vonChristian Ihle 14.02.2009

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Dorfpunksdorfpunks

1. Der Film in einem Satz

Aufwachsen in der norddeutschen Provinz: mit Punk und Bier geht’s besser.

2. Darum geht’s

Nach Motiven des Rocko-Schamoni-Romans verfilmt Lars Jessen die Jugend von Roddy Dangerblood. Roddy absolviert eine Lehre in einem Töpferladen, hat verständige Eltern, will aber eigentlich doch irgendwie raus. Punk bietet die erste Möglichkeit zum anders sein.

Die “Dorfpunks”-Verfilmung ist nur leidlich gelungen. Bei der Umsetzung des Schamoni-Buches ging die Melancholie der Hauptfigur etwas verloren und in der ersten Hälfte dominiert vor allem der Spaß, den Roddy und Freunde durch die egal-Einstellung von Punk gewinnen. Weniger überzeugend wird das Auseinanderbrechen der Freundschaften in der zweiten Film-Hälfte aufgezeigt.

Auch wenn gar nicht der Vergleich zur Buchvorlage herangezogen werden soll, verliert die zweite Hälfte dennoch an Dringlichkeit. So mag die Idee, die Jungs in der Nordsee bei tiefstem Nebel mit einem Schlauchboot kentern und um einen Weg zurück zum Ufer kämpfen zu lassen, theoretisch ein schönes Bild sein für die Verlorenheit am Ende der Jugend und die Schwierigkeit, den richtigen Weg für das weitere Leben zu finden, praktisch bedeutet es aber fünf Minuten graue Leinwand mit vereinzelten Rufen und wundersames ans Ufer geschwemmt werden.

Immerhin: besser als die “Soloalbum”-Verfilmung ist “Dorfpunks” allemal.

3. Der beste Moment

Als die frisch gegründete Punkband nach ihrem ersten Auftritt euphorisiert die Party von Roddys neuer Spießer-Flamme stürmt. Hat man zwar schon in hundert Filmen gesehen wie Rebellen bourgeoise Feten aufmischen, aber das mindert den Spaß keineswegs. Auch der Soundtrack ist brillant – aber wie kann er das auch nicht sein, wenn Fehlfarbens “Gottseidank nicht in England” schon bei den Anfangstiteln aus den Lautsprechern schallt?

4. Diese Menschen mögen diesen Film

Die gerne an ihre eigene Jugend auf dem Dorf mit Punk und Bier zurückdenken, da sowohl Musik als auch die Handlung der ersten Hälfte doch vielen vertraut vorkommen dürfte.

* Deutschland
* Regie: Lars Jessen
* imdb

Short Cut To Hollywood

SCTH

1. Der Film in einem Satz

Der Weg zum Ruhm wird für die Filmemacher Stahlberg und Mittermeier (“Muxmäuschenstill”) sicher nicht über den Short Cut To Hollywood führen.

2. Darum geht’s

Die in Deutschland gescheiterte Existenz John F Salinger zieht es mit seinen beiden besten Kumpels nach Amerika, um dort ein großer Star zu werden. Um das Ziel zu erreichen, ist jedes Mittel recht und natürlich regelt eine anständige Provokation alles weg. So beschließt John F Salinger, sich zunächst Finger, Arm und Bein amputieren zu lassen um letzten Endes nach einem umjubelten Konzert in Las Vegas live vor den Fernsehkameras zu sterben.

Bei “Muxmäuschenstill” gelang Jan Henrik Stahlberg (Autor, Regisseur, Hauptdarsteller) und Marcus Mittermeier (Regisseur, Nebendarsteller) einst noch ganz hervorragend, auf intelligente Art zu provozieren, doch “Short Cut To Hollywood” misslingt auf jeder Ebene. Gäbe es noch keine Holzhammer, Stahlberg und Mittermeier hätten sich welche geschnitzt, um ihre Medienkritik auf den Punkt zu bringen. Privatfernsehen, Castingshows, Schlagermusik, Boygroups, Call-In-Aufrufe, Pseudoprominenz, Commercials, Dieter Bohlen, Mark Medlock – gibt es irgendwelche Ziele, die noch billiger zu treffen wären?

Dass die Darstellerleistungen grottig sind, die Kameraarbeit jeden Stil vermissend lässt und völlig unmotivierte Nacktszenen sich ansammeln, dürfen wohl auch nur Optimisten als Teil eines Gesamtkunstwerks des White Trash ansehen. Allen anderen bleibt nur der Schluß, dass “Muxmäuschenstill” einst ein Ausrutscher nach oben war.

3. Der beste Moment

Als bei der ersten Operation Salingers Finger amputiert wird.

4. Diese Menschen mögen diesen Film

Wer zur Distinktion über das billige Entertainment des Pöbels lachen möchte, dabei aber nicht merkt, dass er selbst keine Spur besser ist.

* Deutschland
* Regie: Jan Henrik Stahlberg / Marcus Mittermeier
* imdb

Deutschland 09 – 13 kurze Filme zur Lage der Nation

deutschlan 09

1. Der Film in einem Satz

“Deutschland im Herbst” für das Jahr 2009.

2. Darum geht’s

1978 drehten die wichtigsten Regisseure der Autoren-Generation (Fassbinder, Kluge, Reitz, Schlöndorff u.a.) Kurzfilme für das Projekt “Deutschland im Herbst”, das sich vorrangig mit Deutschland in Zeiten des Linksterrorismus befasste. 30 Jahre später versammeln sich die besten deutschen Regisseure einer neuen Generation wiederum, um mit 13 Filmen die Lage der Nation zu beleuchten. Die Riege der Macher ist wahrlich beeindruckend: Tykwer (Lola Rennt), Weingartner (Die fetten Jahre sind vorbei), Steinbichler (Hierankl), Akin (Gegen die Wand), Karmakar (Der Totmacher), Becker (Good-Bye Lenin), Graf (Der rote Kakadu), Levy (Aimée & Jaguar) und andere steuerten je einen Kurzfilm bei.

Es liegt in der Natur der Sache, dass die Qualität der einzelnen Filme stark variiert. Interessanterweise stammen gerade von Romuald Karmakar und Dominik Graf, die sich beide der Fiktion verweigern, die besten Beiträge. Karmakar führt ein Interview mit einem alten iranischen Sexclub-Besitzer, das nicht nur schreiend komisch ist, sondern auf ganz eigene Weise auch angreift, wenn der frei von der Leber redende Iraner am Ende “Deutschland und dem deutschen Volke” – ohne Sarkasmus! – dafür dankt, dass er die Chance erhalten hat, sich in Deutschland ein eigenes Leben aufzubauen. Und sei es mit einem Sexclub, den er lieber heute als morgen verkaufen möchte.
Dominik Graf zeigt auf wunderbar altmodischem Filmmaterial Gebäude aus der (Post-)Adenauer-Zeit, die nun nach und nach neuen Glasbauten weichen müssen und prangert an, wie Deutschland seine eigene Vergangenheit versucht auszulöschen, in dem es seine alten hässlichen Häuser abreisst. Der kapitalismuskritische Off-Kommentar mag etwas über das Ziel hinausschießen, aber Ton und Bild erinnern in Dringlichkeit und Stil an frühe Doku-Arbeiten von Alain Resnais.

Weingartners Beitrag greift den realen Fall von Andrej Holm, eines Soziologen einer Berliner Universität auf, der wegen des Verdachts der Zugehörigkeit zu terroristischen Gruppen verhaftet wurde, weil er Bücher veröffentlichte, in denen er die Worte “Gentrifizierung” und “Prekarisierung” verwendete – Worte, die auch in den Bekennerbriefen der “Militanten Gruppe” standen. Weingartner gelingt in seiner Polemik gegen den Überwachungs- und Sicherheitsstaat mit einfachen Mitteln darauf zu verweisen, wie schnell Unschuldige bei Aushöhlung der rechtsstaatlichen Sicherungsmechanismen dem Staat zum Opfer fallen können.
Sehr amüsant ist dagegen Steinbichlers Beitrag über einen FAZ-Leser (Bierbichler), der Amok läuft, weil sich die Frankfurter Allgemeine entschließt, die Frakturschrift abzuschaffen (“wer die Frakturschrift nicht lesen kann, kann die Seele des deutschen Volkes nicht lesen”) und den Aufmacher des Tages mit einem farbigen Foto auf Seite 1 zu garnieren (“und dann auch noch von einem weinsaufenden Kommunisten!”).

Eine große Enttäuschung ist leider ausgerechnet der Kurzfilm von Fatih Akin, dem wohl talentiertesten aller hier versammelten Regisseure. Akin lässt ein Gespräch mit Murat Kurnaz nachspielen. Zunächst gelingt ihm dabei noch ein großer Schachzug: indem er Kurnaz, dessen Äußeres die bürgerliche Mitte Deutschlands wahrscheinlich mehr verschreckt als alles, was der Mann je gesagt oder getan hat, vom hübschen Jungschauspieler Denis Moschito darstellen lässt. Dadurch gelingt es ihm, allein die Worte Kurnaz in den Mittelpunkt zu stellen und von allen Assoziationen, die Kurnaz’ Äußeres bei manchem mit sich bringen mögen, zu lösen. Das hilft allerdings nicht darüber hinweg, dass der ganze Kurzfilm extrem hölzern gespielt ist und so nur eine platte Anklage gegen Frank-Walter Steinmeier bleibt.
Akins Film ist allerdings immer noch besser als Nicolette Krebitz‘ Beitrag, der von einer fiktiven Begegnung Susan Sontags mit Ulrike Meinhof erzählt und so prätentiös ist, wie man sich das gelesen auch vorstellen mag. Ein einziger Schrecken inklusive Choreographietanz und lesbischem Sex.
Aber selbst das sieht man noch lieber als die unfassbar platte Farce von Wolfgang Becker, der Deutschland als Intensivstation zeigt. Hier werden tatsächlich noch Sachen wortwörtlich in “Waagschalen” gelegt und im Keller des Krankenhauses zeigt ein George W Bush Double eigenhändig wie Waterboarding funktioniert bis am Ende das ganze Krankenhaus “Kein schöner Land” singt. Die schlimmste Viertelstunde der ganzen Berlinale, Folter kann nicht schrecklicher sein.

3. Der beste Moment

Als der Sexshopbesitzer im Gespräch mit Karmakar von seiner Lieblingscouch erzählt, auf der er schon 150mal Sex hatte. “Gute Erinnerungen”, wie er meint. Im Gegensatz zur Ledercouch daneben, “keine guten Erinnerungen”. Leider – oder vielleicht auch besser so – geht er auf jene allerdings nicht näher ein.

4. Diese Menschen mögen diesen Film

Wer bereit ist, sich viel verquasteten, extrem prätentiösen Blödsinn anzuschauen, um eine Handvoll wirklich sehenswerter Kurzfilme zu finden.

* Deutschland
* Regie: Fatih Akin, Wolfgang Becker, Sylke Enders, Dominik Graf, Christoph Hochhäusler, Romuald Karmakar, Nicolette Krebitz, Dani Levy, Angela Schanelec, Hans Steinbichler, Isabelle Stever, Tom Tykwer, Hans Weingartner
* imdb

(Christian Ihle)

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https://blogs.taz.de/popblog/2009/02/14/berlinale_8_dorfpunks_deutschland_09_-_13_kurze_filme_zur_lage_der_nation_short_cut_to_hollywood/

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kommentare

  • “Dumm” war für mich das passend erscheinende, ihre Äußerung zusammenfassende, Wort. Ich habe auch keine Zweifel daran, dass dies ihre Meinung widerspiegelt.
    Desweiteren möchte ich Ihnen ernsthaft die Frage stellen, wie eine (kinotaugliche) Satire zu gestalten sei, in der Überzeichnung des gewählten Themas nicht vorkommen darf. (Beispiele erwünscht)
    Aus meiner Sicht ist der Film sehr wohl unterhaltsam. Natürlich nur wegen der Nacktszenen 😉

    Wenn sie sich ein weiteres Mal die Zeit für eine Antwort nehmen möchten, dann gern per Email. Dieser Kommentar braucht dann auch nicht öffentlich gemacht werden.

  • Wo steht denn bitte “dumm”?
    Es ist von einer wohlfeilen Empörung über die Entertainmentvorlieben der breiten Masse die Rede – einer Art von Entertainment, der man sich unter dem Deckmäntelchen der Ironie in SCTH ebenso hingibt.

  • “Free Rainer” war auch kein Höhepunkt des Filmschaffens, aber dann doch wenigstens noch leidlich unterhaltsam. Ansonsten steht Ihnen ja frei, sich als einer der angesprochenen Optimisten zu sehen, die die Ansammlung von Billigprovokationen als Teil eines Gesamtkunstwerks zum Hinweis auf Billigprovokationen betrachten.

  • Kleine Ergänzung: Wenn in Punkt 4 alle Menschen die Short cut to Hollywood mögen könnten als dumm bezeichnet werden, erscheint mir der Autor des Textes da er zu solch einem Totschlag”argument” greift noch weit weniger schlau.

  • Hier hasst wohl jemand seinen Job? Die Kritik für Short Cut to Hollywood ist grauenhaft ungelungen. Auch wenn es sich um eine Satire handelt, deren Kernpunkte scheinbar einfach zu treffen sind, muss diese erst einmal gemacht werden. Dabei ist sie äußert vergnüglich gelungen und übertrifft in meiner Sicht das ähnlich angelegte Werk “Free Rainer” um Längen in Punkto Konsequenz und Witz. Das der Film vom Kritiker zum Teil nicht verstanden wurde zeigen mir die entdeckten “unmotivierten Nacktszenen”. Diese Reihen sich doch bestens in die geschilderte Aufzählung von Bohlen & Co ein. Die Darstellerleistung ist mir nicht negativ aufgefallen, die Charaktere glaubwürdig.

  • Die Kritik zum Film “Dorfpunks” : “Die “Dorfpunks”-Verfilmung ist nur leidlich gelungen”, ist jawohl total daneben. Ich war grad im Kino und der Film ist so authentisch, dass ich am liebsten in diese norddeutsche Provinz fahren würde, um die Leute zu treffen!
    Es gibt nur wenige Bücher (bis jetzt zwei) deren Umsetzung ich besser fand als das Buch. Dies ist Nummer 2.
    Ich weiß, wie man herausfindet, wie es zurück ans Ufer geht. Dein Unvermögen dazu, ist Dir überlassen.
    Schade um Deine persönlichen Probleme. Mir ist`s trotzdem egal.

    “4. Diese Menschen mögen diesen Film
    Die gerne an ihre eigene Jugend auf dem Dorf mit Punk und Bier zurückdenken, da sowohl Musik als auch die Handlung der ersten Hälfte doch vielen vertraut vorkommen dürfte.”
    Scheinbar geht es Dir so, deshalb bist Du verbiestert und verbittert und machst den Film deshalb so schlecht.
    Menschen gibts.

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