Als der 20jährige Zach Condon im letzten Jahr sein Debütalbum „Gulag Orkestar“ veröffentlichte, war das Staunen groß: wie konnte ein derart junger Amerikaner ein so formvollendetes, tief im europäischen Folk verwurzeltes Album in Eigenregie veröffentlichen?
Auf Beiruts Debütalbum hießen Songs „Prenzlauer Berg“, „Brandenburg“ oder „Bratislava“ und Condon spielte darauf eine verfremdete, durchaus manchmal etwas kitschige Idee von osteuropäischen Folksongs. Und in diesem Satz ist das entscheidende über Condons Herangehensweise versteckt: er spielte keine osteuropäischen Folksongs, sondern er spielte seine Idee davon, wie eine osteuropäische Weise zu klingen hätte. Das Wunderliche wiederum war, dass diese Idee des 20 jährigen Jungens sofort überzeugte und an die Stelle der ursprünglichen Folksongs trat.
Es ist vergleichbar mit der alt.country-Bewegung in Amerika, die die uramerikanischen Musikstile Country, Folk und Americana in den späten 80ern, 90ern als Ausgangspunkt nahm um von dort in viele verschiedene Richtungen zu marschieren. Als Einziges war den vielen Protagonisten die Liebe zu den alten Musikrichtungen gemein, die sie mit einem dem Punkaufbruch geschuldeten Wissen gepaart hatten, dass Genre-Regeln dazu da sind, um sie zu brechen. Die alt.country-Bands spielten eine Idee davon, wie diese tief im amerikanischen Bewusstsein verankerten Musikrichtungen klingen sollten um jetzt zu sein, immer noch Gültigkeit zu besitzen.
Ähnlich verfährt Zach Condon: er entreißt Europa liebevoll seine Volksweisen, um ihnen das Gefühl von jetzt, oder besser sogar: von Zeitlosigkeit, Nichtzuordenbarkeit zu geben.
Auf dem erneut gelungenen, wenn auch etwas redundanten zweiten Album von Beirut verlegt Condon seine Idee von Deutschland und Osteuropa nach Frankreich, die Songs heißen nun „Nantes“ oder „La Banlieue”, doch bis auf einen kleinen Stimmungsumschwung weg vom Schwermut hin zu Lebensfreude hat sich der Sound nicht merklich verändert, was eben wiederum zeigt, dass es eine Illusion ist, Condon würde europäische Folksongs spielen. Sondern eben nur seine Idee davon. In seinen Kompositionen verschwimmen die Grenzen und Traditionen, wie er sich selbst in jungen Jahren auf Rucksackurlaub durch Europa treiben ließ. Das Konzept der einzelnen europäischen Staaten selbst scheint für ihn keine Bedeutung zu haben, es ist vielmehr Europa als Ganzes, als Konglomerat, das er als verheißungsvolle Alternative wertschätzt.
Spannend wird sein, ob sich Beirut bei Album Nummer Drei aus dem selbst geschaffenen Ghetto befreien können und nicht nur durch Liedtitel andere Einflüsse vorspiegeln, sondern tatsächlich eine Entwicklung zu einem breiteren Spektrum schaffen können. Doch für jetzt kann Condon zufrieden sein: war er 2006 noch ein Außenseiter, scheint 2008 das Jahr zu werden, in dem der angloamerikanische, popkulturelle Hegemon über seine Ränder blickt und sich von Afrika über Asien bis Osteuropa inspirieren lassen will. Condon mag jung sein, aber er war vorher schon da. (Christian Ihle)
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