vonChristian Ihle & Horst Motor 28.11.2007

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Der neue NME produziert einen handfesten Skandal und man fragt sich, ob denn schon wieder 1992 ist.

Die Vorgeschichte

Als Morrissey in den 80ern als Sänger der Smiths Indiepop auf die britische Kulturkarte setze, war der NME einer seiner größten Unterstützer und Bewunderer. Nachdem – der sicher streitbare – Morrissey auf Solopfaden wandelte, ereigneten sich einige Zwischenfälle, die in einem berühmten Artikel des NME gipfelten, der Morrissey Nationalismus und/oder rassistische Tendenzen vorwarf. Gründe waren einerseits Morrisseys romantisierendes Englandbild verbunden mit fragwürdigen Songtiteln (National Front Disco, Bengali In Platforms) sowie als letztendlicher Auslöser ein Konzert als Support von Madness, die bekanntermaßen eine starke rechte Gefolgschaft hatten, während dem Morrissey sich in eine England-Flagge wickelte.

Morrissey beendete daraufhin jeglichen Kontakt mit dem NME und erst seit dem Comeback-Album „You’re The Quarry“ 2004, das vom NME begeistert aufgenommen wurde, schien sich das Verhältnis langsam zu entspannen und so fand nach über einem Jahrzehnt Pause sogar das erste Morrissey-Interview mit dem NME statt.

Rassismus-Vorwürfe, reloaded

NME vs Morrissey

Der nun erscheinende NME wirft Morrissey wie bereits vor 15 Jahren vor, englandverherrlichend und gegen eine multikulturelle Vorstellung von Nation sich zu äußern („The gates of England are flooded.“). Konsequent betitelt der NME, sich seiner eigenen vergangenen Fehde erinnernd, das Morrissey-Cover mit den Worten „Oh dear. Not again.“.

Die Gegenseite spricht

Soweit, so klar.
Doch die Morrissey-Seite veröffentlicht einige interessante Fakten zu diesem Interview und wirft dem NME-Herausgeber Conor McNicholas vor, sich einen Namen machen zu wollen, in dem er ein Denkmal stürzt. Was man normalerweise noch als reine Abwehrtaktik sehen könnte, wird allerdings untermauert durch den Abdruck einer e-Mail, die der NME-Reporter Tim Jonze, der das Interview mit Morrissey geführt hatte, der Morrissey-Seite vor Veröffentlichung zukommen ließ:

„Hi Merck,
Hope you’re well. I should mention that for reasons I’ll probably never understand, NME have rewritten the Moz piece. I had a read and virtually none of it is my words or beliefs so I’ve asked for my name to be taken off it. Just so you know when you read it.
Best,
Tim“

Der Artikel trägt nun tatsächlich die sehr ungewöhnliche Unterschrift “Interview – Tim Jonze / Words – NME“: für den eigentlichen Artikel und die Anschuldigungen gegenüber Morrissey zeichnet sich also kein einzelner Journalist verantwortlich, was entgegen jeglicher NME-Gepflogenheiten steht. Die Morrissey-Seite „True To You“ druckt zudem eine Kopie des Anwaltsschreibens an den NME ab, das sogar soweit geht, anzudeuten, der NME hätte ein Angebot Morrisseys an der „Love Music Hate Racism“ Aktion von vor einigen Wochen (wir berichteten hier) bewusst abgelehnt, um diese Titelgeschichte bringen zu können.

Der Herausgeber des NME antwortet auf die Vorwürfe gewunden und widerspricht, Morrissey Rassismus vorgeworfen zu haben, sondern äußert sich dahingehend, dass er lediglich Morrisseys Ausdrucksweise unglücklich findet („Obviously no-one is accusing Morrissey of racism – that would be mad given what Morrissey says – but we do say that the language Morrissey uses is very unhelpful at a time of great tensions. I am – as I say in the magazine – fully confident that Morrissey’s comments are simply the result of a man in his 50s looking back nostalgically on the England of his youth, but his reasoning for that change is unreasonably skewed towards immigration and as a title we think that’s wrong.“). Kennt man Morrisseys Eitelkeit, so kann man annehmen, dass die Bezeichnung „a man in his 50ies“ den 48jährigen am meisten verletzt hat…

Man darf auf die weitere Reaktion des NME gespannt sein. Die Kommentare Morrisseys kommen angesichts der Vorgeschichte nicht gänzlich überraschend, doch die internen Abläufe, die der NME-Journalist Jonze preis gibt, tauchen auch den NME in fragwürdiges Licht.

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https://blogs.taz.de/popblog/2007/11/28/morrissey-vs-nme-die-rassismus-debatte-reloaded/

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kommentare

  • „Merkwürdige Diskussionsgrundlage.“ ? Ich versteh‘ deinen Kritikpunkt ehrlich gesagt nicht.
    Mit meinem Beitrag wollte ich einfach nur auf einen offensichtlichen Widerspruch hinweisen: Morrissey sollte eigentlich nur zu gut wissen, dass die britische Popkultur ohne die Einflüsse der Migrationskulturen wohl kaum ihren Stellenwert erlangt hätte.

  • Diese „Überfremdungs-Rhetorik“ ist doch genau aus dem Interview entnommen, um das es hier geht. Merkwürdige Diskussionsgrundlage. Der Typ hat ewig nicht in Deutschland spielen wollen weil wir alle Nazis sind, und nun soll er Deutschland als Vorbild für Einwanderungspolitik nennen? ???

  • …einerseits stolz auf die etablierte „britische“ Popkultur (Mod, Punk, Rave, Garage…) sein, welche ja maßgeblich immer wieder durch die Musik (Soul, Ska, Reggae…) der Einwanderer beeinflusst worden war, …andererseits eine derartige „Überfremdungs“-Rhetorik auffahren…arm!

  • Nachtrag:

    hier übrigens eine der umstrittenen Stellen, in der Morrissey auch auf Deutschland bezug nimmt. Da freuen wir uns doch alle:

    „“Also, with the issue of immigration, it’s very difficult because, although I don’t have anything against people from other countries, the higher the influx into England the more the British identity disappears.

    “So the price is enormous. If you travel to Germany, it’s still absolutely Germany. If you travel to Sweden, it still has a Swedish identity. But travel to England and you have no idea where you are.”“

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