vonChristian Ihle 21.05.2012

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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1. Der Film in einem Satz:


„Zwischennutzung – Das Movie!“



2. Darum geht‘s:


„Berlinized“ wirft einen Blick zurück auf jene, bereits mythisch verklärte Zeit nach der Wende, in der das Berlin der Mitt90er mit seinen Leerstände und Freiräume Künstlern aller Couleur Möglichkeiten zuhauf bot, sich und ihre Ideen zu verwirklichen. Ob Mode, Film, Musik oder – klar – einfach nur Party, wer damals dabei gewesen ist, wirft einen nostalgischen Blick auf eine Stunde Null zurück, als Gentrifizierung noch kein Writing On The Wall sein konnte, weil man an diesen Wänden vor lauter Graffiti eh nichts hätte lesen können.


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=Nhb3GqwWmxs[/youtube]


„Berlinized“ sammelt die Protagonisten jener Jahre ein, die aber Außenstehenden nicht allzu viel sagen dürften – über Berlin hinaus bekannt wurden Jeans Team und Jim Avignon, währen Kollegen wie Captain Space Sex wohl eher nur eingeweihten Kreisen ein wissendes Nicken hervorlocken.

So spannend – und aus heutiger Sicht unglaublich – manche Geschichte über spontan entstandene Clubs auch ist, fehlt es „Berlinized“ aber an überzeugendem Bildmaterial aus der guten alten Zeit. Manche damals gefilmte Performance oder Fashionshow hat einen doch arg naiven Charme und erschließen sich wohl eher, wenn man tatsächlich „dabei“ war. Lediglich ein brillanter Auftritt von MINA in der berüchtigten Galerie berlintokyo am Hackeschen Markt lässt einen auch in einem Originaldokument erahnen, welche Wildheit damals möglich war – sonst müssen wir zu oft auf die (vielleicht?) nostalgiegetrübten Augenzeugenberichte vertrauen, weil die die Bilder selbst keine allzu spannende Geschichte erzählen. Da „Berlinized“ den gleichen Augenblick einer kurzen Kulturanarchie im Berlin der Unordnung zeigt wie ihn Rafael Horzon in seinem „Das weiße Buch“ erzählt, liegt der Vergleich mit diesem Schelmenroman nahe – vor allem weil die Galerie berlintokyo sowohl in Lucian Busses Film als auch im „Weißen Buch“ eine Hauptrolle spielt. Aber gerade bei diesem Vergleich wird auch deutlich, dass die Realität, die die Kamera im Film einfängt, nicht mit den wunderbaren Bilder, die Horzon uns mit seinen Geschichten in den Kopf gezaubert hat, mithalten kann.



3. Der beste Moment:


Prinzipiell die Geschichten um die Galerie berlintokyo und das dortige Konzert von MINA (in obigem Trailer ab 0:30 zu sehen) sowie die Erzählungen von Hannes Romberg über die Bar „Kunst & Technik“. Schönste Stelle: wenn Romberg davon erzählt, dass die leidige Rattenplage in ihrer Baracken-Bar sich dank einer Performance von Carsten Nicolai erledigt hatte, weil es da selbst den alten Nagern zu laut zu ging.



4. Diese Menschen mögen diesen Film:


Weeßte noch, glaubste nich! Damals!



* Regie: Lucian Busse
* imdb

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https://blogs.taz.de/popblog/2012/05/21/berlinized-sexy-an-eis-regie-lucian-busse/

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kommentare

  • Leider bietet der Film weder einen größeren Überblick über Orte und Protagonisten aus der Zeit, noch werden die wenigen Ausgesuchten eingehender porträtiert. Für den Zuschauer bleibt unklar, warum gerade diese Leute ausgewählt wurden.

    Für eine kurzweilige 90 Jahre Show ist der Film zu unzeitgemäß zusammengestellt worden und streckenweise sogar langatmig. Viele Aufnahmen wirken wie ein alternativer Dauerfasching und zerstören in ihrer Banalität eher den 90er Jahre Mythos, als das sie ihn feiern.

    Ein reflektierterer Rückblick hätte gut getan. Einzig in einem kurzen Interviewsegment mit Tim Edler wird die heutige Situation in Berlin angesprochen, die Spaßvögeln, wie den Leuten im Film, immer seltener Möglichkeiten bietet sich auszuleben.

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