vonChristian Ihle 24.05.2024

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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The Night Logan Woke Up (2022, Regie: Xavier Dolan)

Erste Fernsehserie von Xavier Dolan (Regie & Buch), erfreulich gelungen.

„The Night Logan Woke Up“ ist auf klassischem Dolan-Terrain unterwegs: kaputte Familie, Verlorenheit, Suche nach Sinn. Hier erzählt über vier Geschwister, in zwei Zeitebenen. Einmal erwachsen, einmal jung. Etwas ist passiert, aber lange nicht klar was. Die Dysfunktionalität dieser Familie schlägt vergleichbare Katastrophen-Blutsbanden um Längen – hier leidet wirklich jede/r wie eine HündIn, hier verletzten alle jeden.

Inszenatorisch auf gewohnt hohem Niveau von Dolan, weit über normalem Fernsehfutter in Schnitt und Bild (und Soundtrack ja eh immer toll bei ihm, diesmal von Rufus Wainwright zu Soap&Skin sowie etlicher Ausflüge in die frankokanadische Pop- und Chansonmusik).

Über den Großteil seiner Laufzeit dicht erzählt, bedrückend und spannend zugleich. Das Ende landet vielleicht nicht ganz den beabsichtigten Punch, aber dennoch empfehlenswerte Serie. (7/10)

Dead Girls Dancing (2023, Regie: Anna Roller)
bei mubi

Beginnt als schön atmosphärisches Coming-Of-Age-Mood-Piece über den ersten Mädelsurlaub nach Abitur in Italien.

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Kurze Begegnungen, Irritationen, Gespräche. Als die Girls dann jedoch im Mittelteil in einem verlassenen Dorf landen, überbeansprucht „Dead Girls Dancing“ diesen Ansatz so sehr, dass erstens nicht mehr viel Neues der gruppendynamischen Erzählung beigefügt wird und zweitens die (sanfte) Eskalation des Schlußaktes nicht so recht zum bisherigen Film passen mag.
Anna Roller zeigt in „Dead Girls Dancing“ als Regisseurin einiges an Potenzial, aber kann als Autorin nicht genug Futter liefern. (5/10)

The Settlers (2023, Regie: Felipe Gálvez)
bei mubi

Ein stiller Western aus dem Süden: drei Männer – ein ehemaliger britischer Soldat, ein texanischer Cowboy und ein „Halbblut“ – werden von einem Großgrundbesitzer auf eine Reise geschickt. Auf ihrem Roadmovie durch ein Land ohne Straßen treffen sie argentinische Soldaten (werden mit Armdrücken bekämpft), indigene Familien (werden niedergemetzelt) und einen in Ungnade gefallenen britischen Oberst.

Bei diesem Ritt ins Herz der Finsternis landen sie hier also bei ihrem persönlichen Col. Kurtz und diese Szene mag noch so sehr an „Apocalypse Now“ angelehnt sein, sie ist trotzdem so mächtig, dass der Film von hieran nie mehr diese Intensität erreicht. Nicht hilfreich hierbei, dass die letzte halbe Stunde aus zwei Wohnzimmergesprächen besteht, die das vorher gesehene retrospektiv kontextualisieren – hier wäre mir lieber gewesen, Regisseur Felipe Gálvez Haberle hätte weiter auf die Kraft seiner Bilder vertraut, die in ihrer nebligen Größe manchmal sogar an Herzogs Südamerika-Expeditionen mit „Aguirre“ erinnern. (7/10)

Yannick (2023, Regie: Quentin Dupieux)
bei mubi

Wie so oft bei Dupieux: eine gute Idee, die aber nicht mal über die eigentlich ja kurze Spielzeit reicht.

Dabei ist Dupieux diesmal in realistischeren Gefilden unterwegs, ist „Yannick“ weniger Dada-Wirbel als eine Kunst-vs-Gesellschaft-Verhandlung. Doch die interessante Frage im Zentrum dieser Geschichte, bei der ein Arbeiter frustriert eine Boulevard-Theater-Aufführung mit Waffengewalt unterbricht, weil er sich nicht gut genug unterhalten fühlt, wird nie wirklich ausdiskutiert.

Hat Kunst eine Aufgabe – Eskapismus, Entertainment?
Oder gibt es l’art-pour-l’art?
Sollte es sie geben? Kann es sie in dem Moment nicht mehr geben, in dem sie sich selbst zur Commodity macht, wenn die Kunst Eintritt verlangt? Und wenn, was ist die Alternative?

Gern hätte ich hier eine filmische Abhandlung zu diesen Themen gesehen, aber Dupieux verliert recht schnell das Interesse an diesen grundsätzlichen Fragen und verlegt sich auf Scherze über die Personen (der eine Darsteller hat Mundgeruch? Running Gag! Der Geiselnehmer spricht zwar von Metaphern, aber kann „vaginal“ nicht richtig schreiben? Brüller!), die leider weder mit der Grundfrage zu tun haben noch wenigstens die ebenfalls im Raum stehende Klassenfrage sinnvoll verhandeln würden.

Klar, kann man jetzt sagen: ist ne Komödie, geh zu einer Diederichsen-Lesung oder schau Alexander Kluge, aber lustig ist hier leider halt auch wirklich gar nichts. (4/10)

The Souvenir: Part II (2021, Regie: Joanna Hogg)

Die Fortsetzung von Joanna Hoggs gelungenem „The Souvenir“ von 2018 taucht drei Jahre später erneut in das Leben ihres Alter Egos Julie ein, dargestellt von Tilda-Swinton-Tochter Honor Swinton Byrne.

War Part 1 noch eine recht geradlinige Nacherzählung ihrer eigenen Erwachsenwerdung mit den Eckpunkten Filmstudium und heroinsüchtiger Freund, wird Part 2 nun zu einem verschachtelten Spiegelspiel. Swinton Byrne als Julie inszeniert hier ihre eigene Erwachsenwerdung, die wir in Part 1 bereits als Inszenierung von Joanna Hogg gesehen haben. Raffinierter Kniff.

Dafür fehlt mir etwas die emotionale Dichte, die im ersten Teil die dysfunktionale Beziehung zwischen Julie und ihrem weltgewandten Heroin-Dandy Anthony (Tom Burke) so mitreissend gemacht hat.

MVP diesmal: Richard Aoyade als jung-arroganter Regiekollege. (7/10)

The Possessed (1965, Regie: Franco Rossellini, Luigi Bazzoni)

Eine italienische Mystery aus den 60ern, mehr arty als proto-Giallo.

In bestechendem Schwarz-Weiß irrlichtert unsere Hauptfigur durch dieses seltsame Feriendorf in Südtirol, auf der Suche nach einer Hotelmagd aus dem letzten Jahr, die aber verschwunden, verstorben ist, wer weiß das schon. Und wenn verstorben? Unfall, eigene Hand, Mord?

Dabei geht es dem Regie-Duo Bazzoni/Rossellini weniger um die Krimi-Handlung per se, sondern wirkt „La donna del lago“ in seiner starken, enigmatischen ersten Hälfte als ob Hitchcocks „Vertigo“ von Alain Resnais gedreht worden wäre. Dass gegen Ende diesem Albtraum in Chiaroscuro etwas die Luft ausgeht, weil die Auflösung eigentlich gar nicht so sehr interessiert wie die Frage nach dem wie(und vielleicht auch ob hier wirklich überhaupt etwas passiert?) fällt nicht weiter ins Gewicht, so atmosphärisch stark und fein gefilmt war der Weg dorthin. (7/10)

Detective Knight: Rogue (2022, Regie: Edward Drake)
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Das Beste gleich vorweg: der McGuffin der Woche ist hier eine Wayne-Gretzky-Sammelkarte, nach der alle her sind und die für 2,2 Millionen Dollar versteigert wird. Wär das als Gegenstand für einen Actionfilm nicht schon kurios genug, geht „Detective Knight: Rogue“ wenigstens den ganzen Weg und setzt Tom Gretzky, den real life Sohn von Wayne, als Schauspieler ein!

Mehr schönes gibt es leider nicht zu berichten, „Detective Knight: Rogue“ ist ein straighter Actionthriller ohne Thrills, der von Minute zu Minute öder wird. Bruce ist selbst für seine Spätphase hier noch mal besonders bewegunglos, aber selbst der Kniff, beim End-Shoot-Out dem Bruce-Willis-Charakter eine Wolfsmaske aufzusetzen, wird vergeigt, weil der „Shoot Out“ auch eher ein Schüßäußchen ist, das Bruce dann selbst in seinem Zustand auch noch selbst hätte spielen können.

Das schlimmste: das hier ist nur der Auftakt einer Trilogie, ich muss also dank meiner Willis-Vervollständigungs-Neurose gleich noch zwei weitere dieser trockenen Schinken in Zukunft anschauen… (3/10)

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