vonChristian Ihle 06.05.2023

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Black Panther: Wakanda Forever (2022, Regie: Ryan Coogler)
auf Disney+

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Sicher gut gemeint, „Black Panther: Wakanda Forever“ als Abschiedshymne über den zu früh verstorbenen Panther-Darsteller Chadwick Boseman anzulegen, aber dann auch kein Wunder, dass diese Comicverfilmung unter der Last der Trauerarbeit zusammenbrechen muss. Jede Leichtigkeit fehlt – und wenn doch eine aufblitzt, wirkt sie deplatziert.

„Wakanda Forever“ hat zudem durch die Notwendigkeit der Boseman-Referenz keine filmische Struktur, sondern wabert leicht traurig durch seine drei Stunden, wirft dann und wann eine unspannende Actionsequenz hinein und lässt jeden fucking Charakter ständig unsinnige Entscheidungen treffen. Dass der Bösewicht ein uncharismatischer Aquaman mit Flügeln an den Fersen ist und seine Soldaten aussehen, als wären sie direkt aus „Avatar“ rübergeschwommen, hilft wirklich auch nicht weiter. Selten habe ich Jason Momoa so vermisst.

Ein Film des ständigen Behauptens und Moralisierens, der nicht einmal auf dem Entertainment-Feld seine Schlachten gewinnt. (4/10)

Der Dritte Mann (1949, Regie: Carol Reed)
zur Leihe bei amazon, youtube, appletv

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Wiedersehen nach langer Zeit. Verstehe heute den Ruf des Films besser als damals vor 20 Jahren, denn vor allem hinsichtlich Kamera & Atmosphäre ist „Der Dritte Mann“ wirklich herausragend. Wien zwischen Kaiserzeitpomp und Weltkriegsruine ist ein Setting, wie es in der Filmgeschichte kaum eines je gab.

Dass Orson Welles den Film mit gerade einmal fünf (!) Minuten Spielzeit so prägt, ist dann auch Testament für die Güte seiner Performance. Was mir damals wie heute allerdings doch fehlt zu einem ganz großartigem Film ist die erzählte Geschichte. Weder ist die Auflösung sonderlich überraschend noch das Rätsel per se allzu dringlich (wer ist der Dritte Mann? was geschah wirklich mit Harry Lime?).

Die interessanteste Enthüllung des Films ist dann auch gar nicht der Plot selbst, sondern eine Charakterfrage: hat sich Holly so sehr in seinem Freund getäuscht? Oder war sein Freund schon immer der verschlagene Zyniker und führte nur die Zuspitzung der Postweltkriegsumstände auch zu einer Zuspitzung seines Charakters? In dem Gegensatz der beiden Protagonisten Harry Lime und Holly Martins ist auch die größte Spannung des Films angelegt. Letzterer als naiver US-Amerikaner, der in ein vom Weltkrieg versehrtes Wien reist und ständig an den Realitäten der tatsächlichen Welt scheitert. Harry Lime als Mann, dessen Überlebensinstinkt längst allen Anstand besiegt hat und der das Auf-dem-Seil-tanzen, das Durchwurschteln und Fäden ziehen zur Vollendung gebracht hat. (8/10)

Zwei Sachen noch:
– Orson Welles selbst geschriebener Satz ist wirklich einer der größten Sätze der Filmgeschichte:

„Don’t be so gloomy. After all, it’s not that awful. Like the fella says, in Italy for 30 years under the Borgias they had warfare, terror, murder, and bloodshed, but they produced Michelangelo, Leonardo da Vinci, and the Renaissance. In Switzerland they had brotherly love – they had 500 years of democracy and peace, and what did that produce? The cuckoo clock. So long, Holly.“

– ich liebe den Schlußabsatz in Roger Eberts Review:

„Of all the movies I have seen, this one most completely embodies the romance of going to the movies. I saw it first on a rainy day in a tiny, smoke-filled cinema on the Left Bank in Paris. It told a story of existential loss and betrayal. It was weary and knowing, and its glorious style was an act of defiance against the corrupt world it pictured. Seeing it, I realized how many Hollywood movies were like the pulp Westerns that Holly Martins wrote: naive formulas supplying happy endings for passive consumption.“

Aftersun (2022, Regie: Charlotte Wells)
auf mubi

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Charlotte Wells Debütfilm ist herzlich unaufregend in seinem vordergründigen Thema, gelingt es dafür aber erstaunlich lange nachzuhallen.

Im Grunde sehen wir nur einen Tochter-Daddy-All-Inclusive-Urlaub am Mittelmeer in den 90ern (tolle Musikeinsätze in den Arcade-Hallen mit Catatonia oder Blur – als Britpop noch den Mittelmeerraum wie Alexander der Große regierte!) mit seltenen Zwischenschnitten ins erwachsene Jetzt der Tochter. Irgendetwas ist passiert, so richtig rückt der Film damit auch nicht heraus, aber wohl ist dieser Urlaub ein letztes gemeinsames Erlebnis der Splitterfamilie. Die Tochter kämpft immer noch mit ihrer Erinnerung.

Wie die vermeintlich simple Story & ihr großer emotionaler Nachhall auseinanderklaffen, kontrastiert auch die visuelle Gestaltung das unspektakuläre Abfilmen des Urlaubs mit seltenen, stilisierten Stroboskop-Szenen, deren Bedeutung ich mir nicht erschließen, aber erfühlen kann. (7+/10)

Queen of Earth (2015, Regie: Alex Ross Perry)
auf mubi

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Während Alex Ross Perrys andere Filmen wie „Colour Wheel“ (2011) und „Golden Exits“ (2017) aufpolierte Mumblecores waren, ist „Queen Of Earth“ (2015) ein Psychokammerspiel, das näher an Bergman als an Swanberg ist.

Dank der zwei hervorragenden Leads (Elizabeth Moss mit einer erneut fantastischen, exaltierten Performance und Katherine Waterston als grundierterer Spiegel zu Moss Charakter) ist von der ersten Minute an eine unangenehme Spannung in der Luft, die man nicht recht deuten kann.

Sind es nur „übliche“ Hennenkämpfe und ein ewiges Vergleichen des „besseren Leben“ zwischen den beiden Uralt-Freundinnen? Liegt etwas finsteres hinter der Fassade der jungen Damen? Sind die anwesenden Partner nur Bauernopfer in ihrem Schachspiel des Lebensvergleichs oder arrogante Unterdrücker, die erst diese Stimmung bei den Frauen erzeugen? Ja, sind Moss/Waterstone nur zwei Seiten einer Persönlichkeit?

So ganz schlau werde ich aus „Queen Of Earth“ letztlich nicht, aber der Abstieg in Psychosen mit angedeuteten Exzessen schafft ein im positiven Sinn äußerst unangenehmes Seherlebnis, das nachhallt. (7/10)

Nostalgia (1983, Regie: Andrei Tarkovsky)
auf mubi

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Spätwerk Tarkovsky schon echt schwerer Brocken.

„Nostalgia“ ist eine zweistündige depressive Meditation über Heimweh, die in einer langen, in Echtzeit gefilmten Szene kulminiert, in der ein Mann eine Kerze durch eine Ruine trägt. Nicht einmal, nicht zweimal, sondern dreimal.

Dass Tarkovsky diesen profanen Moment zur großen emotionalen Auflösung stilisiert, zeigt natürlich auch seine Meisterschaft. Aber mir war „Nostalgia“ dann leider doch zu langsam, zu in sich hinein denkend.

Dennoch, wie bei „Opfer“ (1986), auch hier wieder gegen Ende einige extrem starke Szenen und Einstellungen. Zu nennen sind hier natürlich der eine Moment der Eskalation, eine Selbstverbrennung zu ‚Freude schöner Götterfunken‘, sowie der fantastische long shot als letztes Bild. (4/10)

Rye Lane (2023, Regie: Raine Allen-Miller)
auf Disney+

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Sympathische Liebeskomödie um zwei von der Liebe Enttäuschter, die eine frische Trennung verarbeiten müssen. „Rye Lane“ ist mir ein wenig zu selbstverliebt in seine Kameratricks und das Acting einiger Darsteller arg drüber, aber der Film hat sein Herz am rechten Fleck und fängt zudem schön die Atmosphäre des Londoner Stadtteils Peckham ein.

Eine unterhaltsame Rom-Com, die arg guten Bewertungen kann ich allerdings nicht nachvollziehen. (6/10)

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