Ich bin ja Regisseur-Follower: das heißt, wenn ich einmal einen Film eines Regisseurs lieb gewonnen habe, dann erzeugt das bei mir Interesse an allen Folgewerken und eine große Loyalität. Die Frage ist aber: wann kippt die Good-Film-Bad-Film-Ratio, dass man sich trotz eines großen Werkes der Vergangenheit nicht jeden Scheiss in der Gegenwart antun sollte? Nach einigen wissenschaftlichen Experimenten glaube ich: 1:3. Empirisch klar geworden ist mir das am Beispiel des Regisseurduos Alexandre Bustillo & Julien Maury. Deren Debütfilm „Inside“ ist einer der besten Horrorfilme der letzten 15 Jahre, neben dem unvergleichlichen „Martyrs“ (und allem von Gaspar Noe) der große Film, den die New French Extremity hervorgebracht hat.
Aber danach? „Livide“ war eine öde Puppen/Spukhaus-Geschichte und „Among The Living“ unausgegoren. Jetzt gehen Bustillo/Maury den Weg allen Irdischens, also nach Hollywood um ein Remake/Prequel/Sequel eines Horrorklassikers zu drehen (siehe auch: Alexandre Aja).
https://www.youtube.com/watch?v=L66tC1ez0_A
„Leatherface“ erzählt die Origin Story des alten Ledergesichts, das so eindrucksvoll die Kettensäge in Tobe Hoopers 1974er Meisterwerk „Texas Chainsaw Massacre“ schwang. Und Potzblitz, der kleine Leatherface war als Babyface gar noch nicht das kettensägenschwingende Monster, als das wir es lieb gewonnen haben, sondern ein netter Bub mit schlimmer Familie. So nett, dass er in der Anfangssequenz nicht mal den Schweinedieb zersägen will, den seine Mutter für ihn eingefangen hat! Sad!
Theoretisch könnte diese Ausgangslage nicht uninteressant sein, aber Bustillo/Maury entführen uns leider in der Leatherface-Adoleszenz in ein Irrenhaus mit sehr nervigen Insassen und zeichnen den Abstieg in den bekannten Wahnsinn nach. Auch das Gesicht selbst bekommt natürlich eine Originstory, die allerdings etwas wirkt.
Alles in allem ist „Leatherface“ leider aber erstens langweilig, zweitens völlig unspannend und drittens sehr sehr nervig, dank all der anderen Charaktere, die neben Leatherface den Film bevölkern und selbstredend Overacting zu ihrem Ding gemacht haben.
„Inside“ hat mich bei der Erstsichtung auch mehr weggehauen als „Martyrs“, aber „Martyrs“ hat den stärkeren Unterbau und wirkt länger nach. In „Martyrs“ steckt wirklich extrem viel noch im Subtext, sowohl über die Behandlung von Gewalt im Film wie über filmische Narrative oder philosophische Fragen / politische Kritik. im dem lesenswerten Essay „Subverting Capitalism and Blind Faith: Pascal Laugier’s Martyrs“ hier wird darauf zum Teil eingegangen: http://filmint.nu/?p=5417
Auch Stiglegger hat im ebenfalls empfehlenswerten „Terrorkino: Angst/Lust und Körperhorror“ (Bertz/Fischer Verlag: https://www.amazon.de/dp/3865057012/?tag=motorhorst-21) einen guten Text über „Martyrs“ und die Querverweise zu Bataille geschrieben.
Gaspar Noe sehe ich ähnlich wie du, einer der wenigen wirklichen Visionäre im Kino. Irreversible, Seul Contre Tour und Enter The Void sind jedes für sich ein Meisterwerk. Love fällt etwas ab, aber hat mich trotzdem noch bekommen.
Sehe aber Noe irgendwie auch gar nicht so 100% in dieser Genrenische, irgendwie transzendiert er Genres.