vonChristian Ihle 07.04.2015

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Die vielleicht beste einheimische Platte des noch jungen Jahres kommt vom Wahlberliner Hip-Hop-Duo Zugezogen Maskulin.
„Alles Brennt“ nimmt den Kampf um die richtige Haltung auf und spießt den Materalismus im Hip-Hop-Game via Adorno und Marx/Engels-Zitate ebenso auf wie es die Bigotterie einer Nach-uns-die-Sintflut-Gesellschaft ausstellt, die problemlos die Nächte in Kreuzberg durchfeiert während nebenan Flüchtlinge verrecken („Ein vertrockneter Olivenzweig zeigt dir den Weg ins Drittland / Nach Kreuzberg Berlin – in die Heimat der Hipster / Wo die Sambatruppe beim Kulturkarneval zwar klar geht / Doch sich Argwohn in den Blick legt / Wenn ein schwarzer Mann im Park steht“).

Hippie-Hass („Ich habe nicht laufen gelernt / um mit euch im Kreis zu chillen“) steht neben Hipster- und Hedonismus-Kritik, Horrorcore folgt auf Marx-Zitate und doch ist das Herz am rechten Fleck trotz Nihilismus allerorten. Wie Grim104 völlig richtig textet: „Beamer, Benz und Bentley – Lenin, Marx und Engels / Meine Nebenwidersprüche bringen mich grad in Bedrängnis“. Wenn man so will: Zugezogen Maskulin haben vielleicht nicht die Medizin mitgebracht, aber sie wissen wo die Wunde ist und legen die ganze Hand hinein. Mit diesem Ansatz wundert es dann auch wenig, dass Zugezogen Maskulin auf dem Label der Goldenen Zitronen, Buback Records, eine Heimat gefunden haben.

Das „Zugezogen“ im Bandnamen ist dabei übrigens nicht nur selbstironische Brechung der Berliner Schwanzvergleiche im Hip-Hop-Milieu, sondern spiegelt eben auch wider, dass die beiden die Provinz kennen und sowohl das trostlose Grau der Kleinstädte gelebt haben als auch die Überhöhung des Metropolen-Lebens erkennen und beides auf die gleiche Scheisse herunterbrechen können. Grim104, die eine Hälfte des Wahlberliner Hip-Hop-Duos, hatte bereits vor eineinhalb Jahren mit seinem „Crystal Meth in Brandenburg“ für einiges Aufsehen gesorgt und dort die Grauheit und Trostlosigkeit des Kleinstadtlebens besungen. An gleicher Stelle macht sein Partner Testo in „Plattenbau O.S.T.“ auf dem gemeinsamen Album weiter, einem Paradebeispiel für die Texte auf „Alles Brennt“. Hört man nicht genau genug hin, könnte man Testos Lyrics zunächst für eine Affirmation des Assigseins halten, für ein trotziges Abfeiern der Rituale – Komasaufen, Kiffen, Randale – einer Vorstadtjugend. Doch dabei schimmert immer durch, dass die Umstände und die Perspektivlosigkeit die Jugend in ihr Nichts treiben und so deren Nihilismus befeueren – den Testo beschreibt, aber dann eben doch nicht feiert, sondern vielmehr gleich auf die Gefahr einer (rechten) Radikalisierung aus Langeweile verweist.


[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=uTTwvaDICc8[/youtube]


Genauso gut gelingt es wiederum Grim104 in „Schiffbruch“ die Verlockungen der Metropole Berlin auf ihre traurige Wirklichkeit herunterzubrechen und das Kaschieren der Einsamkeit durch Exzess auszustellen:

Ein Hund ist ein Hund, weil er sich hinlegt und stirbt
Doch ein Mensch ist ein Mensch, weil er träumt und fantasiert
Er ist oversexed und underfucked
Denn das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite eines Tumblrblogs
Und das in einer Stadt in der ein Denkmal von Sven Marquardt
Als Leuchtturm dient und dich beschützt vor’m Saufen auf dem Marktplatz
Das in einer Stadt, in der scheinbar alles geht
Exzess und extrem – du bist stark, du bist schön!
Und am 23. kehren wir zu unseren Eltern zurück
Und erzählen ihnen Lügen aus der Welt des Großstadtglücks
Verschweigen ihnen den Zweifel, greifen zu bei den Kartoffeln
Nacht zum 2. Weihnachtstag – Dorfdisko besoffen
Und dann hoffen, dass es klappt, mit der Liebe, den Projekten
Angst vorm Mittelmaß, unbefriedigt, unperfekt
Porno-gifs, Konfetti-Regen und bedingungslose Liebe
Alles verschwindet zwischen miesen Perspektiven und steigender Miete

Mit „Alles Brennt“ haben Zugezogen Maskulin ein Album geschrieben, das es so im deutschen Hip-Hop, ja eigentlich generell im deutschen Pop nicht gab. Gerade die Schonungslosigkeit in der Analyse des Status Quo, durchaus auf sich selbst und die von Grim104 selbst so genannten „Nebenwidersprüche“ bezogen, hat man in dieser Deutlichkeit und (textlicher wie intellektueller) Schärfe selten gehört.


Mehr zu Zugezogen Maskulin:
* My Favourite Records mit Zugezogen Maskulin
* Schmähkritik (599): Zugezogen Maskulin über Milky Chance

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