Troy von Balthazar – Troy von Balthazar
Gerade hab ich eines der ersten Interviews gelesen, das für mein altes Fanzine geschrieben wurde. Mawe, Kicko und ich trafen nach einem Tocotronic-Interview (unser allererstes Interview) am hinteren Bühnenausgang die hawaiianische Band Chokebore, die wir Minuten vorher (auch zum ersten mal) live gesehen hatten. Wir hatten uns sofort in den Sound der Band verliebt.
Ich wollte beim Lesen des alten Interviews etwas über Troy Bruno Balthazar, Sänger bei Chokebore, erfahren.
Troy, der das „Bruno“ inzwischen aus seinem Namen gestrichen hat und jetzt ein „von“ zwischen Vor- und Nachnamen trägt, war beim Interview damals aber gar nicht anwesend. Mit den Bruderpaar James und Jonathan Kroll (Bass und Gitarre) sprachen wir über Nebensächliches, wie ihren liebsten Madonna-Song („Love don´t live here anymore“) und die von ihnen favorisierte TV-Serie („Golden Girls“). Dazwischen wollte die Band wissen, ob wir ihnen was zu Rauchen besorgen können. Wir verneinten.
Die Gewalt und die Tiefe, also die Bestandteile, die uns an Chokebore am besten gefielen, blieben außen vor. Leider.
Wir druckten das Gespräch trotzdem ab.
Troy von Balthazar treibt sich inzwischen in der Weltgeschichte herum, bleibt mal in den Bergen Frankreichs, mal in Berlin oder Leipzig für längere Zeit hängen und nimmt sporadisch Songfragmente auf.
Nicht mehr die lauten Popsongs, mit denen uns Chokebore in den Neunzigern (bitte hört die Alben „A taste for bitters“ und „Anything near water“) erklärten, wie sich Emotion in Rock ausdrücken lässt. Mit einem Klang nämlich, der Jahre lang mein Bild von Emo-Core definierte.
Wilde Typen, die ihre Gitarren auf Schienbeinhöhe hängen hatten und die sehnsüchtige Lieder über das Leben schrieben.
Troy von Balthazars Solo-Platte klingt immer noch nach Leben und Emotionen und Sehnsucht – jetzt aber nach Homerecording mit einfachsten Mitteln: in Zeiten von Shareware-Homestudios auf Apple-Notebooks wie Lou Barlow vor 13 Jahren, als der mit dem Lo-Fi-Projekt Sendridoh noch so tat, als würde das aufnehmende Tapedeck nicht mal im gleichen Raum mit den Musikanten stehen.
Und das soll gut sein?
Troy von Balthazar zeigt, dass es bei den großen Songs nicht um Technik, Spielwitz und Handwerk geht. Dass Musik nur davon lebt, wie viel in den Songs steckt. Wie viel Mensch und wie viel Herz.
Da kann eine leise Strophe gerne mal Lebensentwürfe auf den Kopf stellen. Und ein Flirren im Hintergrund einfach perfekt klingen. Weil es da war. Vielleicht in der Küche, in der die Songs aufgenommen wurden oder im Keller, in dem von Balthazar gerade die Songidee hatte. Nicht, weil sich ein hochgezüchteter Ton-Ingenieur sich das ausgedacht hatte und Pop-Marktforschungsinstitute dazu geraten haben.
Hier ist Musik entstanden, die einfach raus muss. Aus dem Herzen.
Und wessen Herz beim Anfang von „Real strong love“ nicht vor Glück springt, ach, der hat Emo nicht verstanden. Oder wie man dazu sagt, wenn etwas ehrlich von innen kommt.
Anhören!
* Real strong love
* Took some $$ (mp3)
* I block the Sunlight
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Underworld – Oblivion with Bells
Zugegeben, das Erscheinen eines neuen Underworld-Albums schmiss mich jetzt zuerst nicht aus der Bahn. Zwar bin ich keiner derjenigen, die das englische Duo nur auf die Single aus dem „Trainspotting“-Film beschränken. Nein, ich bin durchaus mit dem Werk vertraut, habe diverse Maxi-Singles und Alben im Plattenschrank und einige der wenigen Male, bei denen ich das Tanzbein schwang, erlebte man auf einem Underworld-Konzert.
Man muss jetzt nicht sagen, dass die Engländer noch die Welt retten müssen, finanziell haben sie sich durch die selbstgegründete Design- und Künstergruppe Tomato längst unabhängig gemacht.
Underworld existieren inzwischen für ihre ellenlangen Shows, was sich auch dadurch zeigt, dass sie im neuen Jahrtausend genau so viele Live-Alben wie Studio-Alben veröffentlicht haben (jeweils zwei, dazu noch eine Best of-Platte im Jahre 2003).
Trotzdem sind Underworld nicht die Rolling Stones und Underworld-Platten weiterhin nicht nur Tour-Stoff-Lieferanten. Sie bieten eine eigene Auffassung von elektronischer Musik. Ein durchdachter Beat hier, (oft) eine dezente Rhythmus-Gitarre da und Karl Hydes unverkennbare Stimme.
Auf „Oblivion with Bells“ blickt man über den Tellerrand hinaus. „Good Morning Cockerel“ ist eine wunderbare Ballade, die so traurig mitten in den achtziger Jahren aus England hätte kommen können und bestimmt von Jimmy Somerville gesungen worden wäre. Hin und wieder schaut man ins Ambient-Gefilde und am Ende bleibt man sich doch immer selbst treu.
Underworld klingen wie Underworld und sind auf den ersten Blick von jeder anderen elektronischen Band unterscheidbar.
Genau deshalb hätte mir längst klar sein müssen, dass „Oblivion with Bells“ erschienen ist. Der Opener „Crocodile“ hatte sich durch verdiente Radio- und Club-Rotation längst in meinem Kopf festgebrannt. Nur waren Underworld eben immer da (auch wenn sie fünf Jahre kein Studioalbum veröffentlichten) – wenn nicht auf dem Plattenteller, dann in der Disco (aus der Konserve), in der Halle (in Persona) oder eben an dem einen oder anderen Abend, an dem man sich mal wieder „Trainspotting“ reinzog.
Anhören!
* Crocodile
* Good Morning Cockerel
Im Netz:
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Ween – La Cucaracha
Dean und Gene Ween haben einen an der Waffel. Das wusste ich, als mir mein ehemaliger Mitbewohner zum ersten Mal „Chocolate & Cheese“ vorgespielt hat und das bestätigte sich, als mir ein Bekannter einmal seine Ween-Videoclip-Sammlung zum Bestaunen mitgab.
Das war alles aufs Äußerste lustig. Als Comedy-Truppe habe ich die Band aus Pennsylvania aber nie gesehen. Mit Liebe wird jeder einzelne Ton gespielt, das soll keine Karikatur sein. Es steckt eine Bandbreite in der Musik von Ween, die man nicht aus Spaß so vielseitig komponieren kann.
Das ist auch beim elften Studioalbum vom Duo, das in den Staaten eine große Nummer ist, hierzulande aber nur vereinzelt wahr- und ernstgenommen wurde, nicht anders. Was wir erleben, ist eine Karussellfahrt auf dem Musik-Genre-Jahrmarkt. Und durch die komplette Musikgeschichte. Eurodance bei der ersten Single (ein Augenzwinkern steht hier gar nicht zur Debatte – „Friends“ ist ein Kniefall vor Italo-Disco und Kirmes-Techno) wird abgelöst durch Hillbilly („Learnin´ to love“) und 80ies Hardrock („My own bare Hands“). Dann noch Reggae („The Fruit Man“) und ein Schlusslied („Your Party“), bei dem noch einmal Bongos und ellenlange Gitarrensoli in den Ring geworfen werden.
Für den normalen Hörgebrauch ist das neue Ween-Album auf den ersten Blick kaum am Stück genießbar, wenn man die Liebe zum Detail und den Charme der beiden verrückten Amis aber nahe gekommen ist, dann geht alles.
Ein Album muss nicht immer eine Linie haben.
Hörtipps:
Alle – kein Stück ist exemplarisch für das komplette Album
Im Netz:
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(alle reviews: säm wagner