vonChristian Ihle 26.03.2013

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Weiter auseinander könnten zwei Fanzines kaum noch sein als die beiden jüngst auf unserem Schreibtisch gelandeten „Schinken Omi“ und „Transzendieren Exzess Pop“ – was sich auch schon im Titel widerspiegelt.




„Schinken Omi“ wird von Intro-Kollegen um Linus Volkmann herausgegeben und liefert herrlichsten Quatsch mit einer Punkattitude. Zur Grundidee wird erhoben, dass die gute alte Oma, die – bei allen Altersgebrechen – die Zeiten des Deutschen Reichs noch gut in Erinnerung hat, die Popwelt des Jahres 2012 erlebt und kommentiert. Ausflüge ins Berghain und auf den Piraten-Parteitag werden dabei ebenso imaginiert wie Bewerbungsschreiben an Unternehmen verschickt, in denen sich die Titelheldin aufgrund ihres gesegneten Alters als prädestiniert für einen Job als „Senior Developer Java“ vorstellt oder die „Treppenlifta-Rockliga“ präsentiert, bei der Silbermond, Revolverheld und Konsorten in schönstem Marketingdeutsch für Pseudohipsterzielgruppen vorgestellt werden.


Das ist oft absurd, manchmal albern und größtenteils tatsächlich sehr witzig – und vor allem auch in vielem gewagter als man das in einer regulären Zeitschrift wohl schreiben könnte, denn als Faustformel gilt: die Nazipointen sind geiler als die Gerontengags. Der Spaß am Vor-den-Kopf-stoßen ist nicht zu übersehen. Sicher, nicht alle Pointen sitzen und die Gastbeiträge von Jens Friebe bis Egotronic-Torsun sind nicht ganz auf der Witzdichte des restlichen Heftes, aber insgesamt ist „Schinken Omi“ ein sehr gutes Satire-Fanzine und, ehrlich gesagt: viel besser als erwartet, weil schärfer geschrieben und weniger quatschig als gedacht.


Dagegen liegt die größte Gemeinsamkeit des recht jungen Hamburger Fanzines „Transzendieren Exzess Pop“ mit „Schinken Omi“ im Format: A5, DIY, Schere, Stein, Papier! Ansonsten herrscht hier ein ernsthafterer Ansatz und schlägt sich vor allem eine Liebe zur Musik statt zur Satire in den Texten nieder. Herzstück der aktuellen Ausgabe ist ein Doppel-CD-Sampler mit (zumeist) frischen, jungen Indiebands. Debütanten sind ebenso vertreten wie Gruppen, die bereits ihr Album veröffentlicht haben (Sleeping Policemen sind z.B. mit dem hervorragenden Song „Jack Of All Trades“ vertreten) oder gar Veteranen des DIY wie Mikrofisch, die kürzlich ihr zehnjähriges Bandjubiläum feierten und ja auch schon hier im Popblog zu „Album des Monats“ – Ehren gekommen waren. Ein weiterer Höhepunkt findet sich in einer schön irren Sternenwarten-Hymne von Chomolungmas Kleid:


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=6o6gYqTUHMA[/youtube]


Mikrofisch-Mastermind Matthias Weber hat auch noch einen Text beigesteuert, der aus seinen eigenen, vergangenen Fanzine-Erfahrungen berichtet: the rise and fall of pittiplatsch 3000 – ein Fanzine, das vor gut zehn, zwölf Jahren im süddeutschen Raum gerade im Indie/Twee-Bereich enorme Bedeutung hatte (und, Disclaimer, an dessen letzter Ausgabe auch ich mitgeschrieben habe). So ist es auch schlüssig, dass sich Mawe in „Transzendieren Exzess Pop“ wiederfindet, weil sich der Ansatz ähnelt: es dreht sich um die Musik, nicht um Politik, über kleine Bands wird geschrieben, die Trüffelschweinfunktion eines Fanzines voll wiederbelebt.

Bezug:


Schinken Omi
* Kontakt / Bestellung: schinkenomi@gmx.de
* Homepage

Transzendieren Exzess Pop
* Kontakt / Bestellung: tepinteresse@googlemail.com (Heft für 5 € inkl. Port u. Verpackung)
* TEP-Liverevue am 29.03. in Hamburg im Hafenklang:


Transzendieren Exzess Pop: Die Revue

Bands:
Bessere Zeiten
Mikrofisch
Lada
Mrs Mole

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https://blogs.taz.de/popblog/2013/03/26/aus-der-fanzine-welt-schinken-omi-und-transzendenz-pop-exzess/

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