vonChristian Ihle & Horst Motor 15.11.2007

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Wenn man sich im Anflug auf den Flughafen Keflavik (zu deutsch: Treibholzbucht) befindet, staunt man nicht schlecht.
Sieht so ein Land aus? Hat sich der Typ vorne im Cockpit verflogen und wir landen auf dem Mond? Wo, um Himmels Willen sind hier die Straßen, Häuser, Bäume und Menschen?

Wenig später verlässt man den Flughafen durch die Vordertür und erlebt am eigenen Leib, was mit Tiefausläufer gemeint ist, wenn der Wettermann mal wieder mit dem Zeigestab auf der Karte nach Island deutet und von miesen Wetter spricht.

Es stürmt und regnet in Strömen. Festivalwetter.
Im Bus nach Reykjavik bemerkt man dann, dass sich in den letzten zehn Minuten Herbststurm, Regen und strahlend blauer, wolkenloser Himmel mindestens vier mal abgewechselt haben.

Es raucht aus der Erde und warum Reykjavik nie zu Berlin geworden ist

Kurz vor Reykjavik kommt Rauch aus der Erde (Reykjavik heißt auf deutsch Rauchbucht) – inmitten einer schroffen Steinwüste. Die Verwunderung darüber wird sich noch steigern, wenn man zum ersten Mal in der Blue Lagoon direkt neben dem Erdwärme-Kraftwerk in 40 Grad heißen Wasser badet.

Island, rauchend

Es gibt ja immer wieder dieses Gerücht, dass die Isländer nur so verschroben tun. Dass ihre Art und Weise, der angebliche Glaube an Elfen, die Besinnung auf die Natur, Sigur Ros und Björk, dass das alles nur ein riesiger Marketing-Coup ist.
Das man dort längst über uns lacht, weil wir immer wieder isländische Produkte kaufen oder dorthin fliegen, um Urlaub zu machen, weil wir das Land so wunderlich und großartig finden.
Weil wir die esoterische Anziehungskraft lieben und oft gerne so sein würden, wie die wunderlichen Isländer. Und: Reykjavik wäre längst ein zweites Berlin, wenn die nicht diese hohen Preise hätten (Rekord beim Iceland Airwaves heuer: ein Bier im Club NASA kostet stolze 1000 isländische Kronen, was umgerechnet ungefähr 11 Euro sind).
Weil: ähnlich wie in Berlin, hat man hier den Eindruck, dass das Künstler pro Kopf-Verhältnis immens hoch ist. Nur sehen die Kreativen in Reykjavik ein bisserl zufriedener aus. Irgendwie.

Marketing mit Sigur Ros

Island hat eine wunderbare Marketingabteilung.
Die PR-Beauftragten der Fluggesellschaft Iceland Air steckte zum Beispiel ihre Köpfe mit den Stadtoberen von Reykjavik zusammen und gemeinsam finanzierte man eine DVD, die Anfang November auf den Markt kam. Kein normaler Imagefilm über schöne Touristenorte und die besten Reisetipps. Nein, „Heima“ wird als Tourfilm der isländischen Nationalhelden Sigur Ros verkauft.
Und ärgert sich jemand hier über die unterschwellige Werbung zwischen Liveaufnahmen? Über Bilder von wunderschönen Wasserfällen, dem Geysir und klitzekleinen Holzhäuschen im Hinterland (also überall außerhalb von Reykjavik)?
Nein. Vielleicht schwärmen hierzulande auch bald Tocotronic auf einer Live-DVD vom Chiemsee, der Lüneburger Heide und der Uckermark. Lieber nicht.

Stadt und Fluggesellschaft unterstützen seit ein paar Jahren auch das Iceland Airwaves Festival, das Mitte Oktober in Reykjavik stattfindet.
Sinn und Zweck dieses Festivals ist unter anderem, ein paar hochkarätige Bands aus den Vereinigten Staaten und Königreich plus dem europäischen Festland nach Island zu holen und in die gleichen Flieger Fans und Journalisten aus der ganzen Welt (Island liegt so ungefähr gleich weit von Kontinental-Europa wie von den USA entfernt) zu setzen. Somit können sich auch die isländischen Bands vor einem internationalen Publikum ausprobieren. Und ganz nebenbei die internationale Musikpresse von sich überzeugen.

Konzerte zwischen Antikmöbeln und aufstrebenden isländischen Künstlern

Vor zwei Jahren taten das Jakobinarina, eine Band um ein paar Jungspunde, die allesamt gerade mal volljährig geworden sind. Ihre Mischung aus dem Sound von The Fall und der Hyperaktivität der Chipmunks bejubelte erst die US-Ausgabe des Rolling Stone Magazins, bis im letzten Jahr der britische NME aufmerksam wurde.

Jakobinarina

Diesen Herbst erscheint weltweit nun endlich das Debütalbum „The first Crusade“, während Jakobinarina sich auf Island schon Popstars nennen dürfen.
Bei ihrem Auftritt im Gaukurinn springt dann auch der Plattenfirmenboss (Larus vom isländischen 12 Tonar-Label) gemeinsam mit Fans und Journalisten in den Pogomob.

Kurz davor konnte man auf der anderen Straßenseite im Art Museum noch Múm sehen. Mit zwei Sängerinnen begeistern diese eher im beschwingten Stil von Belle & Sebastian statt wie früher mit sphärischen Klängen zu benebeln.

Das Art Museum beherbergt als größte Location im Laufe des Festivals noch internationale Acts wie Bloc Party, Trentemöller, Grizzly Bear und Of Montreal.

Wen diese Bands nicht ansprechen, der treibt sich in den vielen Räumen des Museums herum. Die ausgestellten Werke isländischer Künstler bleiben natürlich während des Festivals aufgebaut.
Niemand kommt auf die Idee, im Überschwang und Rausch das eine oder andere Bild zu verschönern oder es mit Bier zu bespritzen (okay, bei den Bierpreisen dann ja eh nicht). Man nimmt Rücksicht und benimmt sich. Austoben passiert vor der Bühne.

Ähnlich im Iðnó (wie auch immer man das ausspricht). Wer dort zwischen den Shows von Benni Hemm Hemm und Lali Puna (das Goethe-Institut flog heuer halb Weilheim nach Island und bot neben Lali Puna auch Ms. John Soda und das Tied & Tickled Trio auf) mal aufs Klo musste, ging in der alten Villa an antiken Möbeln, einem Bankettsaal samt Kronleuchter und an einer alten Tuba vorbei. Während man hierzulande wohl nicht lange warten dürfte, bis die Tuba in Gebrauch genommen wird und man sich am Kronleuchter schwingt, blieb die Tuba dort auf dem Parkettboden stehen und im Bankettsaal ließ man sich nur gemütlich nieder, um dort auch standesgemäß ein Getränk einzunehmen.

(Säm Wagner, Fotos: Björn Szostak)

Morgen: Isländischer Hair Metal und die heimische Antwort auf 50 Cent…

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