vonChristian Ihle 06.11.2015

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Tag 1, Mainz: „Durst“


Die Stimmung ist gut. Zumindest zwanzig Minuten lang. Kurz hinter Höchstadt stellt Jo Tornado fest, dass er Durst hat, und die Fahrgemeinschaft stellt fest, was sie vergessen hat: den Bierkasten. Nach Mainz ist es eigentlich nicht weit, aber mit Bierdurst kann sich so eine Strecke entsetzlich lang anfühlen; für den, der Durst hat, und irgendwann auch für alle anderen im Auto.

schubsen haben einen Bus mit Instrumenten und Abenteuerlust vollgeladen, um ihre Musik in die Welt zu tragen und ein paar Hundert Kilometer zwischen sich und den Alltag zu bringen. Mainz. Dortmund, Kassel, Berlin, Döbeln – so lauten die Stationen, es ist ein wilder Ritt mit offenem Ausgang und genau darum geht es ja irgendwie: nicht genau zu wissen, wie, wann und wo die Tage enden.

In Mainz endet der erste Tag der Tour für Teile der Fahrgemeinschaft mit vielen getrunkenen Bieren und noch mehr Pfeffis. Durst hat am nächsten Morgen erstmal niemand mehr, doch die Kopfschmerzen werden bis Dortmund ignoriert, weil man noch ein wenig in den Erinnerungen an den Vorabend schwelgen will. Sobald die Kopfschmerzen nachlassen, das wissen alle hier, beginnen auch die Erinnerungen zu verblassen, also hängt man noch den Stunden im Haus Mainusch nach und erträgt den sägenden Reiz über dem Hals.

Mehr Punk werden wir auf dieser Tour wohl nicht erleben. Die Metapher des gallischen Dorfes mag überstrapaziert worden sein, aber beim Haus Mainusch passt er einfach zu gut. Im hintersten Eck des modernen und entsprechend öden Mainzer Campus steht dieser Schuppen, den Investoren Bruchbude nennen würden und andere einen Sehnsuchtsort. Tobi und Mara zum Beispiel, die hier mit den anderen Leuten von PFF Konzerte organisieren, die einen herzlich wie alte Bekannte empfangen und uns nachsehen, dass wir so großen Durst haben.

[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=MTrwjaaCPEk[/youtube]

Neben schubsen sind an diesem Dienstagabend zwei weitere Gangs mit ihren Instrumenten angerückt, um ein wenig Licht in diesen grauen Herbsttag zu bringen. Ein etwas scheues Wiesel aus Trier macht den Anfang und verteilt nette Komplimente, anschließend spielen schubsen, pardon, einen fantastischen Auftritt und zum Abschluss beweisen Mr. Inman aus Saarbrücken, wie viel Spaß Punkrock im Jahr 2015 immer noch machen kann, ohne platt rüberzukommen. Der Sound ist in dem winzigen Raum überraschend gut, längst hat man beschlossen sich sehr sympathisch zu finden, was anschließend am Tresen durch wilde Pfeffi-Schlachten noch einmal unter Beweis gestellt wird.

Das Publikum ist an diesem Abend sehr freundlich wie alle hier, manche sogar interessiert, es wird nach Tonträgern gefragt, die es noch nicht gibt, und irgendwann fallen sie dann alle auf ihre Matratzen; Krupski, der sich, ganz Profi, noch zurückgehalten hat, Frido, der sein Einzelzimmer im Bad bezieht, Dancing Queen Habery, der vorher noch sieben Mal zu „I just can’t get enough“ getanzt hat, Tornado, dessen Durst endlich gelöscht ist, und Karacho, der alles dafür getan hat, sich seiner Grammatik zu entledigen und hoffentlich auch morgen wieder an dieser Stelle berichten kann. Nächster Halt Dortmund, es grüßt das Kommando Günter-Stoll.





Tag 2, Dortmund: „Don’t call a cab in Dortmund Nordstadt“


Er ist der Star des Abends, obwohl er gar nicht anwesend ist. Von einem Foto in der Küche grinst er uns an, es ist ein sympathisches Grinsen, bestimmt hätten wir auch zusammen viel Spaß gehabt. Schlakks, der eigentlich Freddy heißt und fantastische HipHop-Platten macht, ist geflüchtet – begleiten wird er uns trotzdem während unseres Aufenthalts in Dortmund und sogar darüber hinaus.

Dass wir in seiner Bude pennen dürfen, liegt in erster Linie an seinem Mitbewohner Daniel, den wir in Nürnberg kennen und lieben gelernt haben, und der im Sommer in seine Heimat zurückgekehrt ist. Heimat, das heißt in diesem Fall Dortmund Nordstadt; dort, wo sie im Tatort Dealer jagen, wo der BVB seine Meisterfeier abhält, wo die Umstände vor allem Studenten und Migranten hingetrieben haben und wo Antifas und Nazis an den Häuserwänden um die Meinungshoheit kämpfen.

Zu behaupten, dass schubsen mit ihrem düsteren Punk hier wunderbar reinpassen, wäre eine Anmaßung und doch: Die Eindrücke des Nachmittags verdichten sich abends in ihrem Auftritt, der noch ein wenig dreckiger daherkommt als am Abend zuvor in Mainz.

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Vor dem Konzert liest Krupski noch einige Texte aus dem Gedichtband mit Bird Berlin, dazu gibt es den restlichen Pfeffi, der den Auftritt im Haus Mainusch überlebt hat, und wenig später verliert der Abend, der so ruhig begonnen hatte, allmählich die Contenance. Anfängliche Soundprobleme lösen sich bald auf, das Publikum taut auf und am Ende kulminiert alles in einem Knall namens „Parole Rhythmus“. Eine Zugabe wird gefordert, aber schubsen haben an diesem Abend nichts mehr zu geben; alle Songs sind gespielt, die Stimmbänder am Limit, die grauen T-Shirts dunkelgrau.

Als die Instrumente im Keller eingepackt sind, entladen sich die Endorphine im Erdgeschoss am Tresen. Die netten Rekorder-Menschen lassen Publikum und Band gewähren, Lisa verteilt geduldig Bier, selbst dann noch, als Krupski im Übermut einen Tisch mit neun Kegeln abräumt. Biiier, Biiiiiier will tear us apart. Again. Irgendwann ist dann plötzlich auch Schlakks da, Lisa hat seine, nun ja, Hymne „Dortmund Nordstadt“ aufgelegt und als der Song zum zweiten Mal läuft, sind auch wir schon recht textsicher. „Dortmund Nordstadt weiß, wie man feiert / Dortmund Nordstadt weiß, wie man weint / manchmal liebe ich dich / und manchmal hasse ich dich / weil du uns zeigst, wie es ist, wenn man die Wahrheit spricht“.

Als die Anlage dann doch irgendwann schweigt, macht sich die Feiergemeinde auf den Heimweg, Feierabend ist aber noch lange nicht, der Kühlschrank hat noch ein paar Asse im Ärmel. Bald fliegt Konfetti durch Daniels Zimmer, Silvesterkracher explodieren an der Decke, Klopapierrollen verbinden die 14 Tanzenden, man versucht sich an Stagediving ohne Stage und natürlich läuft dazu wieder „I just can’t get enough“.

Gegen halb vier klingelt es an der Tür, auch die Polizei hat inzwischen mitbekommen, dass schubsen in der Stadt sind. Überraschend schnell wird man sich handelseinig: Wir sollen einfach weitermachen, nur wiederkommen wollen sie an diesem Abend nicht mehr. Auch wir haben daran kein Interesse und torkeln sieben Trashhits später in unsere Zimmer. Auf dem Weg grinst uns Schlakks noch einmal an und in unseren Köpfen setzt sich eine Melodie fest. Dortmund Nordstadt… (Text: Sebastian Gloser)


Am heutigen Freitag abend spielen Schubsn gemeinsam mit HKZ in Berlin im Tiefgrund. Details hier

Am 7.11.: Döbeln/ Skate Force Döbeln

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