Klondike (Regie: Maryna Er Gorbach)
In Kamera und Bildkomposition der herausragende Film der Berlinale und zurecht mit dem „Beste Regie“-Preis in Sundance ausgezeichnet.
Zudem könnte „Klondike“ (leider!) kaum zu einer treffenderen Zeit kommen: ein Pärchen mit hochschwangerer Frau lebt an der ukrainischen Ostgrenze, als plötzlich ein Einschlag die Wand ihres Hauses wegfegt. Die Russen kommen nicht nur, sondern sind schon da und schießen mit Raketen – treffen dabei aber leider eine niederländische Passagiermaschine, was in der Erzählung von „Klondike“ uns Zuschauern genauso erst später bewusst wird wie den Protagonisten im Film.
Fortan sehen wir zu, wie die ukrainische Familie sich mit den Gegebenheiten arrangiert: Realitätsleugnung (Frau), Kampf (Bruder der Frau), Unterwürfigkeit (Ehemann).
Aber wie wir zuschauen, ist das faszinierende: im Vordergrund die Diskussionen innerhalb der Familie und das Verrichten des alltäglichen Lebens (Schutt beseitigen, Kochen, Streiten), im Hintergrund am Horizont wie in einem Wimmelbild die Aktionen der russischen Besatzer. Mal fährt eine Abwehrraketenstation von links nach rechts, dann nach Abschuss der Maschine wieder heimlich von rechts nach links. Die Flugzeug- und Leichenteile werden im Hintergrund aufgesammelt, die Miliz besetzt die Felder…
Maryna Er Gorbach filmt in langen Einstellungen wie in Tarkovskys legendärem Schlußbild von „Offret“. Dieser Kniff verkommt aber nie zum Gimmick, sondern setzt visuell bestechend die Idee um, dass wir alle unser Leben leben, während am Horizont die Weltgeschichte passiert. Und auch wenn das Weltgeschehen zunächst klein und weit weg erscheint: irgendwann kommt es näher und ändert auch uns und alles um uns herum.
Alle reden übers Wetter (Regie: Annika Pinske)
Der Debütfilm von Annika Pinske ist ein Beitrag aus dem deutschen Lieblingsgenre: Irrungen & Wirrungen im Leben von Middleclass-Mitt-Dreißigern, die bevorzugt in Berlin leben.
Doch „Alle reden übers Wetter“ ist genau beobachtet und toll geschrieben, so dass Pinske ein richtig unterhaltsamer Film gelingt, der zudem dank seiner Kontrastierung des intellektuellen Berlin-Umfeld mit der Uckermark-Herkunft seiner Protagonistin ein Spannungsfeld aufbaut, das sich dennoch nicht in den erwartbaren Klischees verliert.
Ein kleiner, unspektakulärer Film, aber einer der gelungensten der diesjährigen Berlinale.
Rabiye Kurnaz vs. George W. Bush (Regie: Andreas Dresen)
Andreas Dresens Film um die ungerechtfertigte, jahrelange Inhaftierung von Murat Kurnaz in Guantanamo beginnt überraschend unterhaltsam und ist trotz seines Themas mehr eine Feelgood-Komödie als ein politisches Drama.
Meltem Kaptan in der Hauptrolle der Mutter von Murat Kurnaz reißt „Rabiye“ schnell an sich und denkt gar nicht daran, wieder loszulassen. Dresens Dramödie schenkt seiner Protagonisten eine schaustehlende Szene nach der nächsten und Meltem Kaptan nimmt diese Steilvorlage als eine Art Gaby Köster in lustig und türkisch dankend an und verwandelt jeden Schuß.
Leider ist jede Nicht-Rabiye-Szene dagegen schal, viele offizielle Szenen (vor Gericht, Pressekonferenzen) sind direkt aus dem Klischee-Baukasten, der Look sagt mehr Deutsches Fernsehen als im Berlinale-Wettbewerb erlaubt sein sollte und durch alle Pointen fehlt am Ende auch die Fallhöhe, die für die Guantanamo-Einkerkerung eigentlich geboten wäre.
„Rabiye Kurnaz vs. George W. Bush“ ist mit Sicherheit unterhaltsamer als der thematisch verwandte „The Mauritanian“ aus dem letzten Jahr, aber dennoch etwas dünn und ohne rechten Impact.