vonChristian Ihle 16.02.2017

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Tiger Girl (Regie: Jakob Lass) imdb

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Von wegen German Mumblecore! Jakob Lass, dessen sehr guter Vorgängerfilm „Love Steaks“ als Geburt einer deutschen Mumblecorebewegung angesehen wurde, zeigt mit Tiger Girl, dass man die Vorzüge dieses Genres (improvisierte Dialoge, Handkamera) durchaus mit mitreissendem Storytelling, knalligen Szenen und lautem Fluchen statt stillem Murmeln verbinden kann.
Die junge verschüchterte Maggie, in der Ausbildung zur Securityfachfrau, lernt die wilde Tiger kennen, die mit Kumpels auf einem verlassenen Dachboden haust. Tiger lehrt Maggie, sich zu wehren und sich zu nehmen, was sie will. Doch wo bei Tiger alle Aktionen immer einem inneren moralischen Kompass folgen, verliebt sich Maggie in die Gewalt und die dadurch scheinbar gewonnene Freiheit. Jakob Lass zeigt die Geschichte seiner beiden Figuren als Erzählung, die zwischen Anarchie und Kontrolle oszilliert, und fängt den Kick der wilden Jugend gelungen ein. Beide Hauptdarstellerinnen sind hervorragend und vor allem Ella Rumpf als Tiger hat ein Charisma, das man lange nicht mehr im deutschen Film gesehen hat. Und für Lass sollte „Tiger Girl“ die Eintrittskarte in die große Kinowelt werden – dass er Nischenkino kann, hat er bereits mit „Love Steaks“ bewiesen – dass er aber den Sprung in breitentaugliches Entertainment schafft, ohne dabei die Vorzüge der Nische zu vergessen, das ist wirklich bemerkenswert.

Hostages (Regie: Rezo Gigineishvili) imdb

https://www.youtube.com/watch?v=wZ0_V3MjGmU

Das georgische Drama um Dissidenten / Entführer spielt in den frühen 80ern und fängt die spätsowjetische Depression durch das Unterdrückerregime subtil ein. Eine Gruppe junger Kunststudenten und Ärzte will sich aus den Repressionen der Sowjetunion mittels Flucht befreien. Sie wollen Beatles hören, in die Kirche gehen, nach 20 Uhr schwimmen. „Hostages“ zeigt die alltägliche Beengung durch offene und unausgesprochene Restriktionen und verzichtet darauf, seine Figuren zu überhöhen, ihnen einen tieferen Grund zu geben als eben einfach leben zu wollen. Wir folgen dieser Gruppe durch den Tag, zum Plattenschwarzmarkt, auf Spontanpartys, auf eine Hochzeit – bis wir urplötzlich in den Fluchtplan geworfen werden und die Situation eskaliert.
Der nach einer wahren Begebenheit erzählte „Hostages“ ist bedrückend und spannend zugleich und findet immer die richtigen Bilder. Überhaupt ist die Kamera in „Hostages“ auf höchstem Niveau: ob die Kameraführung auf der Hochzeit mit Tracking Shots beeindruckt oder sonst mit starren Einstellungen die Beengtheit der Gesellschaft zeigt, in der Entführungssituation im Flugzeug mit wackligen Bildern die Unsicherheit zu bebildert oder im Epilog in einer großen Totalen die Leere der Überlebenden widerspiegelt – immer setzt die Kamera die Atmosphäre des Moments beeindruckend um. Ein Film, der ein breites Publikum verdient hätte.

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