vonChristian Ihle 08.01.2013

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Die Peter-Neururer-Biographie beginnt, wie man sich den Anfang einer Geschichte über den alten Ruhrpotthund immer gewünscht hatte: verrauchte Hinterzimmer, Laissez-faire-Lebensweise, Pokertische, hohe Wetteinsätze, kleine & große Katastrophen, aber vor allem: Aufstehen, wenn man auf die Fresse geflogen ist.




So nimmt die Geschichte des Bundesligatrainers Peter Neururer ihren Anfang mit einer sechsstelligen Summe an Wettschulden, die Neururer in den 80ern an einem einzigen Abend anhäufte, als er die Quartalseinnahmen aus seinen beiden Tennisschulen auf den Wetttisch gelegt hatte (wobei ein kurzes Überschlagen der Summen nach all den Informationen, die im Text gegeben sind, einen rätseln lassen, wieviele Stunden der Tennistrainertag des Studenten Neururers gehabt haben möge – oder welch astronomischen Summen im Ruhrpott vor dreißig Jahren für eine Stunde Tennistraining gezahlt worden sind… Auch wenn man mit einiger Überraschung liest, dass Neururer ein so talentierter Tennisspieler war, dass er tatsächlich am Jugendturnier von Wimbledon (!) teilgenommen hatte).


Peter Neururer


Doch im Folgenden ist Neururers Lebensgeschichte bei weitem weniger spektakulär oder skandalbehaftet als man sich vielleicht zum amüsierten Lesen gewünscht hätte – es kommt vielmehr der unbedingte Drang Neururers durch, seinem Medienimage als schnauzbarttragender Sprücheklopfer das Bild des seriösen Fußballlehrers gegenüberzustellen. Wenn man tatsächlich Enthüllungen, Skandale oder Beschuldigungen sucht, findet man gerade einmal zwei: eine etwas krude, wolkig angedeutete Beeinflussung von zwei Spielern in seiner Zeit beim 1. FC Saarbrücken durch Willi Entenmann, den Trainer des damaligen Abstiegskonkurrenten 1. FC Nürnberg (die aber in nicht mehr bestand als eben den beiden Spielern einen Vertrag nach Saisonende anzubieten – Spielerwechsel oder Transfers, die nun in der Bundesliga nicht allzu ungewöhnlich sind) und die Enthüllung, dass die ehemalige Sturmlegende des KSC, Arno Glesius, zu dumm ist, ein Kreuzworträtsel zu lösen. Eine Offenbarung, die jedem, der in den 90ern Panini-Fußballbilder gesammelt hat, nicht allzu schockierend vorkommen dürfte, so der Schluß von Aussehen auf Inhalt zulässig ist:





Der Charme der Neururer-Biographie liegt mehr in einer Typographie der Niederungen des deutschen Fußballs in den 80ern und 90ern. Einblick in eine Branche zu bekommen, die weitab von Bayern München die Professionalisierung des Prinzips Profifußballs nur mit dem Fernglas schauen kann, Vereinsführungen, die aus Weihnachtsmännern und Osterhasen bestehen, Handschlagverträgen und Spontanentlassungen auf Aufstiegsplätzen, wenn der Herr Präsident sich in seiner Eitelkeit verletzt fühlt, weil Neururer zum Medienliebling „Peter, der Große“ wird.

Berührende Momente finden sich: wie Neururer von den Fans der Offenbacher Kickers zu Tränen gerührt ist, wenn sie ihn trotz Abstieg nicht teeren und federn wollen, sondern als einen der ihren erkennen und hochleben lassen. Wenn die Supporter von Schalke 04 ihrem Extrainer zum Geburtstag ein Ständchen singen – obwohl Neururer mit seiner neuen Mannschaft zum Bundesliga-Duell angetreten ist.


So erfüllt Neururers aufgezeichnetes Fußball-Leben am Ende doch eine Lesehoffnung, die gerade nicht im Skandalösen liegt – sie führt zurück in eine Zeit des authentischen Fußballs, der „Typen“, die heute so oft vermisst werden. Wie auch Peter Neururer als Trainer vermisst wird, nachdem dieses Kapitel mit seinem Herzinfarkt, von dem er glcklicherweise wieder genesen ist, wohl leider beendet sein dürfte.
(Christian Ihle)




Peter Neururer – Aus dem Leben eines Bundesligatrainers
Autor: Thomas Lötz
Gebundene Ausgabe: 188 Seiten
Delius Klasing

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