vonChristian Ihle 02.11.2011

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Als der amerikanische Rolling Stone im Jahr 2003 in einem Sonderheft die »100 besten Gitarristen aller Zeiten« kürte, befanden sich unter den Auserwählten gerade einmal zwei Frauen (mit Joan Jett war wenigstens ein Vorbild der Riot-Grrrl-Bewegung dabei). Carrie Brownstein von Sleater-Kinney gelang zwar vier Jahre später der Sprung in die Rolling Stone-Liste der 25 am meisten unterbewerteten Gitarristen aller Zeiten – jedoch als einzige Frau inmitten der üblichen männlichen Verdächtigen. Die niedrige Frauenquote stimmt traurig, weil es eindeutig mehr als zwei Frauen gibt, die ihre Instrumente beherrschen.

So haben sich Kathleen Hanna & Co. die musikalische Revolution mit Sicherheit nicht vorgestellt, als sie 1991 in einem kleinen Kaff namens Olympia an der Westküste der USA zur Revolution Girl Style Now aufgerufen haben. Das in der zweiten Ausgabe des Bikini Kill-Zines veröffentlichte, legendäre Riot-Grrrl-Manifest gilt als symbolischer Auftakt der feministischen Musikbewegung, an deren Spitze Bands wie Bikini Kill, Bratmobile oder Heavens to Betsy standen. Das Manifest forderte Mädchen und junge Frauen dazu auf, nicht mehr länger den Mund zu halten und war eine harsche Antwort auf den Postfeminismus und Backlash der Achtzigerjahre, der Frauen in den USA suggerierte, in der Berufswelt alles erreicht zu haben und weibliche Mitglieder von Indierockbands dazu verdonnerte, wenn überhaupt, dann höchstens
Bass spielen zu dürfen. Schon 1978 hatte Poly Styrene, die kürzlich verstorbene feministische Ikone aller Riot Grrrls, im Intro ihres größten Hits »Oh Bondage Up Yours« verkündet: »Some people think that little girls should be seen and not heard.«

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Zwar gab es im Punk einzelne weibliche Stimmen, wie die der X-Ray-Spex-Sängerin, die durchaus gehört wurden, doch waren diese Stimmen bis zu Beginn der Neun -ziger an den Rand gedrängt worden. Erst dann erstürmte eine Horde wütender Mädchen energisch die Rockbühnen dieser Welt, um sich endlich Gehör zu verschaffen.
»I want to be the Girl with the most Cake«, sang Courtney Love zu Beginn der Neunziger, als sie noch mit der Riot-Grrrl-Bewegung sympathisierte, wie das Treffen zwischen ihr und Martin Büsser in unserem Reader zeigt. Riot Grrrls wollten die ganze Bäckerei gleich mit dazu.

In den Neunzigern ereignete sich etwas in der Popkultur, das es so vorher noch nicht gegeben hatte: Frauen machten in der Öffentlichkeit Lärm, der einem heute, zwanzig Jahre später, weit weg vorkommt. Riot Grrrls machten sogar derart viel Radau, dass selbst die Mainstream-Medien von ihnen Notiz nahmen und kurzzeitig versuchten, sie in den Pop-Olymp zu katapultieren. Wütende Musik von Frauen die in den Achtzigern noch rigoros in den Underground verbannt worden wäre, lief plötzlich im Radio, oder wie Bikini Kill sogar in einer Folge der erfolgreichen Familien-Sitcom Roseanne, in der Jackie und Roseanne eine jugendliche Anhalterin auflesen und mit ihr volle acht Minuten über Riot Grrrl diskutieren.

Riot Grrrl vollbrachte, was zuvor noch keiner popkulturellen Bewegung gelingen wollte, und transportierte feministische Issues in den Mainstream. Musik war plötzlich nicht nur Teil einer Bewegung, sondern führte sie sogar maßgeblich an. Zum
ersten Mal in der Musikgeschichte waren Frauen die Anführerinnen einer popkulturellen Bewegung. Und zwar nicht als Einzelkämpferinnen, wie zuvor noch im Punk, sondern als Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Denn: Every Girl is a Riot Grrrl!
Auch wenn wir beide während der Hochphase von Riot Grrrl noch zu jung waren, um diese Revolution der amerikanischen Subkultur selbst miterleben zu können (im Prä-Internetzeitalter mahlten die Mühlen eben langsamer), hat uns die von Riot Grrrl formulierte Gesellschaftskritik zu einem späteren Zeitpunkt unseres Lebens tief geprägt. Die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Popkultur und feministischer Kritik wurde Teil unseres Alltags, und hat so nicht nur einenentscheidenden Einfluss auf unsere Plattensammlungen und politische Sozialisation ausgeübt, sondern bis in die Gegenwart einen zentralen Stellenwert in unseren Leben beibehalten.

Durch Riot Grrrl war es auf einmal wieder cool, sich mit Feminismus auseinanderzusetzen. Das mag aus heutiger Sicht banal klingen, aber ein feministisches Kollektiv, das ohne Angst vor Ablehnung das F-Wort ganz plakativ an die große Glocke
hängte und in kämpferische Songs über Missbrauchsängste und Schönheitsterror verpackte, die trotzdem im Radio liefen, war ein Traum, der in den Neunzigerjahren kurz in Erfüllung ging. Riot Grrrls sangen über Frauenthemen, die in der Rockmusik lange Zeit ignoriert oder in die lahme Liedermacherinnen-Ecke der Womyn’s Music verbannt worden.
Aus den Womyn der Siebzigerjahre wurden Girls. Oder eben Rebel Girls. Riot Grrrl war der Startschuss der sogenannten dritten Welle, eines neuen Feminismus’, der die Zweite Welle einer notwendigen Verjüngungskur unterzog und die feministischen Debatten der Mütter auf einmal wieder für die Töchter interessanter machte.

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Auch hierzulande wurde die Girlism-Debatte aufgegriffen (wenn auch mit einigen Jahren Verzögerung). Doch während sich in den USA junge Frauen in anarchistischen Schulmädchenoutfits trotzig zu Grrrls zusammenschlossen und »Suck My Left One« skandierten, griffen die deutschen Medien die feministische Subkultur aus den Staaten nur in seiner verwässerten Form auf und feierten lieber die Geburtsstunde des Girlies. Statt Songs wie »Rebel Girl« plärrte hierzulande nur Lucilectrics »Weil ich ein Mädchen bin« aus dem Radio. Immerhin existierte mit Parole Trixi wenigstens eine Band in deutschen Gefilden, die angetreten war um das Erbe der Riot Grrrls auch hier zu verbreiten. Ein Gespräch mit der ehemaligen Sängerin und dem Gründungsmitglied Sandra Grether darf aus diesem Grund im ersten hierzulande veröffentlichten Reader über Riot Grrrls deshalb genauso wenig fehlen wie eine Analyse möglicher Gründe dafür, warum Riot Grrrl in Deutschland nie so richtig Fuß fassen konnte.

Riot Grrrl Revisited will keine verklärte Nineties-Nostalgie heraufbeschwören (okay, vielleicht ein bisschen) und auch nicht den Eindruck erwecken, es, als würden an dieser Stelle Veteraninnen vom Krieg erzählen. Wir wissen, dass in der Retrospektive vieles besser erscheinen kann, als es tatsächlich vielleicht gewesen ist. Und schon allein aufgrund unserer persönlichen Verbundenheit mit dem Thema soll dieses Buch weniger der Versuch sein, eine objektive Geschichts-schreibung von Riot Grrrl abzubilden, viel wichtiger ist uns die Frage: Was ist von der Revolution übrig geblieben?
Wo sind die Rebel Girls von heute? Denn: Geblieben ist einiges, verändert hat sich für Frauen im Musikgeschäft eher weniger. Im Gegenteil, Bands wie Warpaint oder Grass Widow werden heute, 20 Jahre nach Riot Grrrl, immer noch auf ihren Exotenstatus in der Musiklandschaft abgeklopft, nur weil die Mitglieder weiblich sind und Gitarre spielen können. Das Fenster, das in den Neunzigern für Angry Women wie PJ Harvey oder Liz Phair offen war, hat sich in den Nullerjahren schneller wieder geschlossen, als Katy Perry »I kissed a Girl« singen konnte. Doch solch antifeministische Lippenbekenntnisse beiseite geschoben, in der Nische ist Riot Grrrl lebendig wie eh und je, wie Maren Volkmanns Spurensuche von Riot-Grrrl-Acts in den Nullerjahren zeigt. Und in Beth Ditto von Gossip hat die Bewegung bis dato sogar ihren spektakulärsten Mainstream-Erfolg zu verbuchen. Doch leider sieht es in der Realität so aus, dass auf jede Beth Ditto zehn Katy Perrys treffen. Und selbst eine auf Avantgarde getrimmte Lady Gaga hat sich bis auf extravagante Modestatements mit politischen Inhalten in ihrer Musik bisher auch eher zurückgehalten. Überhaupt drängt sich der Eindruck auf, als würden aktuell erfolgreiche Popsängerinnen nur noch um Titel der authentischsten Queer-Ikone rangeln (und dabei hat man sie doch in Beth Ditto schon längst gefunden).

»It is now far less acceptable for women to express anger than it was 20 years ago«, sagt Sara Marcus, die im letzten Jahr die amerikanische Historie der Riot Grrls in Girls To The Front niedergeschrieben hat. Weil Female Anger wieder als unsexy, uncool oder hysterisch verstanden wird. Also all die Dinge, gegen die Riot Grrrls vor zwanzig Jahren einmal erfolgreich rebelliert haben. Someone Needs To Throw Another Tampon Into The Crowd! (*)

Text: Katja Peglow / Jonas Engelmann

Anmerkung
* Einen der berüchtigtsten Punkrock-Momente aller Zeiten bescherte Donita Sparks ihren Fans beim Reading Festival 1992. Die L7-Sängerin fühlte sich vom Publikum derart gegängelt, dass sie kurzerhand ihren benutzten Tampon auf der Bühne entfernte und ins Publikum warf.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem jüngst erschienen Buch “RIOT GRRRL REVISITED”.

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