vonChristian Ihle 06.12.2024

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Hackers (1995, Regie: Iain Softley)
überall zur Leihe

Der größte Mehrwert von „Hackers“ aus heutiger Perspektive ist natürlich dieser 90er-Blick auf Computer und das World Wide Web. Wie hier auf der Datenautobahn in grellen Farben gerauscht wird, das können sich die TikTok-Kids von heute ja gar nicht mehr vorstellen.

Film selbst ist leider erstens ziemlich öde und zweitens auch so konfus erzählt, dass mir nie so ganz klar wurde, was jetzt der Masterplan des Villains war.

Aber immerhin: schön verrückt, Angelina Jolie mal als Prototyp des Manic Pixie Dream Girls zu sehen und das noch mit hervorragendem Haircut.

Es ist der Style, der „Hackers“ so ein bisschen interessant macht, aber sicher nicht die Substance. (4/10)

Wolfs (2024, Regie: Jon Watts)
auf apple+

Gäb’s nicht die Geschichte, dass Regisseur Jon Watts laut Eigenaussage ob der Enttäuschung über eine fehlende Kino-Auswertung das Geld für den zweiten Teil von „Wolfs“ gleich wieder an Apple zurücküberwiesen hat – ich würde die Pitt & Clooney als Cleaner – Schnurre ja als Paradebeispiel eines Films nennen, dem man seine Streaming-Heimat in jeder Sekunde anmerkt.

Zwar ist „Wolfs“ ein unterhaltsamer, am Ende sogar leicht emotionaler Ritt durch eine Eskalationsspirale wie in einer anspruchslosen Coen-Kopie, aber weder ist hier irgendeine inszenatorische Idee verblüffend noch würde das vermeintliche Traumduo George Clooney & Brad Pitt mehr machen, als ihre Rollen heimzutelefonieren und den Scheck für tausend neue MacBooks einzusammeln. (6/10)

Nie wieder schlafen – Nie mehr zurück (1992, Regie: Pia Frankenberg)
auf mubi

Pia Frankenbergs letzter Spielfilm erzählt von drei Girls, einem durchlebten Tag und durchwachter Nacht im Berlin der ganz frischen Wendezeit.

Auch wenn dieser Drifter-Film über eine Reise quer durch Berlin selbst so ziellos wirkt wie seine Protagonistinnen – und damit, ob absichtlich oder nicht, an Jim Jarmuschs frühe Lower East Side – Filme aus dem verloren gegangenen New York des Jahrzehntumbruchs zuvor erinnert – sind allein die Bilder dieses ebenfalls nicht mehr existenten Berlins den Film wert.

Wie grau der Prenzlauer Berg, wie sonnendurchflutet der Alexanderplatz! Der Döner mit Sauce für vier Mark, Freiheit. (7/10)

Lichter aus dem Hintergrund (1998, Regie: Helga Reidemeister)
auf mubi

Dokumentation, die einen Blick auf die Verwerfungen der Nach-Wende-Zeit in Berlin wirft.

Fokus ist der Fotograf Robert Paris, der lost in der neuen Welt ist und die Sicherheit seiner alten Umgebung vermisst. Der Widerstreit aus dem Anerkennen der neu erungenen Freiheit und dem Verstehen der neu dazu gekommenen, ökonomischen Zwänge macht „Lichter aus dem Hintergrund“ interessant. Dabei ist auch im Subtext schön zu sehen, wie sehr Vorhandenes sofort als gegeben angenommen wird, aber Verlorenes einen stärkeren Schmerz erzeugt.

Die Unmöglichkeit des Glücklichseins. (6/10)

Deadpool & Wolverine (2024, Regie: Shawn Levy)
auf disney+

Würd‘ ich die Kino-Charts nicht kennen, ich wär mir sicher: „Deadpool & Wolverine“ ist das Ende der Comic-Film-Ära, des Marvel-Zeitalters.

Wie kann ein Film, der sich so sehr über sich selbst erhebt und ständig klar macht, was er für einen Unsinn erzählt, wie wenig Spannung er bereitet und wie scheißegal der ganze Marvel-Mythos ist, nicht der Endpunkt sein?
Aber: Publikum immer noch mal dümmer als gedacht, weil „Deadpool & Wolverine“ unfassbarerweise der zweiterfolgreichste Film des Jahres weltweit.

Was zu all der obigen Kritik, die an „Deadpool & Wolverine“ noch abprallen könnte, weil der Film sie ja präemptiv über sich selbst äußert, aber noch dazu kommt: er ist NULL witzig in seiner Selbstverarsche, sondern einfach nur eine öde Abfolge aus „Traumschiff Surprise“-haften Onelinern und In-Jokes mit dazwischen gestreuten „geht so“-Actionsequenzen, die natürlich keinerlei Relevanz haben, weil sie ständig mit einem Zwinker-Zwinker an- und abmoderiert werden.

Es ist mir wirklich ein völliges Rätsel, was man an diesem Rohrkrepierer finden kann. (3/10)

Shot Caller (2017, Regie: Ric Roman Waugh)
bei amazon prime

Mischung aus (klischeelastigem) Gefängnis-Drama und (überzeugendem) Gang-Thriller.

Die Prämisse des Films muss man als Zuschauer allerdings erst einmal akzeptieren können: aus einem wohlsituierten Stockbroker, der durch einen Unfall mit Todesfolge im Gefängnis landet, wird in kürzester Zeit ein knallharter Knacki, der zum Überleben und dem Wohl der Familie über Leichen geht. So kämpft sich Nikolaj Coster-Waldau – haartechnisch mit schlimmeren ästhetischen Verbrechen als in seiner „Game Of Thrones“-Rolle als Jamie Lannister – durch die Hochsicherheitstrakte der USA, bis ihn die arische Brüderschaft in ihrem Kreis aufnimmt und er zum „Shot Caller“ wird.

Zuweilen inszeniert Ric Roman Waugh diese Geschichte etwas unnötig komplex mit einer Erzählung über verschiedene Zeitebenen, was im Grunde nicht viel Gewinn bringt. Aber letztendlich ist bei ordentlichem suspension of disbelief hinsichtlich der Charakter-Entwicklung und des Vermögens zu 3-D-Schach-Vorausplanung doch ein wirklich ordentliches, unterhaltsames Actiondrama in „Shot Caller“ versteckt. (6/10)

White Girl (2016, Regie: Elizabeth Wood)
bei Netflix

Etwas bemüht kontrovers wirkende, aber laut Eigenaussage wohl autobiographische Drogen-und-Fick-Geschichte um ein weißes Girl, das als Praktikantin bei einer Vice Magazine ähnlichen Zeitschrift landet (und dort gleich am ersten Tag auf dem Schreibtisch des Chefredakteurs) sowie frisch in ein Viertel zieht, an dessen Ecke die hübschen schwarzen Jungs Drogen dealen – weshalb sie nach dem ersten Spliff gleich mit dem jungen Anführer um die Ecke geht, um ein wenig zu bumsen.

Die folgenden Story-Beats sind leicht vorherzusehen, aber wenigstens hat „White Girl“ die Konsequenz zu zeigen, dass am Ende einer solchen Geschichte eben das weiße Mädel nach allem Auf und Ab und vielen Dämlichkeiten trotzdem einfach zu Semesterbeginn mit trauriger Schnute im Hörsaal sitzt, während der schwarze Boy die nächsten Jahre in eine kleine Zelle einzieht. (5/10)

Scoop (2024, Regie: Philip Martin)
bei Netflix

Vielleicht muss man entweder Brite sein oder zumindest ein Royals-Fanatiker, um das Boohoo des Films begreifen zu können: Schaut her, einer der Queen-Söhne führt ein missglücktes Interview! Lasst uns einen Spielfilm daraus machen!

Aber gut, mal beiseite geschoben, dass mich das Sujet des Films nicht so gänzlich vom Thron reißt, ist „Scoop“ ein schöner Medien-Krimi, mit verdeckten Recherchen sowie Ping-Pongs zwischen PR-Abteilung und investigativem Journalismus.

Alles weniger spektakulär als der Film von sich selbst denkt, aber ordentliche Unterhaltung. (6/10)

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