vonChristian Ihle 10.02.2009

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

Mehr über diesen Blog

Defamationdefamation

1. Der Film in einem Satz

Eine Dokumentation über Antisemitismus und die Frage der Instrumentalisierung desselben.

2. Darum geht’s

Regisseur Yoav Shamir begleitet den Chef der amerikanischen Anti Defamation League, Abe Foxman, auf seinem Kampf gegen Antisemitismus und holt auch Positionen ein, die der ADL eine Instrumentalisierung von Antisemitismus und ein Spielen der „Opferkarte“ vorwerfen.

Yoav Shamir packt ein ausgesprochen heikles Thema an und deshalb ist es ihm umso höher anzurechnen, dass er auf jeder Ebene erfolgreich ist: „Defamation“ ist zum Teil amüsant, absurd, betroffen machend und vor allem ausgewogen.

Shamir hat freien Zugang zu ADL-Meetings, ist bei Treffen mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten genauso wie bei internen ADL-Feiern dabei. Ebenso holt er die Stimmen von Norman Finkelstein („Die Holocaust Industrie“) und der Autoren Walt & Mearsheimer („Die Israel-Lobby“) ein, die zu den Kritikern der ADL gehören. Tendenziell gehört Shamir wohl eher zu Verfechtern der These, dass Antisemitismus übertrieben herausgestellt wird, was ihn aber nicht hindert, Finkelstein am schlechtesten in diesem Film wegkommen zu lassen.

Gegen Ende widmet sich „Defamation“ zudem noch der Frage, ob Antisemitismus und Antizionismus das gleiche bedeuten muss und ob man den Staat Israel kritisieren kann, ohne als Antisemit gescholten zu werden. Auch hier lässt Shamir wieder beide Positionen ausgiebig genug zu Wort kommen.
Interessant ist zudem parallel dazu der zweite Handlungsfaden, in dem Shamir eine israelische Schulklasse auf einer Gedenkfahrt nach Auschwitz begleitet und so die Auswirkungen sowohl der bei den Kindern geschürten Angst, dass Juden immer noch an jedem Ort verhasst sind, als auch der Eindrücke von Auschwitz selbst verfolgt.

„Defamation“ ist vielleicht der beste Film im ganzen Berlinale-Programm.

3. Der beste Moment

Viele, viele gute Interviewmomente, die erhellend, entwaffnend ehrlich bis absurd komisch sind. Die sicherlich beeindruckendsten Interviews führt Shamir mit Rabbis, die die ausgewogensten Positionen des Films vertreten.

4. Diese Menschen mögen diesen Film

Wer brillant gemachte Dokumentationen schätzt, in denen ein Regisseur trotz einer vielleicht vorhandenen Präferenz für eine Sicht der Dinge die andere nicht abwertet, sondern ebenfalls zu Wort kommen lässt.

* Österreich
* Regie: Yoav Shamir
* Homepage

Mammoth

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=_kboXhfATrY[/youtube]

1. Der Film in einem Satz

„Babel“ ohne Höhepunkte.

2. Darum geht’s

Lucas Moodyson kehrt nach einigen Jahre in der Avantgarde-Wilderness wieder zurück zum verträglichen Arthouse-Kino, was nicht unbedingt eine schlechte Sache sein muss, wenn man sein „A Hole In The Heart“ kennt.
„Mammoth“ ist bei weitem der größte Film, den Moodyson in seiner Karriere gedreht hat. Von der Darstellerriege (Gael Garcia Barnal u.a.) zu Budget, Thema und Look erinnert hier wenig an die kleinen schwedischen Indie-Hits wie „Raus aus Amal“.
„Mammoth“ erzählt parallel die Geschichte eines jungen, reichen New Yorker Ehepaars und einer philippinischen Familie. Die Kinderpflegerin der beiden New Yorker ist die Mutter zweier Kinder, die sie auf den Philippinen zurück gelassen hat, um in den USA genügend Geld zu verdienen, damit diese nicht in Obdachlosigkeit oder Prostitution abrutschen. Das ist alles auch theoretisch gut gemacht, aber Moodyson insistiert darauf, auch die einfachen Wahrheiten so unsubtil herauszustellen, dass der Zuschauer sich unterfordert fühlen kann. Ebenfalls nicht zuträglich ist dem Film, dass er praktisch ohne jeden dramatischen Klimax auskommt, sich die verschiedenen Handlungsstränge nicht kreuzen und so ein Schulterzucken die emotionalste Antwort auf „Mammoth“ bleibt.

3. Der beste Moment

Das ist ja das Problem: es gibt keine besten Momente. Der Soundtrack mit älteren Ladytron-Stücken und Cat Power bereitet allerdings viel Vergnügen.

4. Diese Menschen mögen diesen Film

Wem „Babel“ zu dramatisch war, aber grundsätzliche diese Globalisierung auch nicht so toll findet.

* Schweden
* Regie: Lucas Moodyson
* imdb

Bellamy

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=YVsQFkfSRFs[/youtube]

1. Der Film in einem Satz

Ein Komissar im Urlaub vertreibt sich die Zeit, indem er einen Versicherungsbetrug aufdeckt.

2. Darum geht’s

Claude Chabrols neuester Film bewegt sich weg von seinen Werken aus den letzten Jahren, jenen kühlen Thrillern, die die Verdorbenheit der Bourgeoisie zeigen. „Bellamy“ ist ein leichtfüßiger, aber auch völlig belangloser kleiner Film über einen Komissar, der aus Langweile sich etwas an der Auflösung eines Falles beteiligt und letzten Endes die meisten der Verdächtigen so lieb gewinnt, dass er ihnen vor Gericht noch hilft.

3. Der beste Moment

Gerard Depardieu ist das beste an „Bellamy“.

4. Diese Menschen mögen diesen Film

Agatha-Christie-Leser, die deren Krimis doch immer ein bisschen zu spannend fanden.

* Frankreich
* Regie: Claude Chabrol
* imdb
(Christian Ihle)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/popblog/2009/02/10/berlinale_5_defamation_mammoth_bellamy/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert