Es ist das alte Grundproblem der Unterscheidung zwischen E- und U-Kultur, heruntergebrochen auf Filmgenres: Das Horror- wie und Actionkino wird von der wissenschaftlichen Analyse gern stiefmütterlich behandelt. Wenigstens die Rezeption von Horrorfilmen hat sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren verändert und greift nicht mehr auf die Dämonisierungsklischees der 80er zurück. Dem Horrorfilm wird zumindest dahingehend Respekt gezollt, dass es kaum ein Genre gibt, das eine solche Talentschmiede von DIY-Talent darstellt. Wer hätte zu „Braindead“-Zeiten gedacht, dass Peter Jackson mal die größten Filme des Planeten drehen würde? Wäre vom Regisseur von „Tanz der Teufel“, dem umstrittensten Horrorfilm der 80er, erwartet worden, dass er ein familientaugliches Comic-Franchise auf die Beine stellt und mit seinem ersten „Spiderman“ das reichweitenstärkste Kino unserer Zeit vordefinieren würde?
Horror gilt wenigstens als der Punk unter den Genres: da entstehen Talente, da werden Grenzen ausgelotet und wird mit wenig Geld viel geschaffen. Doch das Actionkino ist als reines Mainstream-Futter verschrieen, das dazu noch konservative Law & Order – Werte predigt und somit einem gesellschaftlichen Darwinismus den Weg bereitet.
Umso bemerkenswerter ist es, dass Bertz & Fischer einen Essayband genau diesem Thema gewidmet hat und sich dabei auch nicht etwa um verkappte Arthouse-Filme kümmert (mit Ausnahme von Tarantinos „Kill Bill“ vielleicht), sondern wirklich genau ins Zentrum des Genres geht. Die ersten vier Kapitel behandeln mit Dirty Harry, Rambo, Terminator und Stirb Langsam die Ahnenreihe des Actionkinos der 70er und 80er – also aus jenen Jahren als dieses Genre seinen unbestreitbaren Höhepunkt, sowohl in künstlerischer als auch kommerzieller Hinsicht, erlebte.
Über die reine filmische Analyse des Actionfilms hinaus (eigentlich ja ein Hybrid-Genre, das sich aus Filmen wie Western, Krieg- oder Agentenfilmen speist) ist die Betrachtung der gesellschaftlichen Wechselwirkungen das Herz des Buches. So wird beispielsweise der erste Teil der „Rambo“-Reihe zurecht rehabilitiert und im Abgleich mit der Romanvorlage herausgearbeitet, wofür die Figur des John Rambo steht und welche gesellschaftlichen Spannungsfelder „First Blood“ thematisiert.
Faszinierend ist auch die Analyse vom „Stirb Langsam“, des Films, der bis heute die Krone des Genres darstellt. Neben dem allseits bekannten Aspekt, dass die von Bruce Willis gespielte John McClane – Figur ein verletzlicher Everyday Man war und damit selbst ein Gegenentwurf zum herrschenden Ideal des 80er Jahre Actionkinos, das von den unzerstörbaren Quasi-Superhelden Stallone und Schwarzenegger dominiert war, arbeitet Ingo Irsigler in seiner „Stirb Langsam“ – Analyse schön heraus wie stark hier eine Kritik am US-Kapitalismus der 80er Jahre geführt wird, wie sich in diesen Jahren der Wandel von den klassischen „pursuit of happiness“ Versprechen der amerikanischen Gesellschaft zum Raubtierkapitalimus vollzogen hat. „Stirb Langsam“ also als höchst reichweitenstarker, ungemein spannender künstlerischer Aufschrei gegen die Reagonomics!
Auch der „Dirty Harry“ – Reihe kommt diese Tiefenanalyse zu Gute, wird doch mit etlichen Klischees aufgeräumt bzw. gezeigt, wie selbst die verschiedenen Teile von „Dirty Harry“ immer auch eine Reaktion auf die (polistische) Kritik an den vermittelten Werten der Vorgängerfilme waren – gerade im Hinblick auf die Selbstermächtigung, das Über-dem-Gesetz-stehen der Clint Eastwood – Figur, interessanterweise aber auch hinsichtlich der Machismo vs Feminismus – Frage. Am Ende des Kapitels sieht man sich als Leser genötigt, die eigenen Vorurteile über die Dirty Harry – Reihe zu hinterfragen und aus diesem Blickwinkel neu zu betrachten – wieviel mehr kann ein Essay leisten?