“Ein Bühnenbild, das den Namen nicht verdient. Eine Halle, die kaum auszuhalten ist, Coloneum heißt die Scheußlichkeit am Stadtrand, ist man einmal da, 17 km vom Zentrum entfernt, kommt man leider so leicht nicht mehr weg. Als wir kamen, lief die Veranstaltung schon etwa eine Stunde. Das sieht so aus, dass der Moderator Thomas Gottschalk über die Bühne schreitet und routiniert und ohne einen Funken von Witz oder Geist „Moderationen“ herunterhudelt, die er so oder anders schon tausendmal gemacht hat. (…) ach, endloser Unsinn, man will Hollywood sein und ist eben doch Köln-Ossendorf.
Und es ist ein Ärgernis ohnegleichen, dass nahezu jeder Preisträger dann am Mikrofon herumstammelt, das sei so ein toller Preis, und man wisse nun gar nicht, was man sagen solle, und man sei totaaaaal überrascht, und man danke aber dem tollen Team und dem tollen Redakteur und dem Ehemann und dem Kind und, Mama, das ist für dich. Verdammtnochmal, wenn man nominiert wird, weiß man, dass die Chance, da oben zu stehen, eins zu drei ist, und dann bereitet man gefälligst eine Rede vor und blamiert sich und langweilt uns nicht mit diesem furchtbar unfähigen, unzumutbaren Gestammel.
(…)
Das Andere: Wie jämmerlich die dargebotenen Produkte und Arbeiten in der Mehrzahl waren, wie jämmerlich unser Fernsehen ist, wie arm, wie verblödet, wie kulturlos, wie lächerlich. Wieso darf ein Simpel namens Atze Schröder da vorn seine Possen reißen? Wieso wird eine unterirdische Sendung wie „Deutschland sucht den Superstar“ zur Besten Unterhaltungssendung gekürt und gibt den Machern die Möglichkeit, frech zu sagen: Da seht ihr es, ihr intellektuellen Schreiberlinge, man liebt uns, und wir machen weiter?
(…)
Ich sah den achtundachtzig Jahre alten Mann (Anm.: Marcel Reich-Ranicki) da vorn in der ersten Reihe sitzen, gebrechlich, aber geistig ja vollkommen klar, und ich dachte, was für eine Zumutung diese armselige, grottendumme Veranstaltung für ihn sein müsse. In jeder Hinsicht – einen so alten Mann lässt man nicht derart lange warten, und man mutet einem so intelligenten Mann nicht einen solchen stundenlangen Schwachsinn in hässlicher Kulisse zu und Moderationen des Thomas Gottschalk wie die zu einem Film über Kinder, die aus Heimen und vor Misshandlungen gerettet werden: hoffentlich kommen noch viele Kinder in so eine Lage, damit ihr weiter so tolle Filme machen könnt! (Zitat sinngemäß, nicht wörtlich) Es verschlug uns den Atem.
(…)
Er (Anm.: Marcel Reich-Ranicki) ging nach ein paar lächerlichen, banalen und eher demütigenden Sätzen von Gottschalk, die wohl die Laudatio sein sollten, schwerfällig, gestützt, an das Rednerpult und war dann ganz der Gott des Donners und des Zorns, den wir an ihm kennen und lieben.
Was das hier sei. Wo man ihn hier hingeschleppt habe. Was er sich da seit Stunden ansehen und anhören müsse. Eine Zumutung. Er solle hier geehrt werden. Hier? Von wem? Für was? Wo ist hier auch nur eine Ahnung von Kultur und Bildung? Er nehme diesen Preis nicht an.
Wunderbar. Danke auf ewig.
Lähmendes Entsetzen im Saal, Raunen, vereinzeltes Klatschen, ich hätte vor Freude in die Luft springen mögen, vor Freude über diesen mutigen, zornigen, beleidigten, klugen Mann und vor Zorn und vor Kummer über diese verhunzte Veranstaltung, diese grenzenlose Flachheit.
Er nehme den Preis nicht an, basta.
Er rang nach Luft, er kriegte einen Hustenanfall, und Thomas Gottschalk hat eine einzige Eigenschaft, die ihn zum Moderator befähigt, nur eine – er ist nicht intelligent, er ist nicht charmant, er hat keinen Witz, aber er ist reaktionsschnell. Er fasste MRR am Arm, hielt ihn fest und sagte (sinngemäß): O soviel Zorn, da schlage ich doch vor, wir setzen uns mit den Intendanten mal zusammen und reden in aller Ruhe darüber, und nun Applaus für Reich-Ranicki.
Und alle standen auf und applaudierten, und Reich-Ranicki erzählte, um irgendwas doch irgendwie wieder gutzumachen, noch eine Anekdote und bot Gottschalk das Du an, und dann wurde er herausgeführt aus der Hölle dieser Halle, und der Moderator sagte, nun wörtlich: „So, jetzt sind wir wieder unter uns und können weitermachen.“
Klar. Der Kritiker, der Spielverderber ist weg, nun ziehen wir unsere hirnlose Scheiße durch bis zum Schluss. Wo waren die Programmdirektoren und Intendanten in diesem Augenblick, warum kam keiner von ihnen auf die Bühne, um etwas zu sagen? Weil es verknöcherte Bürokarrieristen sind, die das Spontane längst verlernt haben, das Menschliche auch, Kultur schon sowieso.
Man schämt sich, in so einem Sender überhaupt noch zu arbeiten.
(…)
Und was die Macher eines solchen desolaten Abends angeht: Fahrt bitte einmal im Mai nach Hamburg zum Henri Nannen Preis und lernt, wie die das machen – ein unterhaltender Abend für intelligente Menschen. Es ist möglich. Aber eben nicht bei ZDF, ARD, Sat 1 und RTL. Und schon gar nicht mit Thomas Gottschalk.”
(Elke Heidenreich auf faz.net über den deutschen Fernsehpreis und die Entscheidung Marcel Reich-Ranickis selbigen nicht anzunehmen)
edit:
Hier übrigens der Reich-Ranicki-Auftritt der Elke Heidenreichs Pamphlet verursachte:
[…] großartiger auftritt von marcel reich-ranicki. dazu auch christian ihle im popblog der taz […]