vonChristian Ihle 13.05.2025

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Wild at Heart (1990, Regie: David Lynch)
zur Leihe

Nach ewigen Zeiten wiedergesehen auf einer wunderbaren 35mm Kopie im Kino. „Wild At Heart“ ist nicht nur mein liebster David-Lynch-Spielfilm, sondern tatsächlich in meinen Top Fünf aller Zeiten. Gewisse Nervosität vorab, ob der Film meiner Erinnerung gerecht wird…

Aber „Wild At Heart“ ist wirklich Lynch auf der Höhe seiner popkulturellen Kraft – sein vorangegangene Spielfilm war „Blue Velvet“, gerade hat er „Twin Peaks“ ins Fernsehen gebracht und mit „Wild At Heart“ gewinnt er das Cannes-Festival. Einerseits ist „Wild At Heart“ in vielen Momenten die Essenz des Lynch’schen Schaffens (weirde Charaktere, Gewalt, Sound, ein 50ies Feeling obwohl Jetztzeit und natürlich: eine junge Liebe, die durch den Einbruch der realen Welt ihre Unschuld verliert), aber wie mit dem Rock’n’Roll-Verstärker auf 11 gedreht. Nicolas Cage wurde für die Rolle des Sailor geboren und niemand könnte mit solcher Überzeugung den Schlangenlederjacken-Satz sagen oder den Elvis-Romantik-Overkill überzeugend geben.

Überhaupt! Nicht nur ist „Wild At Heart“ der unschuldigst sexuelle Lynch-Film, sondern auch sein romantischster.
Diese Schlußsequenz! Dafür lohnt Leben. (10/10)

A Real Pain (2024, Regie: Jesse Eisenberg)
auf Disney+

Schon kurios, dass im gleichen Jahr zwei Filme mit dem gleichen Nischenthema ins Kino kamen: zwei im Westen lebende, jüdische Verwandte reisen nach Polen, um dort dem Grauen des Holocaust und den Verletzungen in der Familie nachzuspüren. In Julia von Heinz‘ „Treasure“ war es das Vater-Tochter-Gespann Stephen Fry & Lena Dunham, in Jesse Eisenbergs „A Real Pain“ die beiden Cousins Kieran Culkin & Eisenberg selbst. Beide Filme versuchen auf dem schmalen Grat zwischen Familiendrama und kauzigem Humor zu wandeln, was durch den Holocaust-Hintergrund der Reise nur noch mehr an den Filmen zerrt. Dabei ist von Heinz der Film mit dem feineren Witz gelungen, während Eisenbergs „A Real Pain“ schon deutlich mehr auf der Tragödienklaviatur spielt, auch wenn er das durch die für LOLs gespielten Neurosen (Eisenberg) und Psychosen (Culkin) seiner Hauptfiguren etwas verdecken möchte.

„A Real Pain“ gelingen so dann doch die emotionaleren Treffer, allerdings diese auch nur vereinzelt. Und ganz werde ich den Eindruck nicht los, dass es den Holocaust als Backdrop für diesen Blick in die Kaputtheit des Culkin’schen Charakters nicht unbedingt benötigt hätte. Denn außer der Aussage „schau wie nichtig unsere Probleme sind im Vergleich zum Horror der Vorfahren“ trägt doch dieser Ausflug in ein polnisches KZ nichts zum Kern des Films bei, oder? (6/10)

Havoc (2025, Regie: Gareth Evans)
auf Netflix

Vom „The Raid“-Regisseur Gareth Evans für Netflix umgesetzte Action-Extravaganza, die im Vergleich zu den üblichen Streaming-Actionern wenigstens immer mal wieder visuellen Einfallsreichtum aufblitzen lässt. Bemerkenswert dabei die sehr wilde und ungewöhnlich gefilmte Auto-Verfolgungsjagd zu Beginn, die mit einer randvoll mit Kokain gefüllten Waschmaschine endet, die auf ein Polizeiauto geschleudert wird.

Was aber gar nicht funktioniert ist die Neo-Noir-Grundierung der Geschichte, wenn Tom Hardy aus dem Off die Beschwerlichkeiten des Lebens kommuniziert. Hardy spielt hier so sehr als Biest, als Tier, dass man ihm die Nachdenklichkeit einfach nicht abnimmt. Da Evans zudem nur 1:1 kann, ist natürlich auch keine subversive Brechung dieses Stilmittels zu verorten. (5/10)

iHostage (2025, Regie: Bobby Boermans)
auf Netflix

Ey Netflix. Wenn du wirklich gar keinen Bock hast, dann lass es doch einfach bleiben. Ein Spielfilm über eine Entführung in einem AppleStore, der auf einem realen Fall aus Amsterdam im Jahr 2022 beruht. Aber mit so wenig Interesse an seinen Charakteren, Spannungsaufbau oder filmischen Bildern umgesetzt, dass ich überhaupt nicht verstehe, was der Punkt an einer fiktionalen Version dieser Geschichte sein soll. Es wird nichts ergründet und trotzdem ständig geredet, es wird nie spannend, selbst die angedeuteten Konflikte bleiben Leerstelle.

Der Film ist ein einziges langes Achselzucken.
iLangeweile. (3/10)

Another Simple Favor (2025, Regie: Paul Feig)
auf Amazon Prime

War der Vorgänger eine bemühte, etwas zu nette, aber immerhin halbwegs unterhaltsam twistende Krimi-Groteske, ist dieses Sequel so dermaßen schlecht, dass ich gerade mal 40 Minuten ausgehalten habe.

Gehört neben „Highlander 2“ und „Keine halben Sachen 2“ ins Regal der schlimmsten, unnötigsten, überflüssigsten Fortsetzungen – bloß dass im Vergleich zu den beiden anderen selbst die Vorlage nur Durchschnitt war. (2/10)

The Handmaid’s Tale (1990, Regie: Volker Schlöndorff)
zur Leihe

1990 drehte Volker Schlöndorff eine erste Version von „Handmaid’s Tale“, jenem dystopischen Roman von Margaret Atwood, der später (auch) durch die Serie mit Elisabeth Moss berühmt wurde. Dass Schlöndorff Ende der 80er, mehr als ein Jahrzehnt nach seinem „Blechtrommel“-Erfolg, offensichtlich ein ordentliches Standing im US-Film-Business hatte, überrascht mich doch etwas. Das Drehbuch ist vom späteren Literaturnobelpreisgewinner Harold Pinter geschrieben, die Hauptrollen spielen die beiden Oscargewinner Robert Duvall und Faye Dunaway neben einer jungen Natasha Richardson.

Visuell bleibt Schlöndorffs Variante zu glatt, hat diesen aus heutiger Sicht einfach unschönen End80er/Früh90er Look. Lediglich die Hinrichtungssequenzen erreichen die nötige Verstörung, sonst bleibt diese Geschichte der Magd einfach zu sehr an der Oberfläche und lässt zu selten die Unterdrückung fühlen statt nur zu behaupten. (5/10)

P.S.: Warum man 1990 dachte, dass ein softporno-esques Filmplakat *ausgerechnet* beim Thema einer Patriarchats-Dystopie und Frauenunterdrückungsfantasie eine gute Idee war? Vergangenheit bleibt rätselhaft!

Wiener Blut – Berggericht (2025, Regie: Katharina Heigl)
ZDF Mediathek

Österreichischer TV-Krimi, der angenehm düster gefärbt ist, wenngleich er zu Beginn immer mal wieder Landkrimi-Humor-Andeutungen macht.
Der Twist wird erstaunlich früh gezeigt, geht es dem Krimi am Ende doch mehr um Schuld als um Tat.
Ordentlich. (6/10)

Der Mann aus Marseille (1972, Regie: José Giovanni)
zur Leihe

„Der Mann aus Marseille“ will für mein Dafürhalten zu viel: dieser Belmondo-Film beginnt als ordentlicher, aber zu schnell erzählter Gangster-Film um Aufstieg und Fall eines Schnellschützen mit Ganoven-Ehre, wechselt dann aber – nicht zu seinem Vorteil – in Gefängnisdrama, Kriegsfilm und wieder zum Gangsterfilm zurück. Positiv bleibt die Härte zu vermerken, mit der der Film seine Charaktere behandelt, weil hier einfach niemand von einem schlimmen Schicksal verschont wird. Aber für mich war „Der Mann aus Marseille“ zu breit angelegt und damit nie zugespitzt genug. (4/10)

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kommentare

  • Wie ich an anderer Stelle schon anmerkte: Bei irgendwelchen kanonischen Fragebögen gebe ich MULHOLLAND DRIVE an, um besonders feuilletonistisch zu wirken, aber am liebsten schaue ich WILD AT HEART. Der ist derart unglaublich. Mit John Lurie „Friday is Payday“ und so weiter.

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