Drinking Buddies (2013, Joe Swanberg)
auf Netflix
2013er Mumblecore von Joe Swanberg, der deutlich polierter ist als seine früheren Genrebeiträge wie „Alexander The Last“ (2007) oder „Hannah Takes The Stairs“ (2006). Letzterer überzeugt mich am meisten aus dieser Reihe, was aber sicher auch an Greta Gerwig liegt.
„Drinking Buddies“ gelingt es gut, nicht zu dem erwartbaren Issues-Film zu werden, sondern die Konflikte auf ein realistisch zwischenmenschliches Problemchen herunterzufahren – das mag jetzt vielleicht für manche ZU unspektakulär sein, die sich bei der Plot-Ausgangssituation von zwei ständig saufen gehenden Pärchen gern ein „Leaving Las Vegas“ in der Craftbeer-Hipster-Community mit Partnertausch-Eskalation gewünscht hätten, but that’s Mumblecore for you. Und fine with me.
P.S.: Etwas kurios ist aus heutiger Sicht die große Besetzung, aber gut, viele von ihnen kommen eben tatsächlich aus dem Mumblecore-Umfeld: Ti West ist mit „X“ und zuvor „House Of The Devil“ einer der spannendsten Horrorfilm-Regisseur dieser Tage, Olivia Wilde eine große Nummer als Schauspielerin und gerade Regisseurin für Harry Styles („Don’t Worry Darling“) und Jason Sudeikis? Ist „Ted Lasso“.
Der denkwürdige Fall des Mr Poe (2022, Scott Cooper)
auf Netflix
Leider eher enttäuschende, blutleere Krimi-Geschichte, die sich gegen Ende recht unverdient noch einen Megatwist einbaut.
Am besten noch das köstliche, fragile Overacting von Harry Melling als junger Edgar Allen Poe.
Der Arzt von St. Pauli (1968, Rolf Olson)
auf Amazon Prime
Schöne Mischung aus Sleaze, Working-Class-Sozialromantik und Genre-Exploitation. Kann es sein, dass das niemand im deutschen Kino so gut konnte wie Rolf Olsen? Sowas kennt man sonst ja nur aus den Eurocrime-Filmen italienischer Prägung!
„Der Arzt von St. Pauli“ (1968) ist deutlich sleaziger als Olsens thematisch verwandter „In Frankfurt sind die Nächte heiß“ (1966). Man sieht also, wie schnell die 60er sich entwickelten und die Grenzen verschoben. Dennoch gibt’s hier zwar heiße Schlitten und flotte Bienen, nackte Brüste und harte Fäuste, aber im Vergleich zu den 70ern sind wir gerade noch auf einer „kann man mit den Eltern anschauen“-Ebene.
Die Kiezgeschichte um zwei Ärzte, Sexpartys und eine ermordete Dame ist mit einem jungen Fritz Wepper (als Seemann) sowie alten Curd Jürgens (als Prostituierten-Arzt) erstaunlich hochkarätig besetzt und war mit mehr als 3 Millionen Kinobesuchern auch ein echter Hit.
Die Story ist natürlich einerseits wirr und andererseits simpel, aber Olsen versteht es einfach, Milieu-Kolorit in Wort und Bild einzufangen wie kein zweiter: Flotte Dialoge in St. Paulianischen Hafenkneipen bis die Fäuste fliegen!
Für manche Länge im Mittelteil entschädigt die wirklich total durchgeknallte Schlußkonfrontation auf einem Autoschrottplatz zwischen Lowlife-Gangstern auf heißen Öfen, Hafenganoven mit Herz am rechten Fleck, Polizisten und dem Nuttendoktor aber aufs Beste.
Freue mich jetzt schon auf „Der Pfarrer von St. Pauli“ (Rolf Olsen, 1970)!
Der Mann, der Liberty Valence erschoß (1962, John Ford)
(ausleihbar auf Magenta, Apple, Amazon, Sky)
Einer der klassischen Western – und doch eigentlich schon ein Post-Western, spielt John Ford hier doch die Mythen-Meta-Ebene (das berühmte „When the legend becomes fact, print the legend”-Zitat stammt aus diesem Film) und dekonstruiert zudem bereits 1962 die Männlichkeitsvorstellungen des Genres.
James Stewart spielt einen Anwalt mit Waffenaversion, der Bildung und Humanismus in ein Kaff an die Frontlinien der Westausdehnung bringt. John Wayne, als Vertreter der alten Männlichkeit, hält das zwar für Humbug und glaubt fest an die Notwendigkeit von Gewalt zur ‚Befriedung‘, aber akzeptiert den Zivilisationsfortschritt, den Stewart bringt, auch wenn es ihn zum Mann von Gestern macht.
John Ford zeigt sich allerdings versöhnlich, denn es ist keineswegs so, dass zwischen dem Mann von Morgen (Stewart) und dem Mann von Gestern (Wayne) der große Konflikt heraufbeschworden wird, nein, im Gegenteil: nur durch den Mann von Gestern wird dem Mann von Morgen die Zukunft ermöglicht.
Trotz seiner zwei Stunden Spielzeit erstaunlich kurzweilig und in den Hauptrollen gut gespielt (in den Nebenrollen allerdings schlimmstes Overacting, der Zeitungschef als ewiger Trinker und die Wahlveranstaltung mit einreitendem Cowboy streifen schon die Burleske).
The Black Phone (2021, Scott Derrickson)
(ausleihbar auf YouTube, Google)
Vor allem zu Beginn stark mit einer atmosphärisch toll eingefangenen Kindheit Ende der 70er.
Als sich „Black Phone“ dann zu einem Entführungskrimi entwickelt und sich für den Großteil seiner Spielzeit in den Keller begibt, ist Scott Derricksons Horrorfilm nicht mehr ganz so überzeugend, aber auch nie doof. Immerhin gelingt ihm gut, Übersinnliches mit Realem zu kreuzen, ohne allzu weit in Richtung Humbug abzubiegen.