“ sei die Kritik an den Übertragungen für sie und bei den Olympischen Spielen gebe ja auch keiner die TV-Rechte ab, nur weil gedopt würde. Wunderbar, warum einen Mörder verurteilen, wenn man doch nicht alle erwischen kann? Scheinheiligkeit ist für das Wirken Sat1s noch untertrieben, hier regiert der blanke Zynismus. Sat1 hat in einer Woche mehr für den Erhalt des dualen Rundfunksystems und für die Existenz der Öffentlich-Rechtlichen getan als zwanzig Jahre Lobbyarbeit desselben vermochten.
Tief im Glashaus
Doch auch die weiteren Medien sind nicht frei von Schuld. Reinhard Mohr watscht ARD und ZDF auf Spiegel Online ab: „Fest im Sattel der Heuchelei“ schreibt Mohr. Vielleicht sollte er bei Gelegenheit einen Blick auf die Seite seines Arbeitgebers werfen, der wieder mal aufs Neue links kritisiert, was er rechts nützt. Wie Stefan Niggemeier schon anlässlich der Absurditätshöhen der Paris-Hilton-Berichterstattung nachgewiesen hat, watet SpiegelOnline tief im Sumpf der Scheinheiligkeit. Dass der von bet & win schön präsentierte Liveticker abgebrochen wird? Nicht daran zu denken! Da lieber noch einmal die zweiundzwanzigste Story des Tages über die Tour hinterherschieben. Im Gegensatz zur ARD hat SpiegelOnline auch kein Problem damit, Marcel Wüst weiter als Experten zu beschäftigen, der zu einer Zeit erfolgreich Rad fuhr als das systematische Doping Hochkonjunktur hatte. SpiegelOnline hat es sich im Glashaus gemütlich gemacht und beschädigt nach und nach die Reputation seines Mutterblattes.
Der einzige Weg
Im Gegenteil: der Schritt von ARD/ZDF, die Übertragungen abzubrechen, ist der einzig richtige. Die Sender sollten von der scheinheiligen Kritik, sie würden auch Olympia oder Weltmeisterschaften trotz Dopings übertragen, lernen. Kein Fernsehvertrag darf mehr abgeschlossen werden ohne Rücktrittsrecht bei einem vorher definierten Dopingfallaufkommen. Die Dopingkontrollen müssen von einer externen Kommission durchgeführt werden, die besser noch weiter dem Würgegriff des organisierten Sports entzogen ist als Wada und Nada. Die stetig steigenden Fernsehgelder bei den großen Sportveranstalten sind zu einem gewissen Prozentsatz an diese Kommission abzuführen, die dadurch die Konsequenz im Dopingkampf bezahlen kann. Nur wenn der organisierte Sport Angst um seinen Geldgeber haben muss, der noch dazu eine Multiplikatorfunktion für die Sponsoren darstellt, wird er sich dem Kampf gegen Doping stellen und von den Lippenbekenntnissen des Jetzt abrücken.
Weiterhin muss das Strafrecht so verändert werden, dass auch der Gebrauch von Doping, um sich in Wettbewerben einen Vorteil zu verschaffen, geahndet werden kann. Entgegen des Mantras von IOC-Vize Bach soll der betrügende Sportler gerade eben kriminalisiert werden. Warum, um alles in der Welt, denn auch nicht? Der Fall Fuentes und die fehlenden Konsequenzen für die meisten Fahrer zeigt mehr als deutlich: jedes Land mit Profisport braucht die Staatsanwaltschaft um organisiertes Doping zu brechen, zu ahnden und zu bekämpfen.
Der Druck muss von beiden Seiten kommen: der Staat schafft die Voraussetzung für Ahndung, das Fernsehen für Ächtung. Solidarität unter den Fernsehsendern wäre wünschenswert, aber selbst wenn Privatsender diese Linie durchbrechen würden, sorgt der Markt über sinkende Fernsehpreise (da weniger Sender um den Kauf der Fernsehrechte konkurrieren, wenn sich der Veranstalter nicht der Doping-Klausel fügt) für Druck auf den Ausrichter. Es wird ein langer, ein steiniger Weg. ARD/ZDF haben den ersten Schritt getan.
Christian Ihle
[…] Juli 21st, 2007 In dem tazblog Monarchie & Alltag habe ich folgenden Abschnitt zur Tour de France gefunden: Jens Voigt, der Aktivensprecher, vergleicht das Verhalten von ARD/ZDF mit der DDR, weil hier zwei Männer eine Entscheidung gegen das radsportverrückte Volk getroffen hätten. Man hatte Voigt bisher immer noch für einen der intelligenteren der alten Garde gehalten, doch auch bei ihm kann man nur noch mit dem Kopf schütteln. Wir schauen gespannt nach Leipzig, zu welcher Stärke die Montagsdemonstration Pro Tour anwachsen wird. Warum vergleicht Voigt die ARD/ZDF-Oberen Struwe und Brender nicht gleich mit Hitler und Goebbels und die unter Generalverdacht stehenden, verfolgten Radsportler mit dem Nazifeldzug gegen die Juden? Würde das nicht noch mehr knallen? […]