vonChristian Ihle 12.02.2025

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Ich bin ja ein Freund von Traditionen, dennoch muss man die großen Verspätungen mit fortschreitendem Alter natürlich nicht mehr zwingend haben – aber andererseits sind gut 70 Minuten ja auch nur eine kleine Reminiszenz an vergangene Jahre (never forget die fünf Stunden Verzögerung in 2006 mit den Babyshambles).

Auch sonst bleibt vieles gleich und ändert sich doch einiges. Etliche der Libertines-Songs gehören immer noch zum Besten, was im letzten Vierteljahrhundert von der Insel gekommen ist: „What A Waster“, „Can’t Stand Me Now“, „Time For Heroes“ und vor allem „Don’t Look Back Into The Sun“ bleiben die Lederjacken-Anrempel-Klassiker, als die sie geschrieben wurden. Nur ist mit Carl Barât die eine Hälfte der Libertines immer noch der Rocknroller mit den ärmellosen Shirts, der performativ die Wildheit zelebriert, aber sein Songwriting-Kompagnon Pete Doherty in der Zwischenzeit ein Dandy im Anzug, bei dem das Gefühl vorherrscht, er käme erst in den ruhigen Momenten des Konzertes zu sich. Dieser Split erzeugt manchmal eine kognitive Dissonanz bei mir, weil sich die Erinnerungen an die wirklich wilden Libertines-Konzerte der Frühzeit vor das jetzt Gesehene schieben. Songs als Trigger für Bilder aus der alten Zeit, als die Libertines die unangepassteste, irrste Band ihrer Generation waren.

So ist letztlich neben den oben genannten Indie-Punk-Hits, für die das Publikum sich in die seit Monaten ausverkaufte und hoffnungslos überfüllte Columbia-Halle gequetscht hat, gerade die ruhigste Stelle des Gigs der eigentliche Showstopper. Doherty singt allein im Scheinwerferlicht die erste Strophe von „You Are My Waterloo“, einem Lied aus den Ur-Tagen der Band, das gut 15 Jahre lang in seiner Home-Demo-Variante durch das Internet schwirrte und erst auf dem späten Comeback-Album von der Band offiziell veröffentlicht wurde. Die Lyrics haben die Doherty-eigene Mischung aus Pathos, Punk und Popkultur und klingen – angesichts seines Lebenswegs – bei der prägnanten Zeile „You are the survivor / of more than one life“ wie ein verwundertes Selbstgespräch vor voller Halle.

So bin ich mir sicher, dass selbst wenn sich irgendwann doch der Endorphin-Rush des Punks überlebt hat und die Zeit vielleicht nicht mehr für die wilden Heroes spricht, Doherty auf ewig als Trouadour durch die Welt ziehen kann.
Als wollte er das unterstreichen: Im Mai erscheint sein nächstes Solo-Album.

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