vonChristian Ihle 29.04.2023

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Girl Gang (2022, Regie: Susanne Regina Meures)
auf Netflix

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„Girl Gang“ durchleuchtet das Leben der 14jährigen Influencerin Leonie in einer fly on the wall Dokumentation.

Vielleicht wenig überraschend: das Influencer-Leben ist Kapitalimus in Reinkultur, was so deutlich in den Bildern wird, dass man schon Überlegungen anstellen darf, ob das Verbot von Kinderarbeit nicht auch diesen Part umfassen sollte. Während Leonie sich im Film mit zunehmendem Alter auch immer mehr als eigenständiger Mensch positionieren darf, haben die Eltern wenig Möglichkeit, nicht den Eindruck zu erwecken, sie würden ihre Tochter als Fahrschein ins Glück betrachten – wenn Leonie über die Notwendigkeit eines neuen Insta-Reels nölt und die Mutter aus dem Off zum Vater im breitesten Ostberlinerisch sagt „da müssen wir sie später durchpeitschen, wenn sie sich wieder beruhigt hat“, bleibt wenig Interpretationsspielraum (erinnert mich übrigens an den schönen Satz von A) dem Manager von Dr Randfichten of Alter-Holzmichel-Fame „Was ihr macht, das ist sehr schön, aber da ist viel mehr Saft in der Zitrone, und die würden wir gern mit euch auspressen“ und B) dem Manager von Daniela Katzenberger, der in der SZ einst gesagt hatte: „Ich will Daniela auf keinen Fall totreiten, bevor das junge Pferd so richtig erfolgreich ist“).

Das Banale des Insta- und TikTok-Grinds nimmt natürlich viel Platz in dieser Doku ein, doch sind die Leerstellen auch notwendig, um nicht doch diese Hyper-Kapitalismus-Maschine durch die Hintertür wieder zu glorifizieren (noch ein Zitat? Na gut, dann Truffaut: „Es ist unmöglich, einen Anti-Kriegsfilm zu drehen, da ein Film den Krieg immer aufregend aussehen lassen wird“).

Einen Extrapunkt verdient sich „Girl Gang“ deshalb allein dadurch, wie unangenehm mir dieser Film war. (7/10)

Ach du Scheisse! (2022, Lukas Rinker)
auf Netflix

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Ein Konzeptfilm: ein Architekt erwacht aus Bewusstlosigkeit und findet sich in einem Dixie-Klo eingesperrt wieder, den Arm mit einer Eisenstange durchbohrt und praktisch bewegungsunfähig.
Mach daraus mal einen eineinhalbstündigen Spielfilm, der die Location nicht wechselt!

Lukas Rinker besteht in seinem Debütfilm diese Herausforderung überraschend gut. Vor allem in der ersten Hälfte baut er eine klaustrophobisch Nähe auf und bringt dem Zuschauer sogar den Protagonisten mit all seinen Sorgen und Lebensreue näher. Das letzte Drittel dreht dann etwas zu arg die Fun-Splatter-Regler auf und zerstört damit die intime Härte des Vorhergehenden wie auch der Bösewicht – ein bayerischer Lokalpolitiker – mehr wie eine schlechte ‚Switch‘-Version von Edmund Stoiber wirkt.

Dennoch: besser als jeder Scheisshaus-Film sein dürfte. (6/10)

Fun Fact: The production was supported by TOI TOI & DIXI Group GmbH with four of their portable toilet stalls. Due to the limited number of toilets available, the filming was done mostly in chronological order and the main stall got destroyed more and more as filming progressed.

The Banshees of Inisherin (2022, Regie: Martin McDonagh)
auf Disney+

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Martin McDonagh vermeidet es, in „The Banshees Of Inisherin“ seiner hysterischen Seite zu viel Raum zu geben, und dreht seinen sicherlich erwachsensten, melancholischsten und auch schwersten Film.

Trotz aller Lobeshymnen bin ich mit McDonaghs Filmen („Brügge sehen und sterben“, „Three Billboards…“) nie richtig warm geworden. „Banshees Of Inisherin“ ist stärker als seine vorangegangenen Werke, wenngleich ich auch hier die völlige Begeisterung nicht nachvollziehen kann.

McDonagh lässt allerdings seine Schauspielern wirklich glänzen. Das sich entfremdende Freundschaftspaar im Zentrum der Geschichte wird von Colin Farrell und Brendan Gleeson gespielt. Farrels leicht tumber, aber brodelnder Tor ist dessen vielleicht beste Karriereleistung und Gleeson ist als alter, zum äußersten entschlossener Grummelbär wie immer in Topform. Aber auch in den Nebenrollen ist „Banshees“ ein Schauspieler-Film: Barry Keoghan als eine weirdere, noch tumbere, aber dafür aufrichtigere junge Variante von Farrells Dorftrottel spielt erneut beeindruckend und McDonagh hält mehrere szenestehlenden Momente für Kerry Condon als smarte Schwester von Farrells Charakter bereit.

„Banshees Of Inisherin“ blieb allerdings trotz mancher starker Momente für mich schwer greifbar.
Die Idee, einen eskalierenden Bergman-Film unter irischen Säufern zu drehen, gefällt mir aber doch. (6/10)

Nahschuss (2021, Regie: Franziska Stünkel)
zur Leihe bei amazon, apple, youtube & co

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Hatte ich mir mehr erhofft, als eine Lars-Eidinger-Tanz auf dem Tablett der Todesstrafe.

„Nahschuss“ hat seine Momente, wenn er sich offensichtlich an den Lutz Eichhorn – Fall anlehnt. Eichhorn war ein Fußballspieler, der in den 80ern in den Westen geflüchtet war und wohl von der DDR auf westdeutschem Boden getötet wurde. Diese Verquickung aus Agentenfilm und Gewissensbefragung, die hier in und um Eichingers Charakter passieren sind die stärksten des Films – neben den Schlußsequenzen zur tatsächlichen Durchführung der Todesstrafe.

Die interessanteste Figur bleibt aber trotzdem Luise Heyer als Eichingers Frau, die den vielschichtigen Charakter in ihren wenigen Szenen mitreissend und mehrdeutig darstellt. (5/10)

Dead Man Down (2013, Regie: Niels Arden Oplev)
auf amazon prime

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Aus der Riege der Trauma-Revenge-Filme: Colin Farrells Frau und junge Tochter wurden ermordet. Undercover schleust er sich in die dafür verantwortliche Verbrecherbande ein und entwickelt den elaboriertesten Racheplan der Welt.

Letzteres ist natürlich dann auch der Downfall des Films: denn mehr als einmal fragt man sich schon, warum Farrells Charakter unbedingt den extrakomplizierten Weg wählen muss. Klar, „Memento“ und so: Rache als Lebensinhalt und die Angst davor, mit erfüllter Rache gar keinen Lebensinhalt mehr zu haben. Aber ehrlich gesprochen doch einfach: weil der Film dann schneller vorbei wäre…

So sind für mich in „Dead Man Down“ weniger die Actionszenen und die Verwicklungen auf dem Weg zum großen Rachefinale wertig, sondern die Zerstörtheit seiner beiden Hauptcharaktere ergreifend. Insbesondere Farrell gelingt es gut, eine Gleichzeitigkeit von Härte und Trauer anzulegen. (6/10)

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