vonChristian Ihle 16.09.2014

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Zur „Veröffentlichung“ der neuen U2-Platte inklusive ungefragtem Platzieren in einer halben Millarde iTunes-Systeme könnte man wohl ein ganzes Buch an Schmähkritiken zusammenstellen. Stellvertretend sei der österreichische Standard hier zitiert, der so laut wutschnaubt, dass man es wohl sogar in Irland hören könnte:


„Die schlechte Nachricht ist, dass U2 als weltweit erfolgreichste Rockband nicht nur aufgrund eines Tricks ihrer Anwälte seit Ende der Nullerjahre nicht nur 95 Prozent ihres Einkommens nicht versteuern – was den scheinbar vor jeglichen Selbstzweifeln gefeiten Bono aber nicht daran hindert, gemeinsam mit dem Papst oder dem Weltbank-Chef für mehr soziale Gerechtigkeit zu beten.

Jetzt wird es wirklich übel: U2 haben gerade mit Songs of Innocence das schlechteste und pathetisch-verlogenste Album ihrer an schlechten und verlogenen Alben nicht gerade armen Karriere veröffentlicht. (…) Auch Joey Ramone und Joe Strummer, die früh verstorbenen Köpfe der Punk-Gründerväter Ramones und The Clash, bekommen Lieder gewidmet. U2 haben „Wurzeln im Punk“, als weltumarmende Kirchenmusiker haben sie die Verweigerungshaltung des Punk allerdings gründlich missverstanden. Joey Ramone und Joe Strummer können sich nicht mehr wehren. (…) Ab 13. Oktober wird man das Album auch kaufen können. Wer wird das tun, die Verwandtschaft? Mit der gefühlvollen Ballade Iris hat Bono übrigens endlich eine Fortsetzung von Heintjes Mama geschrieben.

Textlich ist alles ohnehin so angelegt, dass es von einem fanatischen 15-jährigen polnischen Austauschschüler hätte verfasst werden können, der seinen gottlosen britischen Gasteltern den katholischen Glauben mit dem Schwert näherbringen möchte.

U2 lassen sich auf Songs of Innocence vom ab sofort unhippen Produzenten Danger Mouse (Gnarls Barkley, Crazy) blutleer und songtechnisch alte U2-Formulare ausfüllend Richtung Pathos-Elektrorock designen. In der heutigen Folge hören wir Coldplay, wie sie U2 nachahmen, die Snow Patrol nachäffen, in Wahrheit aber aus Bruck an der Mur kommen und sich Achtung Baby nennen. Bono hat jetzt eine altersgrelle, kratzige Stimme. Der wichtigste Effekt ist nach wie vor der Hall, original handgezogen im Petersdom. Selbstverständlich ist Songs of Innocence spirituell hochgradig aufgeladen. Im Hall klingen kleine Ideen ganz groß. (…) Wenn man U2 hört, fühlt man sich beschmutzt.“


(Christian Schachinger im Standard)
Mit Dank an Daniel!


Eine interessante (und nicht weniger vernichtende) Analyse aus Musikbusiness-Sicht hat übrigens Bob Lefsetz in seinem Lefsetz Letter geschrieben (im Folgenden etwas gekürzt):


„NEWS FOR A DAY
No different from a rape or a murder, but with even less legs. In today’s world it’s not about making an impact, but sustaining. Could it be that Bono’s been living too long in the echo chamber, hanging with forty and fiftysomethings who think they rule the world but truly don’t? Yes, older people build the tools, but it’s young people who utilize them.

PUSH

We live in a pull economy. Nothing pisses off the audience more than pushing something they don’t want and didn’t ask for to their devices. Even if you don’t download the album, it’s sitting there in your purchases, pissing you off.

ENGAGEMENT

Now what. Where’s the game, where’s the jaw-dropping viral video? Where’s the element we can all point to and talk about. If anything, we’re talking about the stunt, not the music.

WRONG SERVICE

They’d have been better off releasing it on YouTube, that’s where the digital generation goes for music. iTunes is a backwater. It may be the number one sales outlet, but it’s not the number one music platform, not even close.

UNHIP

Put it on Spotify. Try to look cutting edge. Meanwhile, having the quality of your music trumpeted by Tim Cook is like having Ed Sullivan say your tunes are good.

CLOSED DOORS

This is the problem vexing filmed entertainment/video, there’s not one platform with everything. But in music we’ve solved this problem, Spotify and YouTube have all the tracks and you can access them for free, but putting hype over practicality, U2 failed to see they were playing in a walled garden, to their detriment.

This was a stunt, poorly executed. Everybody forgets that despite all the hoopla about naming your own price, „In Rainbows“ was a disaster, with only hard core fans familiar with the material. Yup, Radiohead may be independent, but they’ve done a good job of marginalizing themselves.

Furthermore, when Bono talked he lost all charisma.

This looked like nothing so much as what it was, old farts using their connections to shove material down the throats of those who don’t want it. It’s what we hate so much about today’s environment, rich people who think they know better and our entitled to their behavior.

And the old fart fortysomethings who talk about this music should be ignored. It’s no different from a Jason Isbell fan testifying about his tracks. No offense, but it’s a tiny world. Sure, U2’s is bigger, but until U2 cuts a track that makes the rest of us care, we don’t.

Cultofmac said:

„But trotting out aging Irish rockers after you’ve wowed the world with the first glimpse of the glorious Apple Watch? That’s not thinking different. That’s a pity-f__k for a band that’s lost its edge, and an unfortunate bum note for a company that’s rarely perceived as tone-deaf.“

Whew!

All over the web people are criticizing U2. And that’s where music now lives, online.
So, so long Bono and crew. You’ll continue to sell tickets, but you’re no longer au courant.
So long rock that does not break through on Top Forty. U2 would have been better off cutting a country track, that would have been a better fit with a fighting chance of airplay.“


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kommentare

  • Liebe TAZ was sie dazu bewogen hat ausgerechnet Christian Schachinger aus dem Standard stellvertretend zu zitieren ist rätselhaft. Herr Schachinger ist ein Musiker welcher selbst äußerst bescheidene Erfolge mit seinen musikalischen Schaffen vorzuweisen hat. Und daher wird jeder erfolgreicher Künstler vermissen.

  • Ein Artikel, der über die Musik fast nichts sagt und Halbwahrheiten über die „Steuerflucht“ wiederkäut. Schade. – Als bekennender U2-Fan hab ich mich über das geschenkte Album gefreut und ja, wahrscheinlich werde ich trotzdem auch noch die CD kaufen. Nach paarmal hören: Vielleicht nicht U2s bestes Album, und sicher nicht so innovativ wie andere. Aber sicher auch nicht ihr schlechtestes. Mir gefällt’s. Und wenn Apple weitere Musik verschenken möchte: Nur zu, mal reinhören kann man immer.

  • @Ingo Müller:
    Ehrlich gesagt, mir, der ich des U2-Fantums völlig unverdächtig bin, geht es auch auf den Keks, wie U2 mittlerweile als eine Art Christian Wulff der Rockmusik durchs Mediendorf getrieben werden, als wären sie die größte Scheiß-Band aller Zeiten.
    Die apple-Idee mit dem U2-Album fand ich unter Marketing-Gesichtspunkten nicht schlecht, jedenfalls nicht so doof, dass sich jetzt alle darüber wichtigtuerisch echauffieren müssten.

  • Wer U2 als „weltumarmende Kirchenmusiker“ bezeichnet, der kennt die Band nicht bzw. will die Band wahrscheinlich gar nicht kennen. Die 4 Iren bleiben halt der FC Bayern der Rockmusik – man liebt sie oder man hasst sie. Letzteres Lager dichtet der Band gerne mal obskure Dinge an, hat wohl einen vermeintlich hohen Coolnessfaktor. Außerdem scheint die Verlockung für manch Kommentatoren groß, sich auf dem Rücken anderer – in dem Fall triffts die „Kirchenmusiker“ U2- zu profilieren. Mein Stil wäre das nicht. Und ja, ich gehöre zum anderen Lager der U2-Fans, bin aber nicht der Meinung, dass jeder sie mögen muss. Nur der Respekt, der sollte gewahrt bleiben.

  • Ein bisschen Hintergrundrecherche hätte ergeben, dass die Verbindung Ramones/U2 etwas tiefgründiger ist als es hier dargestellt wird. Joey Ramone hörte auf seinem Sterbebett U2.

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