vonChristian Ihle & Horst Motor 29.12.2007

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Als es das Internet noch nicht gab, liebe junge Leser, waren die Fanzines das Äquivalent zu den Bloggs, die von unten über die da oben auf den Bühnen berichteten. Natürlich gibt es immer noch Fanzines, wenn auch deutlich weniger im gedruckten Format – nichts desto trotz fünf Fanzinemacher über ihre Songs des Jahres:

Robert Heldner, Sellfish Fanzine, Nürnberg:

Bloc Party: „Waiting for the 7.18“

„An Bloc Party kam dieses Jahr keiner vorbei. Im Guten und im Schlechten. „A Weekend in the City“ spaltete die Musikhörerschaft, enttäuschte einige Fans und machte dennoch ganz ganz viele Hörer glücklich. Das lag vor allem auch an diesem Song: „Waiting for the 7.18“. Dieser Song bündelt alles Stärken Bloc Partys und flutet mit einer alles überschäumenden Melancholie den Hörer. „Give me moments / Not hours or days / Let’s drive to Brighton on the weekend“ gehört jetzt schon an jede Hauswand gesprayed! Mehr Herzschmerz und Pathos in 2007 ging nicht!“

André Habermann, Rote Raupe Fanzine, München

Friska Viljor: “We are happy now“

„Peinlicherweise habe ich diese großartigen schweden erst so richtig Ende 2007 wahrgenommen. Seit dem Auftritt in der Prinzenbar (Reeperbahnfestival) haben sie sich in mein Gehirn, Abteilung Musik, festgefressen und das hält bis jetzt an. „Friska Viljor“ haben mich wirklich derbe geflasht, um es mit dem worten von Jan Delay zu sagen. Es ist wirklich sehr schwer einen Song aus ihrem album „Bravo!“ herauszupicken, aber ich entscheide mich für „We Are Happy Now“ – hat den besten Indie-Disko-Ohrwurm-Charakter. skål.“

Lars, Komakino Fanzine, Hamburg

Tocotronic: „Mein Ruin“

„Die mittlerweile vier Hamburger haben sich von den neuromantischen Plattitüden der 90er Jahre („Die Welt kann mich nicht mehr verstehen“) abgewandt, um die eisigen Sphären des Ästhetizismus zu erkunden. Und siehe da, die Geste der Weltverweigerung, wie sie der Held aus Joris-Karl Huysmans Roman „Gegen den Strich“ vorlebt, erweist sich als erstaunlich aktuell. Doch weil Tocotronic eine Band sind, sollte man sie nicht nur nach ihren literarischen Vorlieben beurteilen. Diese nerven nämlich spätestens, sobald man sich die Musik nicht mehr anhören kann. Hier gilt es, das richtige Maß zu finden. Das ist den Vieren auf „Kapitulation“ jedoch gleich mehrfach gelungen. „Mein Ruin“ ist daher nur ein Kandidat für einen wirklich klugen Popsong des Jahres.“

Sam Bail, Blackjack und Nutten Fanzine, Leipzig

Battles: „Atlas“

„Ich hab so gar keine Ahnung von der Band, dem Album, dem Text, einem eventuell vorhandenen Video oder sonstwas, das hier ist einfach die völlig unreflektierte Abhypung eines Wahnsinnstracks mit Killerbeat und irrem Gefrickel, 7 minuten gebündelter interstellarer Energie, ein Musik gewordenes Stroboskop, das einem die Blitze in die Magengrube rammt. Geht nur extrem laut auf der tanzfläche, da aber wie blöde – nächstes Jahr dann wieder Singer/Songwriterzeugs mit anspruchsvollen Texten für das heimische Wohnzimmer. 2007 war SO Disko!“

Horst Motor, motorhorst.de, Bayreuth

Tocotronic: „Mein Ruin“

„Mein Song des Jahres ist Tocotronics „Mein Ruin“ als passende Antwort auf das turbokapitalistische Post-Sommermärchen-Deutschland. In der Tradition von Schlagwort-Sätzen wie „less is more“ oder „Scheitern als
Chance“ erfolgt hier der Gegenentwurf zum Durchhalte-Pop der neueren nationalen Pop-Musik oder um es mit Blumfeld auszudrücken „Ich will nicht in Eurer Logik leben / nicht so, als ob ich einverstanden wär‘!“. Eine Offenbarung.“

Manuela Fuchs, Alternakid Fanzine, München:

Okkervil River: „Our life is not a movie or maybe“

„Warum hast Du nicht nach dem „Hass-Song“ des Jahres gefragt? Das wäre sehr einfach gewesen, denn diese Liste führt Rihanna mit „Umbrella“ an. Ich denke wirklich, ich habe noch nie ein langweiligeres Lied mit einem stumpfsinnigeren Text gehört.

„Aber wir sind ja beim Song des Jahres und ich habe mir meine Gedanken gemacht. 2 standen zur Auswahl, denn wie es bei einem Song des Jahres so ist, verbindet sich dahinter auch immer eine persönliche Geschichte.
Also ist es denn auch nicht „You talk“ von den Babyshambles geworden ,sondern „our life is not a movie or maybe“ von Okkervil River.
Auf der Autofahrt spät nachts zu mir hörte ich auf M94,5 diesen abgefahrenen Song und musste, um den Interpreten zu erfahren, auf dem Standstreifen stoppen da das Netz nicht sehr weit reicht. Leider wurde der Interpret nicht genannt und so tingelte ich durch Plattenläden und sang fremden Menschen mit meiner wundervollen Stimme Textzeilen daraus vor.
Ich muss wohl nicht hinzufügen, dass sich die Suche auf diese Art schwierig gestaltete. Schließlich suchte ich über youtube ähnlich klingende Bands und voilà: bald war die Suche zu einem glücklichen Ende gekommen.
Nun höre ich den Song bereits mehrere Monate und bekomme einfach nicht genug davon.
Und eine Textzeile wurde zu meinem Freundeskreis bereits schon zum Motto:
It’s just a life story, so there’s no climax.

Säm Wagner, Pittiplatsch3000 Fanzine, Regensburg

Sir Simon Battle: „Safety First“

„Anfang des Jahres ging Jens nie ohne eine bestimmte CD aus dem Haus. Den selbstgebrannten Silberling fand er im Proberaum seiner Band Finca. Jens war von diesen Liedern absolut fasziniert und lief seither um die Häuser, um die Songs seinen Freunden und Bekannten vorzuspielen. Irgendwer musste doch wissen, von welcher Band diese Lieder stammen. So fantastisch, wie das klang, musste doch längst die Welt infiziert sein.
Doch niemand hatte die Musik vorher gehört, konnte eine Band zuordnen oder hatte irgendeine Ahnung, was das sein sollte.
Bis Glaus daherkam und meinte, dass die Musik auf der CD, die Musik seiner neuen Band Sir Simon Battle war. Glaus, Bassist bei verschiedenen Regensburger Bands, hatte kurz zuvor Simon kennen gelernt, als dieser, an mächtigem Liebeskummer erkrankt, am Küchentisch von Nadja saß. Glaus sagte sofort jegliche Unterstützung zu und wurde Bassist bei Simon. Nadja spielte die Orgel.
Im Frühling dann, kam Glaus auf mich zu und meinte, dass er jetzt wohl auch mal bei diesem Immergut Festival sein wird. Ich hatte ihm schon viel davon erzählt, war die letzten Jahre regelmäßig mal schnell von Bayern aus 700 Kilometer (einfach) in den Norden gefahren, um mir das schnuckelige Open Air Festival zu gönnen.
Nur heuer ging sich das nicht aus. Ich hatte einen wichtigen Termin. Genau am Immergut-Samstag. Genau an dem Tag, als Sir Simon Battle dort spielen sollten. Glaus, ich, das Immergut Festival und vor allem die Musik von Sir Simon Battle, wir hätten so ein gutes Gespann sein können. Nur fehlte genau eine Komponente: ich. Am Samstag, den 2.Juni fuhr ich am Nachmittag über eine Landstraße, um zu meinen Termin zu kommen. Und ich dachte dabei nur an das Konzert, das jetzt so weit weg war.

Ich sah genau um 16 Uhr 10 auf die Uhr und drückte bei der Auto-Stereoanlage auf „Play“. „Safety First“ war auf der diesjährigen Compilation zum Immergut Festival. Ich drückte auf „Repeat“ und fuhr durch nordbayerische Dörfer, während ich den Lautstärkeregler immer weiter nach rechts drehte. Bei dem immer gleichen Lied.

Es hat mir fast das Herz zerrissen. Dran zu denken, dass ich nicht dabei sein kann. Genau in der halben Stunde von 16 Uhr 10 bis 16 Uhr 40, als Sir Simon Battle in Neustrelitz auf der Bühne standen.

Und trotzdem wusste ich, dass man einem Song nie näher sein kann, wie zu diesem Zeitpunkt. Da konnte 700 Kilometer bis zur Bühne irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern so weit sein, wie sie nur wollen. Die erste Reihe war ich.“

Part 1: Deutsche Bands über ihre Songs des Jahres

Part 2: Internationale Künstler über ihre Songs des Jahres

Part 3: Das Business über seine Songs des Jahres

Part 4: Musikjournalisten über ihre Songs des Jahres

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