vonChristian Ihle & Horst Motor 28.01.2008

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Frankreich muss bis Polen reichen, Get Well Soon, MIT, Jolly Goods, Lichter, Sir Simon…

Get Well Soon

Bereits im Januar 2008 erscheint das Album der Mannheimer Band Get Well Soon, die mehr eine Gruppe im Sinn von Jack Condons Beirut ist: ein Mastermind, ein Wunderkind, das von einer reichen Riege an Mitmusizierenden unterstützt wird. Konstantin Gropper hat mit „Rest Now, Weary Head! You Will Get Well Soon” das womöglich beste deutsche Album 2008 geschrieben, so absurd eine solche Prognose im ersten Monat des Jahres auch sein mag.
Get Well Soon sind die erste deutsche Band seit Jahren, denen man erstens gar nicht glauben mag, dass sie aus diesem Lande stammen und zweitens sich sofort als NME und Pitchfork Media Lieblinge gleichzeitig vorstellen kann. Die Einflüsse sind der Vielschichtigkeit der Musik angemessen mannigfaltig: Radiohead 1997, Bright Eyes 2000, Arcade Fire 2005, Beirut 2006… und doch nie ganz, immer nur ein bisschen, jedes Mal eigenständig. Als bestes Beispiel sei ihr Cover von Underworlds „Born Slippy“ genannt, das im Original wie kein anderer Song den Hedonismus und die Feierhärte der 90er symbolisierte und in den Händen von Get Well Soon zu einem intimen, aber überwältigenden Folksong wird. Get Well Soon könnten Ecstasy und Prozac zu Downern machen, so gut sind sie. (Christian Ihle)

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* People Magazine Front Cover
* Born Slippy
* Prelude

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Lichter

Entschuldigung, aber so etwas hätte es früher nicht gegeben. Debütalben, die dermaßen abgeklärt, auseinandergesetzt und überlegt sind wie dieses von Lichter. Sind wir im Zeitalter der „Professionellen“ angekommen oder wie? Gerade noch schreiben wir von den Popakademie Absolventen Get Well Soon, und nun veröffentlichen auch die an Klassik und Jazz geschulten Lichter ein Album voller gar nicht mal so ungestümer Indierocknummern. Und das ist nicht nur sehr modern, es ist auch noch gut so und eigenständig obendrein. Weil dieses Debütalbum so nervös und sprunghaft ist, weil es ein bisschen zu virtuos ist, fühlt es sich so schön ziellos an. Einfach mal alle Ideen auf Band bringen. Dabei schwankt der Sänger irgendwo zwischen einem Jakobus Siebels und Thom Yorke, die Band spielt dazu in einem verpostpoprockten Musekauderwelsch genauso schräg, wie ein paar stubenhockerische Musikwissenschaftler sich das ausdenken würden. Klingt eigenartig – ist es auch. Und gerade deshalb ist dieses Album so spannend, erfrischend und hörenswert. (Louis Parker)

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* Radar

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Sir Simon

Das Immergut Festival in Neustrelitz ist für viele Bands ein Mysterium. Alle wollen sie dort spielen, keiner aber kennt die Tricks, wie man Veranstalter und Booker überlisten oder bestechen könnte, um endlich auch mal in der Mecklenburg-vorpommerischen Kreisstadt auf der Bühne zu stehen.
Sir Simon Battle haben sich im vergangenen Jahr an der langen Auftrittsgesuch-Warteschlange vorbeigemogelt und spielten beim Immergut. Ohne überhaupt vorher eine Platte veröffentlicht zu haben und (noch) ohne Plattenfirma im Rücken.
Vorschusslorbeeren? Gute Beziehungen?
Simon Frontzek und seine Mitmusiker waren lange genug als Fans in den ersten Reihen bei Wilco, Modest Mouse und Teenage Fanclub gestanden und haben deren Musik eingesaugt.
2008 mündet dieses Fantum, Unbeschwertheit und der Hang zu großen Popmelodien in das Debütalbum „The Battle“. Die Platte erscheint unter dem Namen Sir Simon, da der Dirigent der Berliner Philharmoniker, der einen ähnlichen Namen trägt, Verwechslungen fürchtet. Zum Glück passiert das gleich zu Beginn der Karriere. Noch ist der Dirigent bekannter… (Säm Wagner)

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* Creditcars & Trains

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Jolly Goods

Der letzte Satz, der auf dem White Stripes Meisterwerk „Elephant“ zu hören war, stammte von der britischen Garagenrocklegende Holly Golightly: „Jolly good. Cup of tea, then, Bruce. Let’s celebrate.“
Es ist irgendwie passend, dass die White Stripes sich ins Gedächtnis schleichen, wenn man die Jolly Goods hört, eine unverschämt junge (16 & 19) Zweimädchenband aus Hessen, nun Berlin. Wie die Stripes sind auch die Jolly Goods zu zweit, wollen keinen Bass und lieben rumpeligen Rock’n’Roll, der sich jeder Überproduktion entzieht. Dabei fehlt – angesichts der Jugend verständlicherweise – der manchmal anstrengende Zug Jack Whites gleichzeitig auch noch ein Virtuose sein zu wollen, Angi und Tanja Pippi schreien und spielen los, wie es ihnen gerade einfällt. Die Jolly Goods sind damit eine wunderbare Ausnahme in dieser ansonsten doch mal wieder etwas der ruhigen, ernsten Musik verpflichteten Liste. Wo Get Well Soon dich sedieren, stacheln dich Jolly Goods auf. So soll es sein. Jolly good, let’s celebrate! (Christian Ihle)

(Und deshalb auch eine Ausnahme bei der Nennung, obwohl das Album „her.barium“ ja bereits in den letzten Wochen von 2007 erschienen war)

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* Girl, Move Away From Here

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Frankreich muss bis Polen reichen

Frankreich muss bis Polen reichen – wenn das nicht der beste Bandname seit langem ist, schließen wir den Popblog zu! Wahrscheinlich sollte man auch den ersten Kontakt mit der München-Hamburger-Band, die aussieht als würde sie aus Berlin stammen, unbedingt live machen. In Ganzkörperanzüge gekleidet und mit Michael-Myers-Gedenk-Masken ihre Gesichter verdeckend stehen dir vier Typen mit Mädchennamen gegenüber und brüllen wunderbare Textstellen wie „Wir sind die Jungs vom Reiterhof / hübsch aber doof“ wieder und wieder über repetitive Electrobeats in dein Gesicht. Ja, das ist bizarr. Und ja, es ist vor allem: verdammt gut! (Christian Ihle)

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* Wir Sind Die Jungs Vom Reiterhof

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MIT

MIT wurden trotz der jungen Jahre ihrer Bandmitglieder bereits vor 3 Jahren in Köln gegründet. Für Aufsehen sorgte der wilde, stark mit elektronischen Elementen durchsetzte Post-Punk bereits bei den ersten Singles und EPs in den Folgejahren. Eine Kindergarten-Version des ersten Von Spar Albums könnte man MITs frühe Songs liebevoll betiteln.
Ähnlich wie Von Spar sind allerdings auch MIT immer auf der Suche nach den Extremen, was sie zu einer überdurchschnittlich interessanten Band macht. Das erste Album wird 2008 erscheinen und nach den jüngsten Liveauftritten zu urteilen, sind MIT vorschnell erwachsen geworden. Der Elecro-Punk ist einer elektronischen Krautrockvariante gewichen. Kommerzieller Erfolg wird damit nicht einfacher werden, aber wollen wir nicht immer Bands haben, die etwas wagen, die anders sein wollen, die experimentieren? MIT geben sich nicht nur mit dem Erreichten nicht zufrieden, sie sind schon unzufrieden, bevor sie etwas erreicht haben und wollen bereits weiter, immer weiter. (Christian Ihle)

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* Was Es War

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Weiteres:
Teil 1: I Predict A Riot 2008: Pop!
Teil 2: I Predict A Riot 2008: Singer & Songwriter
Teil 4: I Predict A Riot 2008: New Rave
Teil 5: I Predict A Riot 2008: Willkommen im Untergrund
Teil 6: I Predict A Riot 2008: Brit Guitar
Teil 7: I Predict A Riot 2008: Gitarren All Over The World

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