vonChristian Ihle 08.12.2016

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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10 Jahre Ja, Panik, das heißt: Fünf Alben, zwei Bücher und eine Stellung als die wichtigsten deutschsprachige Band der letzten Dekade.
Zur Rekapitulation veröffentlicht die Gruppe Ja, Panik nun ihr Buch „Futur II“, in dem sie auf spielerische Weise einen Blick zurück auf ein Jahrzehnt Band und Leben wirft.

„Futur II“ könnte nicht weiter von einer normalen Bandbio entfernt sein: das Konzept sieht einen vierteiligen, verschränkten Aufbau vor, bei dem Fiktion in die Realität fließt und Dokumente mit Essays verschränkt werden. Die Geschichte geht wie folgt: Bassist Stefan Pabst wird ins Berliner „Archiv“ der Band geschickt, Schlagzeuger Sebastian Janata in die Wiener Abteilung. Das noch recht frische Bandmitglied Laura Landergott wiederum reist in der Weltgeschichte umher, alte Weggefährten und ehemalige Bandmitglieder besuchend. Alle drei schicken ihre Ergebnisse, Interviews und Recherchen an Bandleader Andreas Spechtl, der in einem nicht näher spezifizierten Ort „an den Rändern Europas“ alleine durch Straßen und Gassen flaniert.

„Außerdem habe ich im Kühlschrank Brandy gefunden. Gold Brandy, extra quality. Alright. Wie bei allem auf dieser verkommenen Welt wird auch hier einfach nur das Gegenteil der Fall sein.“

Während Spechtl längere essayistische Antworten an seine Bandmitglieder schreibt, sind Pabsts und Janatas Briefe einerseits Original-Dokumente aus dem vorgeblichen Archiv, andererseits aber frei fantasierte Geschichtchen um ihre Person. Pabst wird zum wunderlichen, überkorrekten Archivarchäologen im Zwiegespräch mit sich selbst (und einem Steinuhu), wird zum Einzelgänger von Huysman’scher Prägung. Seine Briefe werden von Tag zu Tag irrer und mehr von Wahnsinn durchzogen. Sebastian Janata dagegen schafft es aus den verschiedensten Gründen nie in jenes sagenumwobene Wiener Archiv, sondern landet immer wieder auf anderen Partys, fremden Städten, bei lieben Freunden und garstigen Taxifahrern. Drogen, Alkohol, L’Amour und alles mehr verhindern seinen Archivzugang, so dass sich Janatas Briefe an die Gruppe wie die Exzesse eines hedonistischen Flaneurs lesen, der immer überall ist – aber nie da.

Zwischen diesen kleinen Meisterwerken des Absurden aber schreibt Andreas Spechtl an seine Bandmitglieder Briefe, die so klug, weise und tieftraurig sind, dass man sich wundert, warum er überhaupt noch Lieder schreibt und nicht gleich den großen Roman für unser Zeitalter.

„Unsere Freundschaft hatte immer etwas sehr Nahes und gleichzeitig zerbrechlich Desktruktives. Wie die meisten wertvollen Dinge im Leben war sie so intensiv und auch aufzehrend, dass von Anfang an klar war, dass sie nicht für die Ewigkeit gemacht ist. Zumindest mir war das immer bewusst. Gerade in den Momenten, wo wir uns am nächsten waren, habe ich stets gewusst, dass diese Nähe sich irgendwann selbst zerstören würde. Wie es oft mit Menschen ist, denen man zu viel von sich selbst preisgegeben hat. Und trotzdem, oder eher deswegen, waren wir für ein paar Jahre die Könige der Welt. Wir haben unsere Freundschaft in schierem Übermut maßlos verbraucht, bis am Ende nichts mehr davon übrig war. Eine Freundschaft, die bei anderen für zwei Leben gereicht hätte, haben wir in sechs Jahren verlebt.“

Diese Briefe sind durchzogen von einer Offenheit und Unbarmherzigkeit gegenüber sich selbst, dem Anderen, der Band und dem System. Spechtl bilanziert zehn Jahre in einer Gruppe, die den Willen hatte anders zu sein, eine Dekade in einer Band die das Spiel nicht spielen wollte – und sieht unter dem Strich ein Versagen, ein mühsames Arrangieren mit den Widrigkeiten des Systems. Er erzählt freimütig vom prekären Leben, von der Vergeblichkeit diesem zu entfliehen, aber auch vom Willen, sich darin durchaus bewusst einzurichten. Er bilanziert die Beziehungen innerhalb der Band in einer erschreckenden Klarheit, ist zu herzzerreißend warmen Worten an den ehemaligen Gitarristen Thomas Schleicher ebenso fähig wie zu bandnegierenden harten Sätzen. Er schimpft sich dann und wann in einen gerechten Rausch, gegen die Rich Kids um ihn herum, gegen Berlin, gegen Deutschland, gegen die Welt – und gegen das Theater. Er bleibt dabei pointiert und trifft im Kern seines Furors immer den Richtigen.

„Manchmal denke ich mir, so ein bisschen Verzweiflung, Existenzangst und Wut auf die Welt tun meiner Arbeit gar nicht schlecht. Zumindest besser als die saturierte Selbstzufriedenheit, die die meisten Werke der ganzen Rich-Kids-Hobos da draußen so schamlos durchzieht. (…)
Ich mag Musik und deswegen mache ich das auch, aber was ich noch mehr mag – und das ist vermutlich der Grund warum ich hauptsächlich Musiker geworden bin, ist, dass ich es nach wie vor als eine der wenigen Möglichkeiten sehe, selbstbestimmt keiner geregelten Arbeit nachgehen zu müssen.“

Am Ende bleibt das Staunen über ein literarisches Experiment, das durchwegs funktioniert, und über offene Worte, die man so noch von kaum einer Band je gehört hat. Nach dem Studium von „Futur II“ muss man sicherlich ernsthaft um den Bestand dieser wichtigsten Gruppe der letzten zehn Jahre fürchten. Es wäre schade darum wie nichts anderes, aber als letztes Fanal von „ein paar Lebendigen in einer mausetoten Welt“, wie es im gerade zum Buch veröffentlichten gleichnamigen Song heißt, ist „Futur II“ ein beeindruckendes Statement, das ihren Platten „DMD KIU LIDT“ oder „Libertatia“ in nichts nachsteht.

„Doch vielleicht ist dieser Abend deshalb auch so wertvoll geblieben. Ein nicht googlebarer Moment ist möglicherweise die intimste Situation, die man heutzutage noch herzustellen vermag. Kein Foto, kein Kommentar, kein Eintrag. Einfach nichts. Nirgendwo. Eine reine Gegenwart, die nicht von vornherein schon für ein Archiv gemacht war.“

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kommentare

  • Bei der Lesung im Golem war ich trotz „Purple-Rain-Cocktail“ – lecker & what a name! – nicht so begeistert, wie erhofft. Das Buch hingegen hat so verdammt viele schöne Momente!:) Der so notwendig auszusprechende Gräuel mit den Gepflogenheiten unserer Welt; die an Risiko des Ruhms erinnerte Übertriebenheit (die dabei eher begleitend als Hauptaugenmerk ist); die so unverhohlenen Worte; die Überraschung, das geweckte Interesse und Freude bei mir, diese so andere Art eines Musikbuchs geniessen zu können; die Traurigkeit über das durchklingende Ende dieser tollen Band; die noch eingeschränktere Neugierde auf Neues – ich habe mich auf nahezu jeden Moment des Lesens gefreut! 🙂 Dies als Bekräftigung zum Artikel!
    Gegenüber dem Buch ist mir bei der Lesung die Andersartigkeit des Buchs nur in viel kleinerem Masse klar geworden, dadurch habe ich auch wenig gelacht oder mit gefühlt. Das als Erklärung für den Unterschied. Erging es Anderen anders?

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