vonChristian Ihle 22.08.2012

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Die Dexys Midnight Runners sind wohl eine der unterschätztesten Bands, die aus den Wirren des (Post-)Punk entstanden sind. Obwohl die halbe Welt sie nur wegen des phänomenal erfolgreichen Welthits „Come On Eileen“ (Nummer 1 in England und Amerika!) kennt, der immer noch Hochzeits- und Studentendiscostandard ist, sind die Dexys immer viel mehr gewesen: sie waren eine Punkband, sie waren eine Soulband, sie waren eine Irish-Folk-Band und sie haben Mitte der 80er mit „Don’t Stand Me Down“ ein Meisterwerk des New Pop veröffentlicht, das dermaßen böse gefloppt ist, dass sich Sänger Kevin Rowland bis auf zwei ebenfalls erfolglose Soloalben aus dem Musikbusiness zurückgezogen hat.
Man wollte nicht mehr daran glauben, aber 2012 veröffentlichen die Dexys (heutzutage ohne „Midnight Runners“) nun ihr viertes Album – das erste seit eben „Don’t Stand Me Down“ vor 27 (!) Jahren. Grund genug, mit Sänger Kevin Rowland über Irrungen, Wirrungen, Bandumbesetzungen, Nationalismus, „the only way to change things is to shoot the men who arrange things“, die IRA, The Clash und Morrissey zu sprechen:


Popblog: Keines der nun vier Dexys-Alben wurde mit dem gleichen Line-Up wie das vorherige aufgenommen. Hat sich das immer organisch so entwickelt oder war es ein gezielter Plan, die Dexys immer und immer wieder neu aufzustellen und damit neu zu definieren?


Kevin Rowland: Eigentlich war es ein organischer Prozess. Andererseits glaube ich aber, dass ich im Unterbewusstsein immer wusste: Die Dexys brauchen Erneuerung, um „fresh“ zu bleiben.


Ich könnte wirklich keine einzige Band benennen, die in fünf Jahren drei Alben mit drei unterschiedlichen Line-Ups und in völlig unterschiedlichen Musikstilen aufgenommen hat – und der es dann auch noch gelungen wäre, dass jedes der drei Alben für sich großartig geklungen hat.


Rowland: Ja, das ist wirklich ein guter Punkt. Mir würde ehrlich gesagt auch keine vergleichbare Band einfallen… *lacht*


Ist das eine besondere Gabe Deinerseits, dass Du immer die richtigen Leute zur richtigen Zeit für die Dexys um dich versammeln konntest?


Rowland: Ich weiß nicht, ich will ja auch die jetzigen Bandmitglieder nicht herabsetzen oder sie verunsichern, dass sie nicht mehr lang dabei sein werden… Es fühlt sich im Moment auf jeden Fall gut an.


Pläne, mit der jetzigen Besetzung weitere Songs aufzunehmen?


Rowland: Ja, definitiv.





Im neuen Line-Up der Dexys sind einige bekannte Gesichter wie Jim Paterson oder Mick Talbot. Jim Paterson hat auf jedem Album gespielt, aber zwischendurch die Dexys verlassen, oder?


Rowland: Ja, er hat zwischen dem zweiten und dritten Album die Band verlassen – war aber auf dem dritten Album dann doch als Session Player dabei! Ich hab damals keine Songs mit ihm entwickelt, das war mehr „Jim, kannst du vorbei kommen und Posaune spielen?“.


Also war sein Ausstieg aus der Band damals auf freundschaftlicher Basis?


Rowland: Nein.


Warum sind Jim Paterson – und auch Mick Talbot (zwischendurch The Style Council, aber davor bereits beim ersten Dexys-Album dabei, Anm.) – dann wieder Bestandteil der neuen Dexys-Besetzung?


Rowland: Wir haben 2002 ein paar Shows gespielt – bereits mit Mick, aber noch ohne Jim. Ich habe Jim zwar gefragt, aber er wusste damals nicht, ob er wieder einsteigen möchte. 2008 hab ich dann ein paar Demos aufgenommen, die OK waren, aber irgendwie ging es trotzdem nicht so recht voran. Ich wusste also, ich brauche wirklich tatkräftige Unterstützung, um ein neues Album hinzubekommen. Mick war dann auch wirklich die Hilfe, die ich gesucht habe.


Gibt es eigentlich auch Pläne außerhalb von Großbritannien live aufzutreten?


Rowland: Oh, ich würde gern, aber das ist im Endeffekt nicht in meiner Hand. Die Leute mit dem Geld müssen das entscheiden…


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=OHl84cD1Rrg[/youtube]


2003 haben die Dexys eine Reunion-Tour…


Rowland: … Re-Invention! Ich mag das Wort Reunion nicht.


…ok, Re-Invention-Tour gemacht. Zu der Zeit hast Du auch ein neues Album angekündigt. Das ist jetzt neun Jahre her. Was ist in der ganzen Zeit eigentlich passiert?


Rowland: Gute Frage. *überlegt lang*
Ich weiß nicht. *überlegt*
Ich habe versucht, eine Platte aufzunehmen. Aber es hat einfach nicht geklappt.


Waren das dann eher Probleme mit dem Schreiben der Songs oder mit dem tatsächlichen Aufnehmen in einem Studio?


Rowland: Die Songs waren alle da! Ich habe einfach über Jahre nicht die richtige Kombination von Leuten gefunden, damit es sich gut angehört hätte… aber auf einmal hat alles gepasst.


War auf dem neuen Album von vornherein geplant, dass es eine weibliche Sängerin geben wird?


Rowland: Ich hatte schon vor Jahren die Songs mit den weiblichen Gesangsparts so geschrieben. Und ich hab wirklich über Jahre viele verschiedene Sängerinnen ausprobiert, aber nie die richtige gefunden. Und dann, vielleicht drei Monate bevor wir tatsächlich für das Album ins Studio gegangen sind, wurde mir von einem Freund Maddie (die neue Sängerin der Dexys, Madeleine Hayes, Anm.) vorgestellt… Und sie war die, die ich all die Jahre gesucht hatte.


Was macht sie zur richtigen Wahl?


Rowland: Sie ist Sängerin und Schauspielerin. Die weiblichen Gesangsparts auf dem Album haben etwas spielerisches, so dass ihre Schauspielausbildung sehr geholfen hat. Und wenn sie singt, singt sie like she means it.


*er singt eine ihrer Gesangsstellen: „Kevin, don’t look at me“*


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=ND2OwTEzm8g[/youtube]


Ja, stimmt. Sie klingt sehr wild und energetisch.


Rowland: Auch glaubwürdig?


Ja. Sie erinnert mich ein wenig an Kirsty MacColls Duett mit The Pogues, „Fairytale Of New York“, die ja im Song einen richtigen Streit ausfechten. Daran erinnert mich Euer Austausch…


Rowland: Oh, daran hab ich gar noch nicht gedacht. Aber stimmt.


Abgesehen vom Gesang waren Image & Style für die Dexys immer wichtig. Gibt es eine spezielle Band, die Du gerade in dieser Hinsicht bewundert hast?


Rowland: Ja. Deaf School aus den Mitt70ern. Die waren auf Warner, hatten drei Alben und waren fast ein wenig Performance Art. Sie haben die Songs sozusagen auch „dargestellt“. Das machen Dexys auch. Stilistisch waren sie 20er, 30er, 40er, 50er, 60er, 70er… alles gemischt.


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=EWmiN4ih_rQ[/youtube]


Ich finde, deine Stimme klingt immer noch so fantastisch wie früher.


Rowland: Man muss sich einfach um seine Stimme kümmern, wenn man älter wird. Meine Stimme ist jetzt ein wenig tiefer geworden oder anders gesagt, ich habe jetzt eine größere Bandbreite. Vielleicht nutze ich sie aber auch nur, denn eigentlich hätte ich früher ja auch schon tiefere Töne singen können. Früher dachte ich aber, ich müsste immer am Rand dessen singen, was ich eigentlich drauf habe, um energiegeladen zu klingen. Aber das ist natürlich Unsinn.


Fühlst Du Dich jetzt anders auf der Bühne als zu Beginn Deiner Karriere?


Rowland: Ja. Besser. Souveräner…. etwas.


War der kommerzielle Misserfolg von „Don’t Stand Me Down“ die größte Enttäuschung Deiner Karriere?


Rowland: Auf einer beruflichen Ebene ja. Ich hatte sicher noch größere private Enttäuschungen, aber beruflich? „Don’t Stand Me Down“.


Jeder, der heute das Album kennt, findet es fantastisch. Was lief damals dann falsch?


Rowland: Ich war zu arrogant. Ich habe versäumt, die Plattenfirma ins Boot zu holen.


Das erste Dexys-Album ist zur Punk-Hochzeit veröffentlicht worden. Es mag vom Klang mit den Bläsern und Soul-Einflüssen vielleicht weniger Punk gewesen sein, aber für mich ist es dank seiner Attitude, seiner Kompromisslosigkeit eines der besten Punk-Alben überhaupt. Und natürlich auch textlich, wenn man nur an die Zeile „The only way to change things is to shoot the men who arrange things“ denkt.


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=4zHwmtBXHGo[/youtube]


Rowland: Es ging mir darum, dass Bands damals in ihren Texten „politisch“ waren… ich fand aber, dass sie nur naiv waren, in der Art wie sie über Politik getextet hatten.


Meinst Du damit Bands wie The Clash?


Rowland: Nein, nicht The Clash. Ich habe The Clash immer respektiert und geschätzt. Es waren viele andere Bands – damals 1978, 1979 – die dachten, sie wären politisch. Fast alle waren Middle Class, hatten eine bessere Erziehung als ich genossen…


Du hast einen Working Class Background?


Rowland: Ja, ich bin Working Class. Diese Middle Class Typen haben damals in langen Interviews im NME und im Melody Maker Burroughs und Kierkegaard zitiert… Dieses Prätentiöse, aber Naive – das konnte ich überhaupt nicht leiden. An die habe ich diese Zeile gerichtet, das war meine Ansage: “Hey, ihr redet hier über Politik und eine bessere Gesellschaft, aber wenn ihr was ändern wollt, dann müsst ihr schon auch Leute erschießen. Das ist der einzige Weg, dass sich was ändern würde, nicht durch Euer Gerede und Kierkegaard-Zitieren im NME.“


Also war das ein Angriff auf Bands, die nur reden und nichts machen?


Rowland: Ja. Und, vielleicht, war es auch eine verdeckte Anspielung auf die IRA…


Du hast in den 80ern auch durchaus Unterstützung für die IRA erkennen lassen.


Rowland: Nicht direkt, aber wir haben an Märschen für die Freilassung von politischen IRA-Gefangenen teilgenommen. Wir wollten auch einen Benefiz-Gig für eine „irish speaking school“ in Belfast veranstalten. Wenn du damals in Belfast oder Derry von der Polizei festgenommen wurdest, hast du nur irisch gesprochen und die britische Polizei hat extra einen Dolmetscher gebraucht. Auch vor Gericht hat man verweigert, englisch zu sprechen: „In Irland, in meinem eigenen Land, werde ich nur irisch sprechen“. Das war eine Art der resistance gegen die britische Besetzung. Und die irish speaking schools waren privat organisierte Schulen, die sicherstellen wollten, dass auch die Nachwachsenden weiterhin irisch verstehen und sprechen können – ein Können, das sich über die Jahre immer mehr verflüchtigt hatte. Sie wollten dafür sorgen, dass Iren in Irland irisch sprechen können.

1983 war ich dort in einer Schule. Das waren alte, verlassene Fabriken, in denen privat Irisch-Unterricht organisiert wurde, weil sich der britische Staat natürlich weigerte, in Belfast den Schülern irisch beizubringen. Also wurden von Sinn Féin, dem politischen Flügel der IRA, kostenlose, private Schulklassen für die Working Class organisiert! Das fand ich nett und gut.

Deshalb wollten wir einen Benefizgig spielen, um diese Irish Schools zu unterstützen, die ohne jede staatliche Finanzierung durchkommen und sich ausschließlich über Spenden finanzieren mussten.


Auf dem neuen Album singst du „I was born here of an Irish family / But that in itself is not too good for me / Because national identity won’t fulfill me“. Denkst Du, dass die national identity heute weniger zentral im Leben ist als früher – oder für viele immer noch wichtig?


Rowland: Für mich ist sowas wie nationale Identität überhaupt nicht relevant. Wie ist das in Deutschland? Ich stell mir vor, dass für Euch so etwas wie national identity noch viel schwieriger ist? Mir wurde erzählt dass in den Berliner Vorstädten eine große faschistische Bewegung existiert?


Es gibt ein Gefälle in Richtung Osten, weniger in Berlin speziell. Aber ich denke, es ist eher eine grundsätzliche Frage der Chancen und Möglichkeiten, die in manchen Ecken des Landes existieren. Wenn kein Geld vorhanden, die Jugendarbeitslosigkeit enorm hoch ist und alle, die den Sprung schaffen können, sowieso weg ziehen, dann entsteht Extremismus.


Rowland: Ja, keine Frage. Wir haben in England auch ein Right Wing Movement.


Hast Du eigentlich das berüchtigte Interview von Morrissey vor ein paar Jahren mitbekommen, als er davon sprach, dass er fürchtet, England würde seine Identität verlieren?


Rowland: Ich versteh, was er meint. Ich bin vor fünf Jahren von Brighton nach London zurückgezogen. In den elf Jahren, in denen ich nicht in London gelebt hatte, hat sich die Stadt komplett verändert. Es gab auf einmal viele Osteuropäer, die vorher nicht in London gewohnt hatten und so hat sich natürlich auch die Stadt verändert. Aber zum Beispiel die polnischen Einwanderer, das sind alles amazing people. Hart arbeitende, ordentliche Leute. Aber natürlich hat sich trotzdem die Kultur geändert. Und auch ich muss zugeben: ja, es war schwer für mich, mich wieder an die neue, durch Hinzugezogene veränderte Kultur anzupassen. Aber das heißt nicht, dass das etwas Schlechtes wäre!

Wenn Du Dir England, und dann vor allem East London, wo ich wohne, anschaust: es hat sich immer verändert! Zuerst kamen die Juden, dann kamen die Iren, dann kamen die Asiaten. Es gab immer zunächst Widerstand. Und wenn ich mir East London heute anschaue: jetzt kommen die Yuppies! Und nun ist die vorherige East-London-Generation, zum Beispiel die asiatische Bevölkerung, verärgert über diesen Zuzug.


Ich versteh wie Morrissey fühlt, weil das England, das er in seiner Jugend kannte, auch das England meiner Jugend ist: it’s gone and it will never come back. Aber auch das England, in dem meine Eltern aufgewachsen sind, das ist ebenso verschwunden und wird niemals zurückkommen.


Also denkst Du, Morrissey wurde missverstanden, und dass seine Aussage mehr war: „Das England, das ich kannte, das ist verschwunden. Aber das ist eine natürliche Entwicklung – und das ist auch in Ordnung für mich“.



Rowland: Ich kann natürlich nicht für Morrissey sprechen. Aber was mich angeht: Ja. Morrissey hat sicherlich einen nostalgischeren Blick auf England als ich, aber ich kann schon verstehen, was er fühlt. Auch ich fand es auch schwierig, mich bei meiner Rückkehr 2007 wieder zu integrieren in das Londonleben.


Es ist einfach wie es ist, Mann. Alles ändert sich immer.

(Interview: Christian Ihle)

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