Elvis Perkins – Ash Wednesday
Als Sohn eines berühmten Vaters hat man meistens schwer zu kauen: an
Selbstzweifeln, an Minderwertigkeitskomplexen, an Erfolgssucht und
Erfolglosigkeit. Bei Elvis Perkins liegt der Fall etwas anders. Der
hat vor allem an einer fast schon obszön-tragischen Familiengeschichte
zu leiden. Vater Anthony Perkins war nämlich zeitlebens bisexueller
Leinwandpsychopath, der nach jahrelangem (sogar vor seinen eigenen
Kindern) verheimlichten AIDS-Leiden 1990 verstarb.
Elvis Perkins Mutter verstarb nun ausgerechnet am 11. September 2001 –
sie saß in Flug 11, der ins World Trade Center raste. Es lässt sich
also fast erahnen, dass Perkins Debütalbum nicht gerade ein
Funpunk-Feuerwerk sein würde. tatsächlich ist es aber ein Folkalbum
geworden, dass sich nicht ausschließlich an die eigene Tragik hängt,
sondern durchaus eigene Höhenflüge verzeichnen kann. Bloß: wie macht
man das, ein Album aufnehmen? Bei einer solchen Tragik auf dem
Kerbholz? Elvis Perkins hat es geschafft, „Ash Wednesday“ vom Ballast
des Namens Perkins zu befreien. Wie aus dem nichts kommt dieses
wunderschöne Folkalbum daher (das Perkins im übrigen gar nicht als
Folkalbum bezeichnet hört), teilt sich selbst in beschwingte und
melancholische Kleinode auf und hinterlässt den Zuhörer zum Schluss
ratlos. War das jetzt eines dieser Highlights, die einem erst in der
Retrospektive auffallen werden? Womöglich wird sich Perkins erst in
ein paar Jahren wirklich als großer Songwriter neben die Namen von
Leonard Cohen, Nick Drake, Elliott Smith oder Neil Young eingeritzt
haben. Bis dahin ist „Ash Wednesday“ das bittersüßeste
Songwriter-Versprechen des Jahres.
Anhören:
While you were sleeping (hier)
May Day!
Good Friday
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Taken by Trees – Open Field
Die schönsten Stimmen sind immer die fragilsten. Wer braucht schon
donnernde Opernsängerinnen, wenn die Sanftheit einer Victoria Bergsman
durch die feinen Drähte und Membrane der Stereoanlage schallt? 11
Jahre lang Bergsman Vorstandsvorsitzende des mittelständischen
Pop-Unternehmens The Concretes. Ihr Aus gab die Sängerin Anfang
letzten Jahres bekannt und bedrückte damit nicht nur viele Fans in
ihrer Heimat Schweden. Aber meine Güte, was dann kam, konnte keiner
ahnen…
Ein paar Pfeiftöne und ein gehauchtes „would you go along with someone
like you!“ – fertig war der absolute Sommerhit. Peter Bjorn and John
hatten Victoria Bergsman als Gastsängerin eingeladen und mal eben
einen Volltreffer gelandet. So richtig wohl hat sich Bergsman aber
nicht gefühlt. Die wenigen Auftritte mit Peter Bjorn and John stand
sie stocksteif und vollkommen gehemmt im Rampenlicht. Da verwundert es
fast ein wenig, dass Bergsman trotzdem noch ein Solo-Album eingespielt
hat. Aber im Studio kann man sich gut verstecken. Wieder mit dabei:
Peter und Bjorn, weniger John. Deshalb auch: astreine Produktion, viel
Klimbimm, ein wenig Gerassell hier, ein wenig gezupfe da. Allerdings
wurde die Instrumentierung so sparsam gehalten, dass Victorias Stimme
alles andere überstrahlt. Manchmal klingt „Open Field“ gar wie eine a
capella Version früherer Concretes-Hits.
Der Opener „Tell Me“ fängt so sparsam an, wie der Rest des Albums dann
auch verläuft. Ein paar Pickings auf der Akustikgitarre, ein dumpfes
Poltern, und dann Victorias einfühlsame Stimme. Auch das schwermütige
und beschwingte „Lost And Found“ erzählt so einiges aus dem Innenleben
der Sängerin. Insgesamt also ein sehr persönliches Portrait, das nur
an einigen Stellen etwas ausfranst und wenig auf den Punkt kommt.
Anhören:
Lost and Found (hier)
Tell Me
Open Field (hier)
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To My Boy – Messages
Im ganzen New Rave Gefasel bilden To My Boy den vorläufigen Höhepunkt.
Nicht, weil sie etwa dem Hype besonderes Augenmerk schenkten, sondern
weil sie in punkto Sound, Style und Konzept ähnlich weit draußen sind
wie die Klaxons. Natürlich sind To My Boy keine New Rave Band. Sie
sind noch nicht einmal würdige Nachfolger der 80er Nerds Devo – aber
das dürfte Heerscharen schlecht gekleideter Fashion-Kids auch nicht
davon abhalten, zu den Jungs aus Liverpool ausgelassen die
Neon-Slipper kreisen zu lassen.
Kann man ja auch prima. Dachten sich auch Jack Snape und Sam White vor ein bis zwei Jahren und feuerten kurzerhand Schlagzeuger und Bassist
ihrer Vierer Combo. Stattdessen gab es neben dem Kunststudium an der
Universität von Durham fortan bollernde Beats aus dem C64 und eine
dicke Fettbemme Synthies (analog, selbstverständlich). Nach zwei
Singles („I Am X-Ray“ und „The Grid“), zwei reichlich bunten und
bekloppten Videos und einer ausgedehnten Tour steht jetzt das Debüt
bei Ablano Music, einen XL-Sublabel, in den Startlöchern. Und wie
gerne möchte man schreiben von zwei Nerd-Genies, die hier den 80ern
ein modernes Gesicht geben, sich vor Hooklines und konzeptionellem
Ideenreichtum kaum retten können und somit das beste Elektropunk-Album des Jahres veröffentlichen. Außer „Tell Me Computer“ und „The Grid“ haben die Songs allerdings eher die Fähigkeit, innerhalb weniger Augenblicke so richtig zu nerven. Penetrantes Fiepen, sinnfreie und
unästhetisch mäandernde Textfragmente – nicht gerade etwas, auf das man gewartet hatte.
Anhören:
The Grid
X-Ray (hier)
Tell me Computer
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Alle Texte: Robert Heldner