vonChristian Ihle 18.03.2024

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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The Kill Room (2023, Regie: Nicol Paone)
ab Donnerstag im Kino

Eine Satire auf die Kunstwelt zu drehen scheint auf den ersten Blick leicht, ist aber doch so schwer, weil das Ziel nun mal so fucking offensichtlich aus. Nichts ist leichter als platte Scherze über die Selbstverliebtheit und das prätentiöse Gehabe von Käufern moderner Kunst zu machen.

Wie es geht, hat Ruben Östlund in „The Square“ gezeigt – und wie nicht Dan Gilroy mit „Velvet Buzzsaw“ oder nun Nicol Paone in „Kill Room“. Ihr Hybrid aus Kunstkalauern und Killerkomödie ist nicht nur dead on arrival, sondern wird in den folgenden 90 Minuten weiter totgeprügelt. Als wäre die humorbefreite Geschichte, die auf einem konservativen Arroganz-Snobismus von „das kann mein vierjähriger Sohn auch malen“-Level spielt, nicht schon genug, setzt Uma Thurman dem Scheissfass noch die Krone auf mit einer unterirdischen Performance, die Cameron Diaz‘ legendär-berüchtigte „The Counselor“-Darbietung wie die subtile Kunst des feinen Dramas erscheinen lässt. (3/10)

Falsches Spiel mit Roger Rabbit (1988, Regie: Robert Zemeckis)
auf Disney+

Als Homage an den Film Noir – und mehr noch an einen Neo-Noir wie „Chinatown“ – ist „Roger Rabbit“ erstaunlich gelungen und weit härter an der Grenze, als ich in Erinnerung hatte. Leicht bekleidete Femme Fatales, etliche Todesfälle, eine gewisse Rauheit in der Sprache – „Roger Rabbit“ ist wirklich nicht dein üblicher Zeichentrickfilm.

A propos Tricks: erstaunlich gut funktioniert auch heute noch die Heirat aus Realbild und Cartoon, eigentlich sind nur die umgedrehten Szenen (echte Menschen in Toontown) angestaubt. Schwachpunkt von „Roger Rabbit“ ist allerdings ausgerechnet die titelgebende Hauptfigur, denn der Hase nervt nicht nur hart, sondern ist auch weniger witzig als alle Menschen und Toons um ihn herum. (6/10)

The Iron Claw (2023, Regie: Sean Durkin)

Ein bemerkenswertes Familiendrama um die Last durch Eltern, die selbst die breitesten Schultern der Nachkömmlinge niederdrücken wird… im Gewand eines Wrestling-Films.

Die wahre Geschichte um die Von Erich – Familie, die über Vater und fünf Söhne – von Zac Efron bis Jeremy Allen White aka Chef aus The Bear – eine Wrestling-Dynastie bildeten (wovon ein Sprössling vom Film sogar noch unterschlagen wird, die Häufung klang wohl selbst Hollywood zu unrealistisch).

Oder anders gesagt: bilden hätten können, denn die Tragik, die die jüngere Generation dieser Familie durchzieht, ist fast nicht zu glauben.

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Ein natürlicher Todesfall mit nur 26 auf dem Zenit der Karriere wird begleitet von drei Selbstmorden, so dass lediglich der Älteste aus dem Schweinegeschäft und dem Familiendruck mit dem Leben entkommt. Dass Sean Durkin („Martha Marcy May Marlene) seinen „Iron Claw“ weder zu einem Tränenfest macht noch dass er die Tragödie dieser Familie exploitativ ausschlachtet, ist bemerkenswert. Gerade die zentralen Unglücke finden im Off statt, denn uns Zuschauer reicht auch wirklich das Wissen, wir müssen nicht auch noch die Kopfschüsse sehen.

Ein bewegender, tragischer Film. Einer der besten Sportfilme seit langer Zeit eh, aber im Kern vor allem das überlebensgroße bzw. tödliche Drama einer Familie. (7+/10)

Coffee and Cigarettes (2003, Regie: Jim Jarmusch)
auf mubi

Wie wahrscheinlich nicht anders zu erwarten, schwankt die Güte der einzelnen Kurzfilme über zigarettenrauchende Kaffeetrinkdialoge doch stark, leider mit einer Tendenz ins Entkoffeinierte.

Höhepunkt ist für mich die Steve Coogan / Alfred Molina – Episode, die auch von Coogans auf den Punkt gebrachte Trockenheit lebt. Das Zusammentreffen von Waits mit Iggy ist dahingehend interessant, weil Iggy den Fanboy gibt und damit gegen den Strich spielt. Cate Blanchetts Doppelrolle auch einer der besten Shorts. (5/10)

Fortress (2021, Regie: James Cullen Bressack)

Einer der solideren Bruce-Willis-Filme der letzten Phase. Zwar ist mir der Punkt der Geschichte nie so ganz klar geworden, aber das die draußen gegen wir drinnen Setting wirkt eben immer und James Cullen Bressack ist trotz Name ein kompetenterer Regisseur als wer sonst Bruce zuletzt in die Szenerie gestellt hat. Dass alles natürlich trotzdem weder mitreissend noch richtig gut ist goes without saying. Trotzdem fast schon Tendenz zur 5/10.

Die Verschwörung – Verrat auf höchster Ebene (2011, Regie: David Hare)

Recht geschwätziger britischer Politik/Verschwörungs-Krimi. Zwar eine schön verwickelte Geschichte mit viel Andeutungen und Raunen, aber vielleicht wirkt „Page Eight“ heute auch deshalb nicht mehr, weil das im Zentrum stehende Vergehen kaum noch die erdbebenhaften Erschütterungen in der Welt von 2024 hervorrufen würde. (5/10)

Warnung vor einer heiligen Nutte (1971, Regie: Rainer Werner Fassbinder)
auf mubi

Mehr Interessant als unterhaltsam ist Fassbinders „Warnung vor einer heiligen Nutte“, ein Meta-Film über seinen ersten (& vielleicht einzigen wirklichen) Flop „Whity“.

„Bei den Dreharbeiten zu ‚Whity‘ brach dann alles zusammen, und plötzlich wurde allen klar, daß das, was wir eigentlich machen wollten, nie realisiert worden war. Und ‚Warnung vor einer heiligen Nutte‘ handelt eigentlich von den Dreharbeiten zu ‚Whity‘. ‚Warnung vor einer heiligen Nutte‘ handelt davon, aufzuwachen und einzusehen, daß man von etwas geträumt hat, was es gar nicht gibt.“

„Die Entwicklung, die mein Regisseur durchläuft, besteht darin, daß ihm klar wird, daß die Gruppe keine Gruppe ist und er den Traum des Kollektivs aufgibt. Er verliert seine Illusionen und sieht die Situation so, wie sie ist … Das eigentliche Thema ist, wie die Gruppe arbeitet und wie Führerpositionen entstehen und ausgenutzt werden.“ (RWF, 1971)

Die desaströsen Dreharbeiten werden in maximal abstrakt-theatralischer Art mit den Kollegen vom Anti-Theater (wahrlich passender Name) aufgearbeitet. Leider muss ich sagen, dass mich die Mischung aus Geilheit, Larmoyanz, Trunkenheit & Einfersüchteleien über lange Dauer der Spielzeit hart genervt hat, auch wenn Fassbinder am Ende eben doch noch die Kurve bekommt und in den letzten zehn Minuten seine Warnung vor einer heiligen Nutte anrührend wird. Ein Kontrapunkt zu all dem Irrsinn im Bild setzt der Soundtrack, der mit etlichen Liedern Leonard Cohens glänzt. (5/10)

P.S.: Fassbinder selbst übrigens zum Filmtitel: „Ohne daß sie es recht merken, ist aus dramatischer Hysterie und klischierter Leidenschaft etwas entstanden, was sie nie recht greifen konnten, was den Grund ihrer Verwirrung ausmachte, was sie sündigen und beten ließ: der Film, der sie anzieht und sich ihnen entzieht, der Film – eine heilige Nutte.“

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