vonChristian Ihle 16.08.2023

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

Mehr über diesen Blog

Gekommen, um zu bleiben. The Dickies. Sie sind eine der beständigsten Punkbands aller Zeiten, wenngleich über die Jahrzehnte nicht mehr in der Originalbesetzung. Im Jahre 1977 in Los Angeles gegründet und nie aufgelöst, gehören ihr heute noch Sänger Leonard Graves Phillips und Gitarrist Stan Lee an. Dieser nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Spiderman-Erfinder, dem zu Ehren unser Mann sich die Figur auf den linken Unterarm hat stechen lassen. Die Anfangsjahre der Band waren günstig für das kommerzielle Fortkommen. So ergatterten die Dickies für ihre ersten beiden Platten einen Major-Deal, was der Nachwelt die Scheiben „The Incredible Shrinking Dickies“ und „The Dawn of the Dickies“ bescherte. Deren Songs beherrschen auch noch heute das Live-Set. Auch wenn sich der langfristige kommerzielle Erfolg dann doch nicht einstellte, blieben die Dickies ihren Markenzeichen treu: Schnelle harte Riffs, der Hang zum Trash und zum schrägen Humor. Letzteres ergibt sich zwanglos aus ihrem Bandnamen, den man wohl kaum übersetzen muss.

Lange Jahre und ein paar Alben später touren die Dickies also immer noch durch die Weltgeschichte. Ihre „Back to Europe 2023“-Tournee führt sie auch in das Wild at Heart mit der wohl verlässlichsten Bühne Berlins, was den traditionellen Punkrock angeht. Zum Quintett komplettiert mit Eddie Tater am Bass, Dave Teague an der weiteren Gitarre und Schlagzeuger Adam Graves starten die Dickies ihr Set. Es gilt, 22 Knaller am Stück abzufeuern, und das in einer Stunde. Wer schneller spielt, ist schneller fertig.

Zum Auftakt erweisen sie mit „Anarchy in the UK“ den Sex Pistols als Brandbeschleunigern des Punkrock die Ehre. Das mitgealterte Publikum feiert erwartungsgemäß seine Herrenüberschussparty. Pogo geht immer noch. Ob man dabei vereinzelt mit 60+ noch T-Shirts mit dem Aufdruck „No Future“ tragen muss, ist Geschmacksache, aber immerhin ein Bekenntnis auf Lebenszeit. Auf der Setlist geht es dann weiter mit „I`m OK, You ́re OK“, „Give it Back“ und – natürlich – „Nights in White Satin“ in der Highspeed-Taktung. Ein paar Songs später ist nicht mehr so ganz klar, ob bei Graves Phillips tatsächlich noch alles so „OK“ ist, wie zuvor besungen. Denn auf einmal liegt er längs auf der Bühne. Was zunächst aussieht wie eine Slapstick-Nummer, entpuppt sich als handfester Schwächeanfall. Er wird von der Bühne geleitet. Die Band rockt inzwischen ein Instrumentalstück runter, fast so wie die Blues Brothers Band beim Warten auf Jake und Elwood – wir erinnern uns. Graves Phillips kommt dann tatsächlich nochmal zurück, erzählt irgendwas davon, zu wenig gegessen zu haben und umschreibt noch die Größe seiner Prostata mit einem aus Daumen und Zeigefinger geformten Kreis, eindeutig too much information. Als alte Rampensau lässt er es sich nicht nehmen, zumindest noch „Banana Splits“ zu performen, um danach nicht mehr gesehen zu werden.

Was aber macht eine routinierte Band, wenn Aufhören keine Option ist? Sie lädt zur internen Karaoke ein und lässt zunächst einen Roadie namens Brian das schon erwartete Black Sabbath-Cover „Paranoid“ singen. Gar nicht mal schlecht! Besagter Brian wird dann abgelöst von dem Merchandise-Buddy, der das Programm voll drauf hat und zusätzlich sogar noch „Breaking the Law“ von Judas Priest bringt. Das Publikum jedenfalls nimmt die Programmänderung mehr als versöhnt hin.
Nicht weiter tragisch ist, dass die Gummipuppe als traditionelle Requisite zu „Waterslide“ nicht mehr zum Einsatz kommt, sondern hinterm Schlagzeug ihrem Feierabend entgegenschlafft. Und wenn sich Graves Phillips wieder erholt, dann war es auch ein sehr schöner Abend.

Text: Gero Riekenbrauck
Fotos: Martin von den Driesch

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/popblog/2023/08/16/the-dickies-og-l-a-punk-rock-zu-besuch-in-berlin/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert