Rüdiger Suchsland spricht in Artechock mit dem Münchener Regie-Urgestein/Enfant Terrible Klaus Lemke. Und was ist das für ein Interview geworden! Wenn ihr in diesem Monat nur ein Interview lest, lasst es dieses sein:
Klaus Lemke: Metropolis finde ich unsäglich bescheuert, aber Murnau toll, der Held von meinem Film 48 Stunden bis Acapulco heißt deshalb Frank Murnau. M finde ich genial. Aber nicht wegen dem Mörder oder Fritz Lang, sondern wie Gustav Gründgens darin spielt: Plötzlich brennen 1000 Kerzen in einem und man weiß nicht warum. Der ist wirklich Hollywood, das könnte »True Detective« heute sein. Das Kino war Kirmes, das war nicht diese Veredelungstechnik, die heute stattfindet. (…)
artechock: Heute ist Kino anders…
Lemke: Das Narrative in Deutschland ist zugeschnitten auf eine ältere Generation, denen man keine modernen Erzählformen zumuten kann, sonst schalten die auch noch den Fernseher aus. Aber das moderne Narrativ ist eines, das direkt ist, wo der Autor so wenig Macht über die Figuren hat, wie später auch der Zuschauer keine Macht darüber hat, was der Film mit einem anfängt.
Der Weg ins Irrationale ist das moderne Kino. Aber das haben wir wieder mal hemmungslos verpasst.
Eine Stimme in mir sagt mir, dass das noch zehn Jahre so weitergeht, und dann ist es aus. Da sind wir genauso doof wie die deutschen Musiker, dieser verfluchte, verpestete Dreck, der sich hier Musiker nennt. So wie die Filmregisseure, die nur für ein paar »packende Themen« Förderung kriegen, und sich an den Tropf hängen – alles eine vollkommen verrottete Situation.
Der deutsche Film ist gelähmt wie Hamlet: Durch das untergründige Einverständnis mit dem Vater. Die nächste Regie-Generation steigt ins Grab runter, nach zwei Filmen sind sie für immer weg. (…)
artechock: Kannst Du irgendetwas mit den Filmen Deiner Kollegen von damals anfangen. Mit Werner Herzog zum Beispiel?
Lemke: Herzog ist das Letzte, der totale Witz – bis auf die Dokumentarfilme ist das unerträglich. Ich werd‘ verrückt, wenn ich das sehe. Also dieser Wüstenfilm mit Nicole Kidman… Merkt das niemand? Das Pferd ist tot, was er da reitet.
Na gut, auf andere Leute schimpfen ist natürlich ganz falsch. Aguirre ist phantastisch. Umwerfend. Man weiß nicht, was der Film mit einem macht – das ist echtes Kino. Denn gegen diese geballte Irrationalität des Lebens, in dem wir leben, gibt es nur eines: Die Dinge noch etwas unerklärbarer machen, und dadurch die Leute unter Strom setzen, weil sie kaum noch verstehen, worum es geht. Denn ein Film ist auch kein Kreuzworträtsel, wo am Schluss alles zusammenpasst. So wird es aber gelehrt.
Nun sind Regisseure eh nicht die hellsten Kerzen auf der Torte. Zum Film gehen in Deutschland Leute, die zu doof sind für Anwalt. Wo der Vater sagt: Also für BWL bist du auch etwas zu blöd, geh zum Film, da bist Du Dein Leben lang versorgt.
Film ist ein Kulturgut. In dem Moment, wo Film Kultur wird, darf der Staat eingreifen und das Ding künstlich am Leben erhalten. Film ist eine Dienstleistung, wenn es das nicht ist, ist es gar nichts.
artechock: Naja, aber es ist doch eine noch andere Dienstleistung, als Kellnern oder Kochen oder findest Du nicht?
Lemke: Digger – es geht darum, dass die Leute sich, wenn sie ins Kino gehen, hinterher ein bisschen besser zu sich passen, je besser ihnen ein Film gefällt, um so besser gefallen die sich – und das ist die Dienstleistung. Es geht doch nicht um den Film. Es geht darum, was der Film mit den Leuten macht, die zugucken.
Und seit Jahren machen deutsche Filme gar nichts mehr mit den Leuten. Das sind Filme über Filme über Filme. (…)
artechock: Wenn gutes Kino nichts mit Theater zu tun hat, dann vielleicht mit Musik? Ist Kino musikalisch? Musik ist Dir ja immer sehr wichtig…
Lemke: Von Gorgio Moroder bekam ich meine erste große Lehrstunde über Musik: Ich lernte ihn in München kennen, als sich noch alle noch fragten, wer ist denn dieser merkwürdige Südtiroler hier. Der wollte uns zeigen, wo es lang geht. Ich war in diesen Studios in Schwabylon, da waren die Lautsprecher so groß wie Panzer, und es gab ein unfassbar gigantisches Mischpult. Und nach der Mischung nahm er mich runter in sein Auto, legte die Kasette ein, und sagte: »Wenn es im Autoradio nicht klingt, dann klingt es überhaupt nicht.«
Das kannst Du übertragen auf Film: Wenn ein Film nicht schon auf Handy klappt, dann auch nicht auf Riesenleinwand. Wenn du nicht gut mit 30.000 Euro erzählen kannst, dann schaffst du das auch nicht mit 3 Millionen. Denn das eigentliche beim Film hat nichts mit Geld zu tun. Das ist ja das große Wunder.
Es hat vielleicht etwas zu tun mit Größenwahn, mit Drogen, mit Erneuerung durch Verausgabung, mit absolutem Risiko und das Wesentliche ist das Scheitern. Nur Scheitern macht kreativ.
Man kann sich nur auf seine Fehler verlassen. Und die muss man lieben und pflegen. Man muss immer das machen, was falsch ist. Denn alles was richtig ist, ist ausgelutscht, ist total vorbei.
artechock: Jetzt bald ist Fußball-EM. Ich weiß, dass Du gern Fußball anguckst… Neulich beim Championsleague-Spiel habe ich gedacht: Fu ßballer sind doch eigentlich wie Deine Schauspieler…
Lemke: Ja. Fußballer sind große Schauspieler. Die sind Tiere. Kluge Tiere, Instinkttiere. Und die Jungs wissen das. Worum es geht ist an verbotenen Früchten naschen. Es ist der Größenwahnsinn, und wie lange man ihn durchhält. Fußball ist eines der seltenen Dinge, die eine ganze Gesellschaft in Bann halten können. (…) Fußball ist Galaxien weit vom Kino entfernt. Wirklich interessant sind nur die Tricks, mit denen man sich selber überrascht. Fußball ist genau die Inkarnation dieses Satzes. Das sollte auch Film sein und Musik, aber das ist es eben nicht. Wir sind am Arsch. Über Fußball zu reden, tut mir so weh, weil Fußball so richtig ist und so kommerziell und so modern ist, und wir von dieser Modernität so unfassbar weit weg sind, dass ich richtig Tränen in die Augen kriege – nein, stimmt nicht. [Lacht] (…)
Das ist ein Spiel der vollkommenen Imagination, wie es auch Film sein sollte, aber in Deutschland nur noch Fußball ist.
Das ist auch mit dem Siegen im Fußball so: Man ist nur so lange gut, wie man es sich eigentlich nicht erklären kann. Trotz allen Training. Nur solange man keine Erklärung hat. So entstehen auch gute Filme. Sobald man erklären kann, was man da gerade gemacht hat, ist es schon tot.
artechock: Du hast auch mal einen Fußballfilm gemacht…
Lemke: Aber das war eigentlich ein Fickfilm. Einer meiner schönsten Filme, 2006. „Finale“. Als die Deutschen da im Halbfinale verloren hatten gegen Italien, haben die Leute geweint und über Nacht ein neues Leben angefangen, das die Intensität dieses ganzen Medienwahnsinns noch in sich trug. Das war toll. Ich hab ein merkwürdiges Verhältnis zu Löw: Ein Trainer der in die Toskana zum Urlaubmachen fährt, kann nicht dicht sein. Es gibt nichts Schlimmeres als die Toskana. Und wie er jetzt den Stürmer Kruse fertig macht
Der Kruse ist ein Traum! Glücksspieler, Risiko, emotional. Oder Vidal.
In den dreißiger, vierziger Jahren war Film das, was Fußball heute ist – Vidal wäre damals Filmstar gewesen. Der ist eine wunderbare Filmfigur. Weil er auch noch die Leute verarscht. Bombentyp.
artechock: Weißt du, was ich einen der interessantesten Momente im Fußball finde: Es gibt Momente, bei denen eine Mannschaft klar führt, und Du weißt: Die werden noch verlieren. Oder diese Wechselfehler: Tuchels Wechsel gegen Liverpool, oder Heynckes seinerzeit gegen Chelsea: Das waren gegnerische Tore mit Ansage. Wie erklärst du Dir sowas?
Lemke: Die Dinge laufen nur solange gut, wie sie ihre eigene Logik aus sich selbst gewinnen. Das heißt: Die beste Art, dem Leben, diesem vollkommen Irrationalen auf dem Spielfeld entgegenzutreten, ist ein Zustand freudiger Hoffnungslosigkeit. (…)
Ich versuche, genau so zu filmen, so, wie eine Performance und ein Fußballspiel geht. Indem ich aufpasse, dass die Schauspieler nicht einen Satz auswendig lernen. Diese Gier nach Authentizität und dem Dämon, der dahinter steckt.
Dieser eine Moment ist das einzige, das uns das Leben erträglich macht. Nur so etwas kann uns befreien aus dem Gefängnis eines falschen Lebens. Wir leben alle ein falsches Leben, haben wir immer getan. Aber es gibt Momente für einen Jailbreak. Das kann die Kunst sein. Als ich zum ersten Mal Prince hörte, war das ein Blick in eine andere Welt.
Dafür gibt es keine Worte – so atomar nimmt man das an, und dann geht es wieder zurück in einen selbst. Da passiert dann der schöpferische Moment. … Naja, ich und der sch öpferische Moment. [Lacht]
(…)
artechock: Glaubst Du eigentlich an Gott?
Lemke: Nein, aber Gott ist ein wunderbares Narrativ.
(Klaus Lemke im Gespräch mit Rüdiger Suchsland bei artechock)
Tja, schimpfen kann er. Wilde Filme machen konnte er vermutlich auch mal.
Beim Filmfest München gab sich Lemke bei der Vorstellung seiner „Unterwäschelügen“ große Mühe, wild und unangepasst rüberzukommen.
Nur: Was dann kam war nicht mal ansatzweise wild, unangepasst oder auch nur irgendwie interessant – es war schlicht langweilig, schlecht gespielt, ohne jegliches erkennbares Konzept oder Inspiration.
Da schwelgt jemand in Erinnerung an seine eigene Vergangenheit. Schade.