SpiegelOnline kann so schöne Seiten haben: es ist immer recht aktuell, man kann den einen oder anderen vernünftig recherchierten Artikel vorab im Internet lesen, die Themenauswahl weist eine deutlich breitere Aufstellung auf als die Printausgabe es zu leisten vermag, Jan Wigger schreibt seine Platten-Kritiken…
…aber für alles Gute und Schöne muss man auch viel Unsinn ertragen, der in Teilen so weit reicht, dass die Online-Ausgabe des Spiegel beginnt, die Reputation der Printausgabe zu beschädigen.
Muss man wirklich einem SpiegelOnline-Redakteur zuschauen, wie er in Second Life unterwegs ist und dort verzweifelt-belustigt Cyber-Sex sucht? Braucht man die chauvinistischen Oberlehrerkommentare aus Bastian Sicks Zwiebelfisch tatsächlich? Ist die breitere Themenauswahl wirklich ein Segen?
Das Spiegel Online Panorama
Denn, ehrlich: was SpiegelOnline im „Panorama“-Teil abfrühstückt, sind die üblichen Luftblasen, die PR-Agenturen von Schauspielern und Sängern produzieren. Willfährig abgeschrieben, ohne Recherche oder Hinterfragen macht sich Spiegel Online zum Handlanger und Multiplikator von Nichtmeldungen. Noch schlimmer: der einmal in der Woche behandelte und dann gerne als „Junkie-Rocker“ (könnte die Bildzeitung nicht besser!) betitelte Pete Doherty findet sich mit Berichten wieder, die unabhängig von Wahrheitsgehalt oder Glaubwürdigkeit 1:1 aus den britischen Revolverblättern Daily Mirror oder Sun abgeschrieben sind. Über die ubiquitäre Paris-Hilton-Berichterstattung wird sich an einer Stelle mokiert, ohne aber – wie von Stefan Niggemeier in der FAS schön aufgezählt – sich zu scheuen, 28 Artikel allein im Monat Juni über die Dame zu veröffentlichen.
Recherche und Interviews waren gestern: wir haben Internetforen!
An derartige Heucheleien und Faulheiten in der Eigenrecherche hatte man sich ja bereits mehr oder minder gewöhnt, doch nun geht SpiegelOnline tatsächlich auch noch dazu über, wild und wahllos aus Internetforen abzuschreiben statt selbst Interviews zu führen oder gar sauber recherchierte Hintergrundberichte zu verfassen.
So geschehen heute, zum Thema „möglicher van der Vaart – Wechsel vom Hamburger SV zum FC Valencia„: wird ein Interview mit dem betroffenen Spieler geführt? Erkundigt man sich beim Trainer wie er seinen Topstar zu ersetzen gedenke? Wird der Manager gefragt, ob er aus den Spielerverkäufen der letzten Saison mit folgendem Abstiegskampf gelernt hat? Wird vielleicht gar in Spanien mit dem angeblich interessierten Topklub gesprochen?
Ach, woher! Wir haben ja Internetforen! So erfahren wir, dass der User „Tübinger“ im HSV-Forum van der Vaart mit Neil Armstrong und den HSV dann wohl offensichtlich mit dem Mond vergleicht. Oder so. Ungefähr.
Auch schön zu wissen, dass „Flyboykiel“ van der Vaart für unzurechnungsfähig erklärt und ein anderer Fan absurde interne Umbesetzungen für die freie Stelle des Mittelfeldregisseurs andenkt (Stürmer Zidan ins Mittelfeld, weil dieser dribbelstark wäre. Ehm ja) oder User „Düwel“ den Gedanken weiterspinnt, und Abwehrspieler van Buyten aus München zurückholen möchte, diesen im Sturm einsetzt, um Stürmer Zidan ins Mittelfeld zu schieben. „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ schreibt Spiegel Online den Forumsnutzern tadelnd ins Gebetbuch.
Journalismus ist, wenn man alles schreibt?
Christian Ihle
Es wäre wahrscheinlich kein gutes Zeichen, würde man etwas kritisieren ohne es zu lesen, nicht?