„Lied 1, „Chinese Democracy“
Sirenengeheul. Gezupfte Gitarre, erst einmal ruht das Schlagzeug. Dann aber ein Riff, sehr laut und sehr manipuliert. Es erinnert an „Owner of a Lonely Heart“ von Yes, das ist eigentlich gar nicht gut, aber bevor man länger darüber nachdenken kann, geht das Lied los, mit einem langgezogenen Gejaule von Axl Rose. Und da, jetzt singt er! Das hat nicht nur fünfzehn Jahre, das hat fast drei Minuten gedauert. Text ist total unverständlich. „I know that I’m a classic case“? Die Band schleppt sich breitbeinig dahin. Hier ein Solo, da ein Solo, und hier wieder eins. Ist das jetzt der Refrain? Amerikanische Autofahrmusik. Geisterjägerserienmusik.
Lied 2, „Shackler’s Revenge“
Beginnt mit einem demolierten Riff. Säuft kurz ab, dann gurgelt Axl Rose, als würde auch er in einer Badewanne singen, mit den Lippen halb über, halb unter dem Wasser. Ist das jetzt der Refrain? Solo. Rumms. Irgendwie hört der Song nicht auf. Immer noch nicht. Immer noch nicht.
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Lied 4, „Street of Dreams“
Entsprechend der Logik typischer Heavy-Metal-Produktionen müsste nach den vielen harten jetzt bald mal eine weiche Seite kommen. Passiert auch. Axl quält seine Stimme über eine Allerweltsklaviermelodie. Text wieder total unverständlich. Ist das jetzt der Refrain? Nein, das sind nur Plastikstreicher aus dem Keyboard – dafür können die berüchtigten fünfzehn Millionen Dollar unmöglich verplempert worden sein. Gitarrensolo, das zwölfte ungefähr.
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Lied 5, „If the World“
Wo sind wir denn jetzt? In Tijuana? Jedenfalls ist das eine Antonio-Banderas-Gitarre. Dann streichen schon wieder die Plastikgeigen vor sich hin. Gefolgt von einer Spielpause, schon wieder. Ist das jetzt der Refrain?
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Lied 6, „There Was a Time“
Spielt da der Keyboarder von Linkin Park? Außerdem scheinen immer noch ein paar Plastikstreicher übrig zu sein. „Chinese Democracy“ befolgt drei Prinzipien: 1. Ein regelmäßiger Boxenstopp des Schlagzeugs ist unvermeidlich. 2. Uns doch egal, dass für fünfzehn Millionen Dollar auch die Berliner Philharmoniker gegeigt hätten, wir nehmen die Bontempi-Orgel von Axls Tante. 3. Und immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo noch ein Gitarrensolo her. Die entscheidende Frage aber lautet: Ist das jetzt der Refrain?
Lied 7, „Catcher in the Rye“
Wie würde ein Lied klingen, das nach dem Titel einer Verschwörungstheoretikerbibel benannt ist? Wenn es eine Band von Paranoikern aus Los Angeles geschrieben hat, dann sicher wie das Innere starker Kopfschmerzen. Aber doch nicht wie dieser Westernhagenrock! Ist das jetzt der Refrain? Kleinstadthymne, Pick-up-Trucks. Für die Männer von Hockeymoms, für Barbecue und Bärte.
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Lied 13, „This I Love“
Axl, Klavier und Streicher. Und nach vier Minuten ein Gitarrensolo. Schließlich rafft sich auch das Schlagzeug auf. Eine kleine, hohe Klaviertriole beschließt das Ganze, Paulchen-Kuhn-mäßig. Unmöglich, dass jedes einzelne dieser vierzehn Lieder fünfzehn Jahre lang gereift ist; dieses hier klingt, als habe Axl sich erst letzten Dienstag hingesetzt. Außerdem ist es gefährlich, wenn die Singstimme Ton für Ton dem Leitmotiv auf dem Klavier folgt. Das wirkt nur, wenn beides so gut ist wie bei „Johnny and Mary“ von Robert Palmer. Danach klingt dieses Lied nämlich, ein paar Sekunden lang jedenfalls. Alle diese Lieder klingen immer nur ein paar Sekunden lang wie irgendwas, und dann wieder wie etwas anderes.“
(Tobias Rüther, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)
Mit Dank an Björn.
Weiterlesen:
* Schmähkritik (137): Chinese Democracy
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* Die ersten 100 Folgen Schmähkritik
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