vonChristian Ihle 23.11.2017

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

Mehr über diesen Blog

Normalerweise ist das doch ein Move der Springsteen-Klasse: eine groß gefeierte Wiederveröffentlichung eines “klassischen Albums” zum xten Jahrestag! Aber Locas In Love waren ja schon immer die Klassizisten im deutschen Indierock und so passt deren Veröffentlichung von “Saurus” zum zehnjährigen Release-Jubiläum natürlich ins Programm. Es zeigt aber auch etwas anderes: welche Platte einer hiesigen Indie-Band hätte denn auch eine solche Zeitlosigkeit, dass sie zehn Jahre nach Veröffentlichung genauso gut (oder eben nicht) in die Landschaft passt? Tocotronic können hier ihre Hand erheben – aber wer sonst?

Hier wurde ein eingebetteter Medieninhalt blockiert. Beim Laden oder Abspielen wird eine Verbindung zu den Servern des Anbieters hergestellt. Dabei können dem Anbieter personenbezogene Daten mitgeteilt werden.

“Saurus” ist zudem eine der ganz großen Locas In Love – Platten, in meiner persönlichen Hitliste vielleicht nur mit “Lemming” in Konkurrenz. Es finden sich Hits um Hits auf “Saurus” – über den “Comandante” (“ich liebte dich so wie Comandante Ché Guevara die Revolution / Und ich liebte dich wie die Revolution”) oder über Fritz Langs Dr. “Mabuse” (“Dieses verdammte Deutschland hat mich dazu getrieben” / “ich war es nicht. Es war Mabuse. Er benutzte mein Gehirn”), doch über allem thront am Ende “Egal Wie Weit” – ein Meisterwerk der Anti-Nostalgie.

Hier wurde ein eingebetteter Medieninhalt blockiert. Beim Laden oder Abspielen wird eine Verbindung zu den Servern des Anbieters hergestellt. Dabei können dem Anbieter personenbezogene Daten mitgeteilt werden.

Die siebeneinhalb Minuten von “Egal Wie Weit” sind die textlich wohl besten narrativen deutschen Lyrics der letzten zehn Jahre. Ein Spaziergang durch die alte Heimatstadt, zum “Haus deiner Eltern”. Eine Erzählung über das Damals (“1998 war Lisa noch die schönste von allen / Und hat da hinten links deine Liebe abgelehnt”), die sich Vers für Vers in eine Unangenehmheit steigert, die harmlose Klassentreffen-Nostalgie in etwas Zerstörerisches wandelt (“Die meisten Erinnerungen kleben noch immer in den Häusern und der ganzen Altstadt / Die im Morgengrauen wirklich schön aussieht / Und für dich ein Haufen Scherben ist, der sich durch deine Geschichte zieht”), um in einem kurzen Noise-Gitarren-Ausbruch zu gipfeln, der die Heimeligkeit der Alt.Country-Instrumentierung in Verzweiflung und Wut wandelt und in seiner unerwarteten Überdeutlichkeit geradezu schockiert:

Dass du jedes Jahr vor Weihnachten an Selbstmord denkst
Und all die Vorwürfe, die du noch zu machen hättest
Dass dein kolossales Scheitern letztlich hier anfing
Wirst du niemals verraten, nicht einmal um dich selbst zu retten
Und wir tun so als wäre das hier kein besonderer Ort
Doch wenn du noch vor deinen Eltern stirbst begraben sie dich dort
Aber so und so wird keiner wissen, was mit dir nicht stimmt
Und sie werden dich vermissen
Und ich werde dafür sorgen, dass in der Altstadt eine Straße nach dir benannt wird

Niemand, der diesen Song mit Bedacht hört, kann danach nicht ergriffen, verwirrt und verändert sein.

“Saurus” hat alles, was Locas In Love zu so einer großen kleinen Band macht: die Songs, die Melodien, die Texte, die Wut auf die Umstände und das Sehnen nach dem Besseren.

P.S.:
Kürzlich haben Locas In Love einen schönen Text auf Facebook zum Thema “große kleine Band” geschrieben:

In all unseren Jahren als Band hatten wir zahlreiche Momente und haben diese noch immer, wo in der Berichterstattung über uns, im Gespräch mit Leuten nach dem Konzert usw usw unser “Status” in irgendeiner Form verhandelt wurde. Dabei wurde immer wieder auch ein Bedauern ausgedrückt, daß wir nie größer, erfolgreicher und dergleichen wurden, weil wir es doch “verdient” hätten; verdient, daß wir in riesigen Läden vor zig Leuten spielen, im Radio liefen und allerorten bekannt wären wie bunte Hunds. Wir selbst haben nie bedauert all diese Dinge nicht zu sein und zu haben; wir haben nie gedacht uns stünde mehr oder etwas anderes zu. Hätte jemand zu unseren Teenie-Selves vor 20 Jahres gesagt: “du wirst Jahre über Jahre damit zubringen, mit deinen besten Freunden&Freundinnen und Lieblingsmusikerinnen und -musikern in einer Band zu spielen, ihr werdet gemeinsam herumreisen, Platten in Frankreich, New York oder eurem eigenen mit Instrumenten vollgestellten Studio aufnehmen, die sich ein paar tausend mal verkaufen, aber nie wirklich Gewinn abwerfen und ihr werdet ständig Konzerte vor 60 bis 300 Leuten spielen und ein paar Leute werden das gut finden” – dann hätten wir vermutlich nicht gesagt: “WIE BITTE WAS? Wir hätten es aber verdient, eine goldene Schallplatte zu erhalten und jeden abend vor 20 mal MEHR Leuten zu spielen” sondern wir hätten eher gesagt: “oh geil, das klingt gut, wo soll ich unterschreiben?”
Gewiß: wir haben uns nie bewußt einem Erfolg verschlossen und hätten uns natürlich auch gut für uns selbst ausmalen können, die größten Hits der Stadt zu haben. Andererseits haben wir auch nie bewußt auf einen Erfolg hingearbeitet, sondern gemacht, was wir eben gemacht haben, for better or worse. Es hat sich so ergeben, wie es sich ergeben hat und für uns ist das nach wie vor ziemlich gut. Eigentlich alle Leute, die zu unseren Konzerten kommen, scheinen sehr nette Menschen zu sein und so, daß wir vermutlich auch privat mit ihnen befreundet sein könnten, wenn wir uns häufiger begegnen würden. Gerade bei der berauschend schönen SAURUS-Tour fanden wir es unheimlich cool, daß erstens viele so nachhaltig etwas mit unserem Album anfangen können und auch nach zehn Jahren noch einen Bezug dazu haben und daß zweitens Leute dazugekommen sind, die uns frei von aller Nostalgie, biographischer Verflechtung etc einfach als Musik hören.
Kurz: nein, wir haben nicht mehr, nichts anderes “verdient”, uns nie gewünscht und tun es nach wie vor nicht. Wir sind seltsame Leute und machen seltsame Musik, die vor allem seltsamen Leuten gefällt. Muß man auch mal den Tatsachen ins Auge sehen. Für Leute, die erfolgreiche Musik von erfolgreichen Bands mögen gibt es ja auch genügend im Angebot.
Und ebenso: die meiste Musik, die wir selbst lieben ist eher die, die ähnlich unterm Radar einer breiten Öffentlichkeit läuft wie unsere eigene; und die meisten Konzerte, die für uns wichtig waren, waren keine Riesen-Veranstaltungen in Hallen und Arenen, sondern mittelmäßig besuchte Erweckungserlebnisse in winzigen bis mittelgroßen Klubs.
Wir lieben einander sehr, lieben die Musik, die wir gemeinsam spielen (die uns eben auch immer mehr interessiert hat als das Level von Success, das damit zu erreichen ist) und haben ebenso unser mal kleines, mal mittelgroßes Publikum sehr sehr gern und möchten es auch nicht gegen ein anderes und/oder größeres eintauschen. Es ist cool wie es ist. Sehr cool.
Und das war es erstmal für 2017. Wir gehen jetzt eine Runde Musik machen. Peace

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/popblog/2017/11/23/platte-der-woche-locas-in-love-saurus-x/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert