vonChristian Ihle 01.10.2013

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Der Süddeutschen Zeitung geht der Hut hoch bei einer Besprechung des neuen Buchs „Dieses beschissen schöne Leben“ von Andreas Altmann:


„Andreas Altmann ist besessen von der kitzligen Idee, dass er beim Schreiben von sehr militanten Bürgern umgeben ist, die ihn unablässig rügen und verdammen. In Wahrheit ist Altmann selbst so kleinbürgerlich hingerissen von seinem vermeintlichen Nonkonformismus, dass er an allen Ecken und Enden vor der Wucht, vor dem „Fortissimo der Storys“ warnen muss.

(…)

Dass jemand nicht so besonders gut schreibt, wäre für sich genommen halb so schlimm, wenn er nicht behaupten würde, er könne es besser als die meisten anderen. Und so quält man sich durch diese als Dirty-Little-Boy-Storys verkleideten Anders-Reisen-Episödchen – wobei die Geschichte „Der Trip“ zumindest einen bemerkenswerten Satz enthält: „Ich war allein, Mittelpunkt einer von Sprache und Denken unfassbaren Leere.“ Eigentlich das Leitmotiv des ganzen Buchs, in dem immer derselbe mittelscharfe Senf bis zum Würgereiz aufgetragen wird: Hier ist ein todesmutiger Reporter unterwegs, der eine so unfassbare Lust am Erleben hat, dass ihr moralinsauren Knalltüten zu Hause euch keinen Begriff davon machen könnt.

(…)

Man könnte über all diese Stilblüten, streng riechenden Männerphantasien und aufgeblasenen Nichtigkeiten lachen, wenn man nicht wüsste, dass Altmann das alles richtig ernst meint. Die detaillierte Beschreibung einer technisch aufwendigen Liebesnacht des Autors mit einem Mann und die unverstellte Schilderung des Beischlafs einer Frau mit einem Dobermann – Kunden, die „Die Mädchenakademie“ gekauft haben, werden auch dieses Buch mögen.

(…)

Und dann kommt die Story „Die Vergewaltigung“ (…) Worum geht es? Altmann hat mal wieder eine Frau abgeschleppt und mit ihr eine Liaison geknüpft, „die unbefleckt von der Erbsünde der Heuchelei“ ist. Unter dem Niveau solcherart alttestamentarischer Blutsuppen lässt er ja nichts anbrennen. Die Frau wird schwanger, und Altmann fälscht ein Attest dergestalt, dass es ihm bescheinigt, Träger einer familiären Erbkrankheit zu sein, die ihn als Vater ungeeignet macht. Die Frau lässt das Kind schließlich abtreiben. Denn: „Weit und breit bot ihre Existenz nicht die kleinste Chance, die seelischen (und materiellen) Reserven für die Erziehung eines Kindes zu organisieren.“ Ins Deutsche übersetzt dürfte dieses Kauderwelsch in etwa bedeuten: Das Flittchen hat gar nicht das moralische und finanzielle Rüstzeug, um anständig für ihr Kind zu sorgen.

Natürlich will Altmann etwas ganz anderes sagen, als er schreibt. Das ist fast immer so in diesem Buch. Aber weil seine vermeintliche Geliebte, die Sprache, ihren glücklosen Verehrer in Wahrheit nach Strich und Faden betrügt, lässt sie den Autor am Ende so dastehen, wie er ist: selbstgerecht, dabei aufs peinlichste entblößt und jetzt zudem mit einem Buch auf dem Markt, das nichts mit Henry Miller und Norman Mailer zu tun hat, sondern bestenfalls als eine Art „Fifty Shades of Grey“ für ältere männliche Alleinreisende durchgeht.

„Nur ein Mann, der in vielen Nächten den hundsföttischen Schmerz erotischer Leblosigkeit erfahren hat, kann die Dankbarkeit einer Frau gegenüber ahnen, die ihm auf schwerelose Art all das Seine zurückgab.“ Man muss schon eine Menge im Leben und in der Literatur nicht verstanden haben, wenn man so etwas allen Ernstes veröffentlicht.“



(Hilmar Kluthe, Süddeutsche Zeitung)

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