Oppenheimer (2023, Regie: Christopher Nolan)
Im Kino
Einige Gedanken zu Oppenheimer:
– „Oppenheimer“ ist für Christopher Nolan schon ein sehr ungewöhnlicher Film, denn im Grunde ist sein Biopic über den „Vater der Atombombe“ ein Kammerspiel in zwei Räumen – zumindest in seiner zweiten Hälfte. Während Nolan zu Beginn mit etwas künstlerischem Anspruch übliche Biopic-Konventionen durchhechelt, gelingt ihm mittig mit der Explosion der ersten Atombombe ein großer Kino-Moment in völliger Stille. Ab hier bewegt sich „Oppenheimer“ fast ausschließlich im Inneren, bei einer kleinen und einer großen Anhörung, die das Vermächtnis des Wissenschaftlers verhandelt sowie die Kommunisten-Paranoia der USA anklagt.
– Für mich hat der Kammerspielpart besser funktioniert als die Lebensstation-Abhak-Erzählung der ersten Stunde. Spannend, wie Nolan verschiedene Erzählebenen ineinander verschränkt und zeitweise von vier Momenten Oppenheimers Leben gleichzeitig erzählt.
– Göttingen! Schau an!
– Der neben der Explosion beste Moment ist Oppeheimers Rede im Moment des Triumphs. Hier findet Nolan starke Bilder, die eine innere Erkenntnis visualisieren. Die Angst, etwas geschaffen zu haben, was nicht mehr verschwinden wird.
– Ärgerlich ist allerdings, dass Nolan bei all seiner technischen Finesse dann auf simple narrative Tricks zurückgreift:
* die große Auflösung in der zweiten Verhandlung wird durch einen Charakter beigeführt, der vorher keinerlei Rolle spielt und als Deus Ex Machina auf einmal dasitzt und das Vermächtnis von Oppenheimer bestimmt.
* als seine Frau, vorher bereits als labile Alkoholikerin gezeichnet, in der kleinen Verhandlung als entscheidende Zeugin aufgerufen wird, platziert Nolan sie zunächst als unsichere Kantonistin, doch mit anschwellender Orchestermusik nimmt sie nach anfänglichem Lavieren den Chefankläger so scharfzüngig auseinander, dass hier wirklich meine „suspension of disbelief“ aufgegeben war.
* der Adjudant von Oppenheimers Gegenspieler kommentiert die zweite Hälfte hindurch fragend Oppenheimers moralische Positionen und nimmt dadurch natürlich die Rolle des Zuschauers ein, wie Nolan ihn haben möchte. Dass nun selbst der Helfer des Gegenspielers am Ende ins Pro-Oppenheimer Lager wechselt, ist billig manipulativ von Nolan.
– Auch wenn er dank einer kleinen Rolle nichts kaputt macht, muss ich Matthias Schweighöfer wirklich nicht noch mal als Genie (Heisenberg) sehen.
What next? Til Schweiger als Einstein?
– Trotz drei Stunden Spielzeit und nur einer „Anhörung“ als Klimax unterhält „Oppenheimer“ doch erstaunlich gut, auch wenn sich mir nicht ganz erschließt, warum Nolan denkt, dass es seine Bestimmung ist, ein Biopic zu drehen. Der Mann hat schon andere Stärken, sag ich mal.
– Dass Nolan aber solche Einspielergebnisse mit diesem Thema erzielt, ist dann eben doch ein Triumph für das Prinzip Kino. Es gibt wirklich niemanden, der mit diesen Middlebrow-Filmen so sehr die Massen in die Säle lockt. (7/10)
Venom: Let There Be Carnage (2021, Regie: Andy Serkis)
bei Netflix
Schlimmstes Superhelden-Ironie-Kino.
Nur eine große CGI-Schlacht ohne Schwere, ohne Bedeutung und ohne Hirn.
Eine Schande, den guten Tom Hardy für diesen Schwachsinn zu verheizen. (2/10)
Tatort: Zahn um Zahn (1985, Regie: Hajo Gies)
zur Leihe bei den üblichen Plattformen
Allein der Anfang: Straßenschlachten zwischen Bullen, Bikern und Punks um besetzte Häuser, während Schimanski in der türkischen Eckkneipe nebenan sitzt und aus den Lautsprechern Klaus Lages „Faust Auf Faust“ röhrt.
<3 HEART! <3
Im Folgenden sieht man „Zahn um Zahn“ zwar an, dass er fürs Kino gedreht wurde und so ein deutlich höheres Budget verbraten werden konnte, aber der Ausflug nach Marseille hat wenig mehr Sinn als einen French-Connection-Fetisch des deutschen Fernsehens auf Auswärtsfahrt zu befriedigen.
Die Story ist leider wirklich stumpf und macht auch bei längerem Nachdenken nicht wirklich viel Sinn, aber Schimi prügelt sich schön durch Provence wie Ruhrgebiet.
1985 war „Zahn um Zahn“ übrigens ein durchschlagendes, kulturelles Ereignis: der neunterfolgreichste Kinofilm des Jahres mit 2,7 Mio Zuschauern und Klaus Lages wunderbarer Deutschrock-Gassenhauer kletterte zudem – und zurecht – in die deutschen Single-Top-Ten. (5/10)
The Covenant (2023, Regie: Guy Ritchie)
bei Amazon Prime
Ein wenig kurios ist schon, dass ausgerechnet bei „Guy Ritchie’s The Covenant“ explizit Ritchies Name schon im Filmtitel genannt wird, ist doch dieses Kriegsdrama Neuland für den Briten.
In „The Covenant“ finden sich gerade nicht die üblichen Guy Ritchie – Manierismen wieder. Keine coolen Oneliner, keine Gangster-Geschichten, keine fancy Kameraarbeitkeine und auch keine vertrackten Stories, die sich erst nach und nach aufdecken – sondern ein geradliniger Film über einen arabischen Dolmetscher und seinen amerikanischen Soldaten, die in der Not zusammen kämpfen, um ihr Leben zu retten.
Das ist durchaus ordentlich gemacht, ernsthaft gemeint und für Freunde des Kriegsdrama-Genres sicher kein schlechter Film, findet aber darüber hinaus keinen besonderen Moment, der dem Zuschauer ein Mehr bringt. (5/10)
Missing (2023, Regie Nicholas D. Johnson, Will Merrick)
bei Netflix
Auch die Quasi-Fortsetzung von „Searching“ ist ein High Concept Film, der seine Pämisse radikal durchzieht: alles, was wir sehen, erleben wir über die Computer- und Handy-Bildschirme der Hauptfigur.
Als Junes Mutter aus dem Kolumbien-Urlaub mit dem neuen Freund nicht zurückkehrt, macht sich die 17jährige auf in die Welt des Internets, um nach Spuren zu suchen. Öffentliche Webcams, gehackte Google Maps Accounts, per Taskrabbit beauftragte Helfer vor Ort… „Missing“ hat ein formidables Verständnis von den Möglichkeiten des Internets und eine glaubwürdige Protagonistin, für die diese Art der Spurensuche das Natürlichste der Welt ist, weil sie auch sonst ihr Leben im Digitalen verbringt.
Wieviele Twists und Turns „Searching“ in dieser Story unterbringt und dabei kontinuierlich überrascht – obwohl vieles wirklich im Film offen da liegt, aber geschickt durch die nächste Action überlagert wird – ist schon erstaunlich. Ein sehr kurzweiliger Thriller!
P.S.: Was ich ja liebe: „Missing“-Drehbuchautor Aneesh Chaganty, der auch „Searching“ geschrieben (und gedreht) hat, legt die Story so an, dass sie in der gleichen Welt wie seine vorherigen Filme spielen. So schaut die Hauptfigur beispielsweise eine Netflix-True-Crime-Version dessen, was in „Searching“ geschehen ist. Auch sein anderer Film „Run“ findet sich in den News-Meldungen, die auf einem Browser-Fenster im Hintergrund zu lesen sind, wieder. (7/10)
Import/Export (2007, Regie: Ulrich Seidl)
bei mubi
Macht jemand unangenehmere Filme als der Seidl? „Import/Export“ ist selbst für ihn noch mal ein besonders herausforderndes Miststück, erzählt es doch in über zwei Stunden Spielzeit vom Elend überall. Stilistisch wie gehabt brillant, nur dass Seidl diesmal nicht nur seine fein säuberlich austarierten Bildtableaus schafft, sondern auch noch in der Erzählung eine Stringenz erreicht wie selten.
Von zwei Leben berichtet „Import Export“, ineinander verschränkt, sich nie begegnend, aber gemeinsam davon erzählend wie Österreich das Elend sowohl importiert als auch exportiert.
Eine junge ukrainische Mutter versucht sich mit schlimmen Jobs durchzuschlagen: Webcam-Sex, Hausputzen, verzogene Gören betreuen – egal in welcher Weise, immer wird sie ob ihres Status als Ausländerin und fehlenden Vermögens als moderne Sklavin behandelt. Den besten Job findet sie noch auf einer Abteilung für Demenzkranke, wo selbst ein Tänzchen im Keller mit einem windeltragenden Opa schon als Gewinn an Lebensqualität verbucht werden kann. Paul geht dagegen den umgekehrten Weg: weil er in Österreich keinen Scheißjob lange genug halten kann, macht er sich mit seinem räudigen Stiefvater (ein erneut brillanter Michael Thomas, bei Seidl in „Rimini“ zu spätem Ruhm gelangt) auf in den Osten, um dort Spielautomaten aufzustellen, abzukassieren und mit dem übrig gebliebenen Geld die osteuropäischen Mädels in den Diskotheken grindig zu behandeln.
Egal in welche Richtung und wurscht wie schlecht das eigene Standing in der Gesellschaft ist: gibt es einen Weg nach unten zu treten, werden mit Freude die Stiefel angezogen.
Ein schwer erträglicher Film, der aber dennoch seine Hauptfiguren Olga & Paul nicht blossstellt, sondern mit ihnen aus dem Elend auf die verdammte Gesellschaft schaut. (7/10)
They Cloned Tyrone (2023, Regie: Juel Taylor)
bei Netflix
Mit seinem retrofuturistischen Blaxploitation-Style auf grobkörnigem Film schön anzuschauen, aber echt wilde, wirre Story. Mir dann doch zu wild, als dass ich hier einen emotionalen Zugang finden könnte, auch wenn „…Tyrone“ schon einen politischen Anspruch trägt.
Viel Witz ist allerdings auch nicht vorhanden.
Ein skurriles Exponat des Netfilx’schen Streamingkatalogs, aber immerhin hatte hier jemand Spaß mit all dem Geld statt nur Malen nach Streamingzahlen zu produzieren. (5/10)
Paradise (2023, Regie: Boris Kunz)
bei Netflix
Deutsche Genre-Filme, ich würd sie ja so gern gut finden. Aber „Paradise“ hat neben einer einzigen guten Idee – jungen Menschen können dank moderner Technologie Lebensjahre abgekauft werden, die dann reichen Älteren zugute kommen – leider nur Ödnis und wenig Schauwert zu bieten.
Zudem trägt es seine politische Idee wie eine Monstranz vor sicher her als wär man im Sonntagstatort und lässt jedes spielerische Element vermissen. Gerade im Quervergleich zum bei Netflix parallel veröffentlichten Blaxploitation-Sci-Fi-Film „They cloned Tyrone“, der auf skurille Weise seine Rassismus-Message aufbereitet, fällt das schmerzlich auf. (4/10)
Der Schatten (2023, Regie: Nina Vukovic)
in der ZDF Mediathek
http://www.youtube.com/watch?v=u9uRBf6o_IA
Mysterykrimi um eine aus Berlin nach Wien gezogene Journalistin, die für ein frischgegründetes Magazin (mit dem schlechtesten Titel der Welt: „Neue Normalität“) eine Reportage über einen egomanen Künstler schreiben soll. Vor dem Stephansdom prophezeit ihr eine alte Bettlerin aber dass sie den Tod bringt, ihr Handy wird gestohlen und nach und nach verliert sie den Boden unter den Füßen…
„Der Schatten“ ist eine Spur zu hochglanzig bebildert, aber unterhaltsames deutsches Mystery-Fernsehen, das allerdings in seiner letzten Folge die Glaubwürdigkeit wirklich arg beansprucht und so gerade noch bei 6/10 landet. (6/10)