Die innere Glut // The Fire Within: Requiem for Katia and Maurice Krafft (2022, Regie: Werner Herzog)
„Und Felsen geben ihre ihnen zugewiesene Natur auf, einfach nur festzusitzen.
Sie taumeln.“
„The Fire Within: Requiem for Katia and Maurice Krafft“ ist die beste Dokumentation Werner Herzogs seit „Lo and Behold, Reveries of the Connected World“ von 2016.
Wobei „Dokumentation“ es gar nicht so genau trifft, denn Herzogs Film über das Vulkanologen-Ehepaar Maurice & Katia Kraft ist mehr eine Meditation über zwei Menschen im Extrem, eine Spurensuche nach der Magie des Bilderfindens und ganz am Rand nur eine kleine Krimigeschichte über das Ende zweier Leben.
Regelrecht mitreissend ist Herzogs Begeisterung über die Bilder, die die Krafts Aug‘ in Aug‘ mit explodierenden Vulkanen eingefangen haben (eigentlich kein Wunder, dass Herzog hier Geschwister im Geiste erkennt!), aber auch faszinierend, wie er beim Vergleich von altem zu späterem Bildmaterial aufspürt, wann die Krafts ihren Blick gefunden, ihre Bildsprache entwickelt haben. „The Fire Within“ ist deshalb der weit bessere, weil schweifendere Film über das Vulkanologen-Ehepaar als der bekanntere, aber auch konventionellere „Fire of Love“ (ebenfalls 2022, Regie: Sara Dosa), der ihr Leben biographisch nachzeichnet.
In den Aufnahmen der spitzenden Lava, der taumelnden Felsen, des alles umhüllenden Rauchs findet Herzog zurück zu seinem bildgewaltigsten Doku-Essay, den „Lektionen in Finsternis“ (1992). (8/10)
Evil Does Not Exist (2023, Regie: Ryūsuke Hamaguchi)
im Kino
Hamaguchis „Drive My Car“ war schon nicht gerade ein Plotboiler, aber „Evil Does Not Exist“ ist gefühlt schon so spannend, wie nem alten Japaner beim Holzhacken zuzuschauen (was „Evil Does Not Exist“ über längere Zeit auch tatsächlich zeigt!).
Im Gegensatz zu „Drive My Car“ ist Hamaguchis neuer Film allerdings zudem über weite Strecken dialogfrei, was besonders schade ist, denn gerade sich nur langsam zuspitzende alltägliche Gesprächssituationen war ja die Stärke sowohl von seinem großen Durchbruchsfilm als auchdessen Vorgänger „Wheel of Fortune and Fantasy“. So ist „Evil…“ über weiter Strecken einfach nur kontemplatives, statisches Kino, das zu allem Überfluss am Ende auch noch in einer völlig aus dem Nichts kommenden Gewaltaktion endet. Was soll das dann? (4/10)
Devs (2020, Regie: Alex Garland)
auf Disney+
Aus irgendwelchen Gründen hatte ich „DEVS“ als eine der vielen belanglosen Sci-Fi-Serien gedanklich abgespeichert, aber Alex Garlands erster Ausflug ins Fernsehen ist weit mehr als das.
Das nur leicht futuristische Setting ist erfreulich überzeugend und wie bereits in seinem Film „Ex Machina“ stellt Garland hier ebenfalls grundlegende ethische / philosophische Fragen über den Freien Wille oder zu den notwendigen Grenzen für private Macht.
Kombiniert ist „DEVS“ aber mit einer Thrillermystery, die den Zugang zu diesen ’schweren‘ Themen erleichtert. Das Ende wirkt zwar antiklimatisch auf mich, ist aber in der Logik der Serie durchaus konsequent. (7/10)
Vendetta (2022, Regie: Jared Cohn)
auf amazon prime
Ordentlich besetztes B-Movie, in dem nicht nur Bruce Willis, sondern auch Thomas Jane und Mike Tyson kleine Brötchen verdienen.
Ein klassischer Revengeamatic, bei dem ein Vater den sinnlosen Tod seiner Tochter rächt. Bruce diesmal als Bösewicht überzeugender als zuletzt, aber etwas mehr Punch hätte „Vendetta“ gut vertragen können, angesichts dessen, dass diese Story und ihre Wendungen nun ja nicht gerade zum ersten Mal erzählt wurden. (4/10)
The Fall (2019, Regie: Jonathan Glazer)
auf mubi
Siebenminütiger Kurzfilm von Jonathan Glazer („Zone Of Interest“) über die Masse vs. den Einzelnen mit creepy Masken und creepy Sounddesign. (6/10)
Dead Man (1995, Regie: Jim Jarmusch)
auf mubi
In den Flow von Jim Jarmusch Kontemplativ-Western bin ich nie wirklich gekommen, aber es gibt genügend gute Momente – vom Score bis zu schönen Schwarz-Weiß Shots – dass „Dead Man“ auch ohne emotionale Nähe genug zu überzeugen weiß. (6/10)
The Other Lamb (2019, Regie: Małgorzata Szumowska)
Rätselhafter, aber in sehr beeindruckenden Bildern dargestellter Exkurs in das Innenleben einer Sekte.
Der Hirte („Game Of Thrones“-Hübschie Michiel Huisman) hat eine „Herde“ an Frauen um sich geschart, die ihm als Guru ohne Widerspruch folgen und die er als verfügbare Menschenmasse betrachtet. Auch die mit den älteren Mitgliedern gezeugten Kinder leben in der Herde. Die Ehefrauen tragen rot, die Teenager noch blau. Bis sie geschlechtsreif werden. Das ist alles natürlich creepy, aber auch sehr distanziert gefilmt. Die Gewalteruption am Ende ist eine überfällige Erlösung. (6/10)
Fallen Leaves (2023, Regie: Aki Kaurismäki)
auf mubi
„Fallen Leaves“ ist so Kaurismäki, dass es beinah schon an eine Parodie grenzt. Egal ob Plot oder Interieurs, „Fallen Leaves“ ist – je nach Sichtweise – zu Klischee geronnenes Kaurismäki-Kino oder eine Art Best Of seiner langen und ergiebigen Karriere im Arthouse-Film. Der europäische Jim Jarmusch arbeitet noch stoischer an seinen Themen als sein amerikanischer Bruder im Geiste, veröffentlicht seltener Filme, bleibt sich dafür aber bis in die letzte Einstellung hinein treu. Keine Experimente in Finnland!
Im Gegensatz zu seinem Vorgänger „The Other Side Of Hope“ hat mich „Fallen Leaves“ etwas weniger berührt, aber seine Balladen aus der Working Class bleiben verlässlich gut. Im Gegensatz zu Ken Loach, dem anderen Chronisten der Arbeiterklasse, überspannt Kaurismäki nie den emotionalen Bogen, sondern lässt dem Zuschauer immer den Freiraum, selbst seine Gefühle zu ergründen, wodurch er schon ein subtilerer FIlmemacher ist, aber manchmal etwas weniger Wirkung erzielt. (6/10)