vonChristian Ihle 20.12.2024

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Boy Division nennt sich selbst „Hamburgs bestgekleidete Coverband“ – und schon hier zeigt sich gleich das berüchtigte hanseatische Understatement.
Denn Cover? Wir reden hier doch von Transformation! Zu-Eigen-Machen! Gerade wenn Du die ganze Platte „Ill“ hörst, wird Dir ja klar, wie wenig noch vom Original übrigbleibt, haben erstmal die Boys ihre Marke darüber gebügelt. Zwei Songs aus den verschiedensten Genres und unterschiedlichsten Jahrzehnten klingen bei Boy Division so sehr nach eben Boy Division und nur Boy Division als hätte man eine der frühen Ramones-Platten aufgelegt, wo zwischen eigenem Lied und einverleibtem Coverauch kein Unterschied mehr zu hören ist.

Denn Boy Division spielen keine Lieder nach, sondern entfernen jedes Zuviel, bis nur noch Song-Skelett übrig ist, um dann mit Boy Ollis Megaphon fremde Weisheiten darüber zu schreien, während Boy Bernd auf ewig via der selbstgebastelten Barhocker-und-Kübel-Drums alle Ungerechtigkeiten der Popwelt gleichprügelt. Wirklich zu sich kommt die Band natürlich im Live-Kontext, auch wenn eingepreist wird, dass unkundiges Publikum schneller verstört wird, als Begeisterung aufkommen kann, wie der Booker nach einem Auftritt in Kassel berichtete: „es war nicht so, dass die Leute Boy Division nicht gemocht hätten, die hatten einfach nur Angst“.

Doch neben vielen Liveauftritten gibt es immerhin ein Zeugnis als Langspielplatte: „Ill“

Bereits bei diesem ersten und einzigen regulären Album hatte sich die Boy-Division-Besetzung einmal durchgewürfelt. Zwei Superpunks (Lars Bulnheim und Tim Jürgens) aus der Gründungsformation am Tresen im Heinz Karmers hatten die Gruppe bereits wieder verlassen und wurden von Felix (Kante & Sport) sowie Kolja (Potato Fritz) ersetzt. Bulnheim saß bei "Ill" aber immerhin noch am Produzententisch, den er sich mit Christoph Leich von den Sternen teilte.

Als „Ill“ vor fast einem fucking Vierteljahrhundert das erste Mal das schummrige Licht der Welt erblickte, waren die zeitgenössischen Kritiken begeistert: „der vierköpfige Hamburger Punk- Stammtisch hat sich zur Rock-Supernova erhoben“ meinte die Szene Hamburg und erfreute sich im Besonderen an der „tapferen Aufrichtigkeit, mit der diese vier Feierabendpunks trotz harter Jahre im Rinnstein immer noch furchtlos und frohgemut voranstürmen“. Selbst die VISIONS verstand: „“Ill” atmet das Flair einer kalten Fabrikhalle, in der vier Ian Curtis-Verehrer, die mit ihrer Pershing II-Teenage Angst schon längst abgeschlossen haben, resigniert wüten bzw. wütend resignieren, dabei aber nie ihren (Galgen-)Humor verlieren. Wahrscheinlich liegt das daran, dass Boy Division in ihren Abrissbirnen keinen Unterschied zwischen Pixies und Mousse T machen – vor dem Herrn und dem Doppelbeschuss sind alle Künstler gleich“ und das OX gab zähneknirschend klein bei: „Hört sich an wie ein im Vollsuff gezeugter Bastard aus Eläkeläiset und Atari Teenage Riot. Kann man mögen, muss man aber nicht – ich mag’s“. Einer der seltenen Momente, bei denen sich OX und SPEX die Hand reichen konnten, denn im dortigen Elfenbeinturm staunte man: „So prügeln Boy Division sich soulful und angenehm anti-intellektuell durch ein stilsicheres Programm von Gassenhauern, bei dem ein erhöhter Alkohol-Pegel allerdings nicht schaden kann“.

Also Coverband? Ich bleibe, bestärkt durch OX und SPEX, bei: Performance Kunst mit Schnaps! Und lass mir auf „Ill“ ein „Sexbomb“-Medley vom Megaphon vorpfeifen, das den walisischen Troubadour Tom Jones mit den kalifornischen Noise-Punks von Flipper vereint, bis ich mich „Where’s My Mind?“ frage.

Denn:
THAT‘S Entertainment!

(Der Text erschien auch als Liner Notes im neuen Vinyl-Release von Boy Division, den es u.a. hier zu bestellen gibt.

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