Brandstifter (1969, Klaus Lemke)
Lemkes „La Chinoise“!
Dieses Frühwerk des deutschen Anti-Establishment-Filmers widmet eine erstaunlich lange Dauer seiner kurzen Laufzeit ausführlichen theoretischen Diskussionen, die von Marxismus bis Maoismus reichen und den Kampf gegen die Autoritäten besprechen. So verkopft wie nichts, was Lemke im folgenden halben Jahrhundert auf die Leinwand bringen sollte, ist dieser dritte Spielfilm des großen Querkopfs des deutschen Kinos ein Sonderling in seiner Filmographie des Einfachenmachens, Jetzt-sofort-Tuns.
In seinen Bildern ist Lemke hier klar von der Nouvelle Vague und vor allem Godard inspiriert. Arrangements in leuchtenden Pop-Farben (bevorzugt: rot), die Studi-Diskussions-WG ein Museum der End60er-Agitprop-Art, kurz: es gibt nur wenige Lemke-Filme, die so fantastisch aussehen wie „Brandstifter“. Während die Typen alle austauschbare Revoluzzerchen bleiben, sind es die beiden Frauenfiguren, die sich ins Gedächtnis brennen: eine neunzehjährige Iris Berben als scheinbarer Backfisch unter Mao-Marx-Großfischen und Margarethe von Trotta als Übermutter, Frau der Praxis und heimliche Hauptrevolutionärin der Studi-Theoretiker-WG.
Gegen Ende fizzelt „Brandstifter“ zwar aus wie ein Silvesterkracher, nach ’nem Weit-Piss-Wettbewerb, aber bis dahin ist Lemke ein wunderbarer Snapshot der späten 60er gelungen. (6/10)
Passagiere der Nacht (2022, Michael Hers)
im Kino
Eine schöne Scheibe Leben aus dem Frankreich der frühen 80er mit Charlotte Gainsbourg auf der Suche nach einem Platz im Jetzt, wenn die Kinder das Haus verlassen und der Ehemann leider gleich mit.
„Les Passagers de la nuit“ wirkt sehr tagebuchig, im Guten wie im Schlechten. Ein authentisches Begleiten, mit kleinen Geschichtchen und Begegnungen am Wegesrand. (6/10)
Augenblicke: Gesichter einer Reise / Faces Places (2017, Regie: Agnès Varda, JR)
auf RTL+ im Abo, bei vielen anderen zur Leihe
Die alternde Regielegende Agnes Varda reist mit ihrem jungen Kompagnon JR (nicht der JR. Anderer Hut, anderer Mensch) durch Frankreich und will unbesungenen Helden einen Moment der Ehrerbietung schenken, imdem hausgroße Bilder der Interviewten auf Fassaden geklebt werden. Das ist vor allem von einem sehr menschenliebenden Gestus getrieben, was für mich „Faces Places“ etwas zu lieblich macht. Deshalb bleibt auch am meisten der Stachel in Erinnerung, der am Ende kommt: ein Besuch bei Jean-Luc Godard, der anders endet (inszeniert? real?) als von Varda erwartet. (5/10)
Steig. Nicht. Aus. (2018, Regie: Christian Alvart)
auf Netflix
Deutscher Genrefilm, der die „Speed“-Idee in einen „Phone Booth“ und „No Turning Back“ – Plot einbaut.
Der Immobilienmanager und Gentrifizierungsbeschleuniger Karl sitzt mit seinen Kids im Auto, als ihn ein Anruf erreicht: Es ist eine Bombe unter euren Sitzen, überweise mir Geld und zerstöre dein Leben, sonst macht es mit dir Bumm wie mit vielen Altwohnungen, die deinen Plänen weichen mussten. Dass der gesellschaftspolitische Punkt subtil in diesen Thriller eingewoben ist, lässt sich also nicht gerade behaupten.
„Steig. Nicht. Aus.“ ist von Alvart kompetent adrealintreibend inszeniert, auch wenn im weiteren Verlauf die Glaubwürdigkeit seiner Geschichte Schaden nimmt und der Filmfahrt nach gut einer Stunde etwas der Sprit ausgeht sowie nicht alle Schauspieler überzeugen.
Fazit: kurzweilige Krimiunterhaltung. (6/10)
The Little Things (2021, Regie: John Lee Hancock)
auf Amazon Prime
Ein Throwback zu den Serienkiller-Filmen der 90er, der sich im Zeichnen seiner zwischenmenschlichen Beziehung auch gern an „Sieben“, die Krone des Genres anlehnen möchte. Dass letzteres natürlich mehrere Regale zu hoch liegt, muss ich wahrscheinlich kaum erwähnen.
„The Little Things“ ist aber stimmungsvoll inszeniert und hochnamig besetzt, wobei Rami Malek mit seiner Rolle überfordert wirkt und Jared Leto natürlich wieder die Jared-Leto-Show abzieht (allerdings hier tatsächlich die erinnerungswürdigste Performance liefert). Denzel trägt wiedermal die Last der Welt auf den Schultern und spielt auch so.
Verstehe die zum Gutteil schlechten Kritiken nicht unbedingt, da „The Little Things“ schon durchgehend fesselt. John Lee Hancock scheitert allerdings an seinem zugrundeliegenden Konzept: auf der einen Seite dekonstruiert er das Serienkillergenre in „The Little Things“ vom Ende her, kann aber gerade dort die dem Film zugrundeliegende moralische Ambiguität nicht ausreichend zuspitzen, so dass sein eigentlich zynisches/deprimierendes/ernüchterndes Ende nicht so landet wie es wohl beabsichtigt war.
Sagte ja schon: „Sieben“, it ain’t eben. (6/10)