vonChristian Ihle 11.05.2024

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Point Blank (1967, Regie: John Boorman)
zur Leihe bei Apple, Amazon & co

Wer (wie ich) bei „Point Blank“, einem der legendären 60ies Action-Thriller, eine spannungsgeladene Rutschfahrt erwartet, wird zunächst enttäuscht sein.

Es benötigt einige Zeit, um sich dem seltsamen Groove des Films anzupassen. Allein die Eröffnungssequenz mit seinen spontanen Schnitten und wankender Erzählung wirkt mehr wie ein Albtraum als die übliche Krimi-Exposition, die die folgende Rachgeschichte in Gang setzen soll. Auch der Quasi-Showdown am Ende ist ein Licht-und-Schatten-Spiel, das sich letztlich ganz in den Schatten zurückzieht statt eine große Auflösung nach langer Jagd.

Dazwischen? Rätselhaft agierende Charaktere in 60er Jahre Betonarchitektur, die Jagd nach einem Bündel Geld und ein Lee Marvin als ‚Walker‘, der mehr getrieben als gierig scheint:

„Boorman seems to have completely digested the films of Alain Resnais. He establishes a conventional dishonor-among-thieves plot as if he were directing an Alain Robbe-Grillet script entitled „Last Year at Alcatraz.“

(Andrew Sarris, Village Voice Oct 1967)

Womöglich ist „Point Blank“ auch sozioökonomisch zu lesen: Walker als einfacher Arbeiter, der von einer für ihn undurchschaubaren Organisation mit austauschbaren Vorgesetzten, hinter denen sich immer nur der nächste Vorgesetzte befindet, um seinen Lohn betrogen wird. Ein einfacher Arbeiter, der in diesem neuen Kapitalismus der Schecks und des Redens mit seinem Verständnis von Bargeld und Faustarbeit verwirrt vor dem Berg steht, nicht einmal mehr wissend, an wen er sich wenden kann, um seine Ansprüche anzumelden, geschweige denn durchzusetzen.

Beeindruckend, dass Hollywood Ende der 60er so einen verdrehten Film im Kleid eines Rachethrillers auf die Massen losgelassen hat. (7/10)

Bodies Bodies Bodies (2022, Regie: Halina Reijn)
überall zur Leihe

Im Grunde die GenZ-Version des Agatha Christie – Klassikers „And then there was none“ (beste Verfilmung: 1945 durch René Clair): eine Gruppe Menschen sind an einem Ort von der Außenwelt abgeschnitten und werden ganz dem Abzählreim treu ständig einer weniger…

Was „Bodies Bodies Bodies“ aber dennoch sehenswert macht, sind zwei Aspekte:

Erstens hält Halina Reijns Agatha-Variante die Zuschauer viel länger im Dunkeln, ob es einen oder mehrere oder gar keinen „Hintermann“ dieser Serie an Todesfällen gibt, wodurch „Bodies Bodies Bodies“ nicht nur realistischer, sondern auch rätselhafter als das Original wird, bei dem relativ schnell klar ist, dass wir hier einem gezielten Setup zusehen.

Zweitens liest sich „Bodies Bodies Bodies“ in seinen Dialogen wie ein Twitter-Bullshit-Bingo der GenZ. Hier wird ständig gegaslightet, gesilenced, die Opferkarte gespielt und was sonst noch an reflexartigen Vorwürfen im Twitterthread von nebenan runterprasselt. Das ist – zumindest für diesen Moment in der Zeit – originell und habe ich in der spielerischen Art bisher nirgendwo gesehen. Zudem in seiner satirischen Überspitzung doch ein rechter Spaß.
Das mag sicher polarisieren, aber gut, ich bin auch eher GenX und nicht die die Alterskohorte, über deren Vorwurfsbauchladen sich hier „Bodies…“ lustig macht. (7/10)

Catch the Fair One (2021, Regie: Josef Kubota Wladyka)
bei Amazon Prime

Revenge-Thriller mit rauher Indie-Anmutung, der zum Teil auch richtig heftig wird. Eine Waterboarding-Szene dauert beispielsweise gefühlt ewig und ist schwer zu ertragen. Nicht alle Schauspiel-Leistungen sind hier auf höchstem Niveau (die Ehefrau des alten Bösewichts, Himmel…), aber „Catch The Fair One“ packt in seinen ökonomisch erzählten 85 Minuten ordentlich Punch und scheut auch vor ziemlicher Traurigkeit nicht zurück. (6/10)

The Knack… and How to Get It (1965, Regie: Richard Lester)

War mir leider einfach zu nervig. Klar, auf der einen Seite macht Richard Lesters manischer Stil (Schnitt! Schnitt! Kamerablick! Schnitt!) den Film vielleicht sogar erträglicher, weil er von der stumpfen Story (bei Frauen unerfolgreicher Lehrer holt sich Tipps bei Macho, wie er Girls bekommt) ablenkt, wirkt aber andererseits wie eine verklemmt-sexualisierte Nouvelle Vague – Parodie auf Speed. (3/10)

Laura (1944, Regie: Otto Preminger)
zur Leihe bei Amazon

Frisch erzählter und munter twistender Film Noir Klassiker.

Otto Premingers „Laura“ beginnt mit einer toten Frau und einem Polizisten, der ihrem Leben nachspürt. Diese Auffächerung der Laura geschieht durch wunderbar geschriebene Dialogszenen zwischen unserem Polizisten und den Hauptverdächtigen, die sich aus einem scharfzüngigen älteren Gossip-Kolumnisten, einem jungen Hallodri und einer missgünstigen Tante zusammensetzen. Insbesondere die Gespräche mit Clifton Webb als Waldo Lydecker* sind ein Vergnügen.

Zudem geht Preminger entgegen der üblichen Film-Noir-Konventionen die Chose recht spielerisch an, denn hier zieht gleich die ganze Meute an Verdächtigen mit dem Polizisten zum nächsten Verhör und wird gemeinsam über Wahr- und Unwahreit diskutiert oder richtet sich der Polizist in seiner steigenden Obsession zu Laura schön häuslich am Tatort ein, freie Bedienung am dortigen Schnapskabinett inklusive.

Immer wieder erfreulich, wenn ein Film auch 80 Jahre später noch so einen Drive und eine Frische in seinen Dialogen hat, dass man nie das Gefühl hat, einen alten Schinken aufgrund seines Renomees pflichschuldig abarbeiten zu müssen, sondern einfach Vergnügen bei jeder einzelnen Plotwendung empfindet.

* Premingers „Laura“ ist übrigens eine der reichhaltigsten Referenzquellen für David Lynchs „Twin Peaks“: nicht nur, dass die titelgebende Dame Namenspatin für Laura Palmer war, „Waldo Lydecker“ wurde sogar zweifach verwurstet: einmal „Waldo“, ein Vogel, der in Twin Peaks einen Zeugenauftritt hat, sowie „Bob Lydecker“, der örtliche Tierarzt. Zudem ist die grundsätzliche Twin-Peaks-Idee, das Leben der Laura Palmer über die Aussagen der Anderen zu erzählen, natürlich auch das zentrale Element von Premingers „Laura“-Narrativ. (7/10)

Freeze Me (2000, Regie: Takashi Ishii)
bei Amazon Prime

Ein Rape&Revenge-Thriller der japanischen Art: bizarr, heftig und unthrillerig.

Manche spielerische Absurditäten beiseite geschoben, finde ich das Verhalten der Hauptfigur – sowohl zu Beginn, als sie zunächst nicht genug eskaliert, als auch später wenn sie wirklich eskaliert – nicht immer nachvollziehbar.

Am stärksten ist „Freeze Me“ wohl, wenn man den Film mehr als Allegorie auf Traumata liest und wie das ganze Wesen von einem vergangenen Ereignis eingenommen, verstört und letztlich zerstört werden kann. (5/10)

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