Das Reeperbahnfestival ist wohl die Veranstaltung hierzulande, die am ehesten an das legendäre South By Southwest heranreicht: statt auf zwei, drei riesigen Bühnen viele Bands verloren herumstehen zu lassen, steckt das Reeperbahnfestivals all die kleinen und mittelgroßen Gruppen in angemessene Indoor-Locations, die allesamt zu Fuß zu erreichen sind. Zudem liegt der Fokus nicht auf den Headlinern, sondern auf einem ausgewogenen Line-Up, das sich aus Newcomern und noch nicht so populären Acts speist.
Die vielleicht schönste Idee am ganzen Reeperbahnfestival ist dabei „Ray’s Reeperbahn Revue“: jeden Tag um 17.00 Uhr begrüßt MTV-Legende Ray Cokes in einem Theater vier junge Bands. So unspektakulär das klingen mag, ist Cokes aber dermaßen erfrischend, dass man sich wünscht, ZDFneo würde sich endlich erbarmen und ihm exakt so eine Show schenken – im Grunde ist „Ray’s Reeperbahn Revue“ das BBC-Format „Jools Holland“ in wild, witzig und schlagfertig.
Eine der schönsten Entdeckungen des Festivals ist folgerichtig auch Mr Cokes zu verdanken: Big Harp, eine Zweimannband aus dem Bright-Eyes-Umfeld, die im letzten Jahr ihr Country/Folk-Debüt-Album auf Saddle Creek veröffentlichten. In diesem manchmal zu weinerlichen Genre eine Offenbarung.
Crocodiles / Best Coast
Aus der Ecke der Lo-Fi-Heroen gibt es dagegen unterschiedliches zu berichten: während die Crocodiles alle Bubblegum-Ansätze mit Feedback, Feedback und FEEDBACK vertreiben und sich so schon auf Spacemen-3-Terrain begeben, ist Bethany Cosentino von Best Coast leider auch nach zwei Jahren Tour immer noch nicht fähig, eine vernünftige Performance zu geben. Missmutig bis gelangweilt singt Beth ihre Songs runter, was wirklich jammerschade ist, hat sie doch gerade mit den frühen Singles wie „When I’m With You“ bewiesen, dass in ihren Liedern mehr Songwriting-Kraft steckt als das bei vielen anderen Bands dieser Ecke der Fall ist.
Graham Coxon
Überhaupt nicht einzuschätzen ist dagegen, was für einen Graham Coxon man wohl zu sehen bekommt. Der Blur-Gitarrist hat auf seinen Soloplatten von Bob-Dylan-Gedenk-Songs über Hardcorepunk und Indierockkrachern bis zu Jazz-Folk sich so quer durch alle denkbaren Genres gespielt, dass eine Werkschau in jede Richtung gehen kann. Dankenswerterweise ist Coxon im Rockmodus und hat zur Untermauerung zeitweise vier (!) Gitarristen auf der Bühne stehen. Obwohl Coxon selbst eher unzufrieden mit dem eigenen Auftritt scheint, gibt es kaum etwas zu kritisieren. Gutes Set, druckvoller Sound und alle Gedanken an den Nebenjob bei dieser einen Britpopband mal schnell aus der Halle geblasen.
Lena
Den größtmöglichen Kulturschock kann man sich auf dem Reeperbahnfestival auch geben. Nach dem Uber-DIY-Fanatiker Coxon geht es in die Location nebenan, um Lena zuzusehen, wie sie versucht, ihre Karriere wieder in Schwung zu bekommen. Die Aussichten? Mager.
Dass die meisten neuen Songs doch eher belangloses Tüdelü sind, geschenkt, aber dass sie nicht einmal ihren Hit „Satellite“ mit dem notwendigen Druck vorstellen kann und auch dieser Moment in einem Muzak-Brei verschwindet, lässt einen beinah ratlos zurück. Noch schlimmer allerdings, dass Lenas größte Stärke, die Unbekümmertheit und das sympathische Wesen, das sie im Fernsehen ausstrahlt, auf der Bühne gänzlich verschwunden sind und man einer affektierten, etwas überheblichen jungen Dame zugucken muss, wie sie versucht, einen Popstar darzustellen. Was natürlich die Frage aufwirft: ist sie nicht mehr sympathisch und unbekümmert oder sind im Fernsehen die anderen einfach dermaßen große Kackstelzen, dass sogar diese Lena dagegen sympathisch und unbekümmert erscheint?
Die Strafe für Casting-Karriere und Popstar-Mimikry folgt jedenfalls auf dem Fuß, wirft man einen Blick ins Publikum: die überwiegende Mehrzahl sieht leider so aus, als würde sie sich einen Dreck um Musik scheren, so wenig kann man sich diese Zuschauer bei irgendeiner anderen Band auf diesem Festival vorstellen. Schlimmer noch, dass einige doch dem Schreckensbild des geifernden älteren Mannes entsprechen, der sich nun wahrlich aus den falschen Gründen ein Konzert ansieht. Kein netter Anblick, das.
“MorrisseyHatSchonAllesDasGesagtWasIchSagenWill
04.10.2012 um 1:10
lena ist okay. aber so militante fans sind unsympathisch.”
[b]…… haben sie sich schon mal informiert welchen Ursprung das Wort “Fan” hat?[/b]